Dortmund verteilt in München Ohrfeigen, Rafinha ruppte mit, Stindl mutiert zum Capitano und auf Schalke wird kurzerhand der Videobeweis eingeführt. Hängt eh immer vor der Glotze: unsere 11 des Spieltags
Henrikh Mkhitaryan
Noch am Mittwochabend nach seinen vergebenen Großchancen und dem damit verbundenen Ausscheiden in der Champions League gegen Real Madrid wirkte Dortmunds Henrikh Mkhitaryan trauriger als die Weather Girls beim Weightwatchers-Treffen. Aber der Fußball ist eben ein Tagesgeschäft, weshalb der Armenier nur drei Tage später beim Spiel gegen den großen Rivalen aus München zum Helden avancierte, als er den wichtigen Führungstreffer erzielte und bei der 3:0‑Ohrfeige für den Meister insgesamt einer der besten Spieler auf dem Platz war. Vom Trottel zum Helden schafft man in derart kurzer Zeit höchstens noch bei „Deutschland sucht den Superstar“. Wollen wir hoffen, dass Mkhitaryan der dort übliche Gang zurück in die Bedeutungslosigkeit erspart bleibt. Sonst sehen wir ihn bald wahlweise in zweitklassigen Musicals, schäbigen Autohaus-Eröffnungen, gar nicht mehr, in U‑Haft oder, Oh Gott, im Dschungelcamp. Und das kann wirklich niemand wollen.
Rafinha
Mit glänzenden Augen erinnern wir uns noch an Duelle zwischen dem BVB und den Bayern, die so giftig-gallig geführt wurden, dass man allein vom Zusehen schon Sodbrennen bekam. Eine Zeit, in der Andy Möller Lothar Matthäus die Phantom-Heintjetränen aus dem Gesicht wischte, Oli Kahn ernsthaft gewillt war, Stephane Chapuisat die Wirbelsäule per Kung-Fu-Tritt aus dem Körper zu filetieren und der Münchner Strafraum dichter mit Bananen bepflanzt war als, nunja, eine durchschnittliche Bananenplantage. Hach ja, those were the days. Ähnlich nostalgisch schien Bayerns Rafinha zu denken, als er in der 90. Minute des deutschen Clasicos mit einen schäbigen Griff ins Gesicht von Henrikh Mkhitaryan die gute alte Hassduell-Zeit kurz aufleben ließ und dafür zurecht die Rote Karte sah. Allerfeinster Diskoschubserei-Style war das, und ein Moment, in dem Oliver Kahn wahrscheinlich aus einem Gefühl der Rührung heraus kurz die Nerven verlor und seinem Nebenmann in einer Münchner Fußballkneipe nostalgisch an Kinn und Hals knabberte.
Vieirinha
Schweren Herzens mussten wir am Samstag eine weitere Kerze in unserem Schrein für knapp verhinderte Sensationstore anzünden, in tiefer Trauer um den Jahrhundert-Lupfer, der Wolfsburgs Vieririnha geglückt war, der aber dann von Nürnbergs Robert Mak von der Linie gekratzt wurde. In der 89. Minute stand Wolfsburgs Portugiese frei vor Nürnbergs Keeper Schäfer und entschied sich für die Deluxe-Premiumlösung aller Torabschlüsse: den sahnig-buttrigen Lupfer aus dem Fußgelenk. Aber noch während wir uns mühsam zur obligatorischen Lupfertor-Jubelraupe aus der Redaktionscouch zu schälen begannen, pölte Mak den Ball mit letzter Kraft zurück ins Feld. Mal ehrlich: Hätte er beim Spielstand von 1:4 eigentlich auch lassen können.
Kevin de Bruyne
Bester Mann auf dem Platz war in Wolfsburg übrigens VW-Winterschnäppchen Kevin de Bruyne, der im Mittelfeld derart souverän und kreativ die Fäden zog, dass Gerüchten zufolge das Marionettentheater Wolfsburg bereits ein Angebot für einen Sommertransfer vorbereiten soll. Die Tore zum 1:0 und 2:0 bereitete De Bruyne mit zwei wunderschönen Schnittstellenpässen vor, nach Abpfiff wurde der Spielball nach Hessen geschickt, weil alle im Stadion davon ausgingen, dass nach diesen Pässen der Ball naturgemäß Uwe Bein gehört. Mit einem De Bruyne in dieser Form scheint es derzeit nicht unwahrscheinlich, dass wenn man in der Wolfsburger Innenstadt in eine Gasse läuft, einen unversehens ein Pass des Belgiers erreicht. Natürlich punktgenau ins Fußgelenk, klar.
Lars Stindl
Noch in der Vorwoche nach dem 0:3 im Derby gegen Braunschweig mussten sich die 96er in Hannover den aufgebrachten Fans stellen, von denen sie des ungenügenden Engagements im Abstiegskampf bezichtigt wurden. Im Fokus stand dabei auch Kapitän Lars Stindl, der weniger ein Spielführer vom Schlage der effenbergigen Silberrücken ist, denn ein zurückhaltender Stratege. Dass er aber auch den guten, alten Alphatier-Capitano kann, der in schwierigen Situationen voran geht, zeigte Stindl in der Partie gegen Hamburg, als er die Partie derart an sich riss, dass er das Heft des Handelns wahrscheinlich erst abends zum Schlafengehen aus der Hand legte. Ein Tor, sagenhafte zehn Torschüsse und mehr gewonnenen Zweikämpfe als Mike Tyson in zwanzig Jahren Profiboxen – Stindls Vorstellung war so cojones-haft, dass wir uns noch während der ersten Halbzeit die Brustbehaarung abrasierten, weil wir nicht das Gefühl hatten, sie noch zu verdienen.
Nils Petersen
Wir wissen nicht, ob es in Gegenteil-Land so etwas wie das „Tor des Monats“ gibt, aber mit seinem sensationellen, technisch hochwertigen Volley-Schlenzer in den eigenen Winkel hätte sich Bremens Nils Petersen sofort für die engere Auswahl beworben. Eine Ecke des Mainzers Johannes Geis hob der Bremer Stürmer gleichermaßen überrascht wie gefühlvoll zum 0:1 in den Knick. Ein Eigentor, das wahrscheinlich schöner war als alle Treffer, die Petersen bisher ins richtige Tor erzielt hat. Apropos: wäre mal wieder an der Zeit.
Juan Arango
Dass Gladbachs Juan Arango einen linken Fuß hat, mit dem er innerhalb von Sekunden einen Rubic’s Cube lösen oder alte Schweizer Taschenuhren reparieren könnte, ist bekannt. Jetzt fängt der venezolanische Sahnefuß auch noch an, Tore mit dem Kopf zu erzielen, sehr zum Leidwesen der Stuttgarter, die nach Arangos spätem Tor zum 1:1 weiterhin bis zu den Lendle im Abstiegssumpf stecken. Bekanntermaßen kämpft Arango um einen neuen Vertrag. Wenn er nach der ohnehin vorhandenen Weltklasse-Technik nun auch noch anfängt, Kopfballtore zu erzielen, sollte man in Mönchengladbach darüber nachdenken, ihm vielleicht einfach ein neues Arbeitspapier zu geben. Aber vielleicht warten die Verantwortlichen noch auf Arangos ersten gewonnenen Defensiv-Zweikampf.
Julian Brandt
Als wir siebzehn waren, hatten wir uns gerade so das Nasepopeln halbwegs ab- und das Essen mit geschlossenem Mund halbwegs angewöhnt. Julian Brandt ist mit seinen siebzehn Jahren derweil eines der vielen Next Big Things aus den Jugendakademien des Landes und mittlerweile der jüngste Bundesligatorschütze in der Leverkusener Vereinsgeschichte. Dass er sein zweites Saisontor mit einem wunderbaren Heber erzielte, ließ uns Heber-Aficionados natürlich noch beglückter zurück. Dem ein oder anderen Kollegen fiel sogar vor Freude der Zeigefinger aus dem Nasenloch.
Christian Dingert
Als jemand, der mit einer ordentlichen TV-Sucht aufgewachsen ist, kennt man das ja selber: Irgendwo im Raum läuft ein Fernseher und man kann einfach nicht anders, als hinzugucken. Ähnlich ging es am Freitagabend wohl Schiri Dingert, der zunächst ein Tor von Schalkes Julian Draxler gegen Eintracht Frankfurt anerkannte, dann aber nach Rücksprache mit seinem Linienrichter den Treffer wieder zurücknahm. Stolze 63 Sekunden später, als beide Mannschaften bereits mit Jubeln bzw. Ärgern fertig waren und am Mittelkreis zum Anstoß bereitstanden. Gerüchteweise hat die Wiederholung auf dem Schalker Videowürfel die beiden Unparteischen zu einem Umdenken bewogen, was Dingert natürlich abstritt. Das dürfe man ja gar nicht, so der Unparteiische. Alles wie früher also, da durften wir ja auch nicht jeden Scheiß im Fernsehen gucken. Und haben es dann doch gemacht.
Die Frankfurter Fans
In einer Zeit, in der Johannes B. Kerner öffentlich Kinderpuppen verbrennt und die Ultrakultur von Sandra Maischberger unwidersprochen mit den Taliban verglichen wird, muss man sehr aufpassen, die Fußballfans in den Kurven nicht aus Versehen mit einer Horde brandschatzender Wilder zu verwechseln, die sich Bier saufend und voller Hass durch die Spieltage prügelt. Dass in den Kurven ganz normale und sehr wohl mitfühlende und empathische Menschen stehen, und eben nicht eine Ansammlung stumpfer Randalettos, konnte man am Freitagabend im Spiel Schalke gegen Frankfurt sehen. Vor der Gästekurve brach ein Schalker Fahnenträger mit Herzinfarkt zusammen und musste minutenlang reanimiert werden. Die Frankfurter Anhänger reagierten äußerst sensibel auf den dramatischen Vorfall und stellten umgehend den Support ein, sukzessive folgte das gesamte Stadion. Als der Fahnenträger schließlich stabilisiert worden war und abtransportiert werden konnte, brandete gemeinsamer Applaus beider Fanszenen auf. Eine schöne Aktion, die Respekt verdient und die zeigt, dass es eben doch wichtigeres als Fußball gibt. Und vor allem, dass das den so oft gescholtenen Fans durchaus bewusst ist.
Boris Vukcevic
Womit wir bei Boris Vukcevic wären, dessen schlimmer Autounfall vor etwa anderthalb Jahren mit das tragischste Ereignis der jüngeren Bundesligageschichte war. Nur knapp sprang Vukcevic damals dem Tod von der Schippe und lag sieben lange Wochen im Koma, nun saß er nach 562 Tagen erstmals wieder im Sinsheimer Stadion und sah sich das 2:0 seiner Hoffenheimer gegen Augsburg an. Ein wirklich schönes Ereignis, das uns von Herzen freut und das uns sogar großzügig auf den obligatorischen Hoffenheim-Witz verzichten lässt, der an dieser Stelle eigentlich kommen würde. Schön, dass du wieder da bist, Boris.