Ganz Sachsen drücke RB Leipzig die Daumen, sagte Ministerpräsident Kretschmer vor dem Pokalfinale. Nun, für unseren Autor hat er da sicher nicht gesprochen. Der kann das Gerede von der ostdeutschen Fußballrepräsentanz in Leipzig nämlich nicht mehr hören.
Ganz Sachsen trauert! RB Leipzig kassiert eine Klatsche von der Aktiengesellschaft Borussia aus dem tiefen Westen. Obwohl sich Ministerpräsident Michael Kretschmer vor dem Spiel extra in ein Fettnäpfchen begeben hatte, um von dort per Videobotschaft zu verkünden, ganz Sachsen drücke die Daumen. Allerdings gab es paar schwarze Schafe, die nicht fest genug gedrückt haben. RB hat den ersten Titel in seiner Historie mal wieder vermasselt. So steht der (fußballerisch) abgehängte Osten weiter ohne Erfolgserlebnis da.
Fußballfans zwischen Harz und Oder, Erzgebirge und Ostsee darben im titellosen Tal der Tränen, haben vor Enttäuschung selbige in den Augen und tun das, was Ossis halt am besten können: Jammern. Könnte man meinen. Denn das Pro-RB-Argument schlechthin, wie hilfreich das Projekt der Salzburger in Leipzig für die Rekultivierung und die Wiederauferstehung des Fußballs auf dem Hoheitsgebiet der ehemaligen DDR sei, wurde in den letzten Tagen mal wieder überstrapaziert. Demnach ist RB Balsam für die geschundene ostdeutsche Fußballseele. Wir sind jetzt wieder wer! Voller Mitleid wird dabei aus der Ferne auf den Osten und seine dort zwischen der zweiten und vierten Liga herumstrauchelnden Vorzeigeteams aus Aue, Rostock, Dresden, Magdeburg, Cottbus, Jena, Erfurt, Zwickau, Chemnitz, Probstheida oder Leutzsch geschaut.
Um es ein für allemal klarzustellen: Mir, und ich bin mir sicher, den allermeisten Fußballfans hier ist es vollkommen egal, ob RB einen Titel gewinnt!
Wenn es soweit ist und Leipzig die Meisterschaft oder den Pokal – egal ob europäisch oder national – holt, werden zahlreiche Fußball-Entertainment-Junkies der Region aus dem Häuschen sein. Sind sie dann schon draußen, reicht es sicher auch zu einem Autokorso oder zur Teilnahme an der offiziellen Meisterschaftsfeier, um euphorisch Dosen in die Kameras zu halten. Aber den Fans von Aue, Dynamo, Hansa, Chemie oder Lok Leipzig wird das einfach nur am Arsch vorbeigehen.
Für mich macht es keinen Unterschied, in welcher Liga die Spieler meines Vereins gerade mehr oder weniger elegant gegen den Ball treten. Klar leide ich, wenn sie mal wieder absteigen oder eine beeindruckende Niederlagenserie hinlegen. Das tun die Fans in Offenbach, Mannheim, Oberhausen oder Essen aber auch. Misserfolg nervt überall. Trösten wird mich aber mit Sicherheit nicht das zur ostdeutschen Fußballrepräsentanz gehypten RBL. Hundertfach gesagt und geschrieben, aber offensichtlich noch nicht angekommen: Das Einzigartige am Fußballfandasein besteht eben nicht darin, in der Bundesliga zu kicken, Millionen Euro zu kassieren und für überbewertete Spieler wieder auszugeben.
Fußballfan zu sein, bedeutet auch nicht, sich nur auf Titel zu fokussieren. Ist wie mit dem Sex in einer langjährigen Beziehung mit deiner großen Liebe. Umwerfend wenn es passiert, aber ohne ist es auch schön. Zugegeben, als Fan von Dynamo Dresden ist die Wahrscheinlichkeit, vor meinem Ableben nochmal einen Titel oder wenigstens eine Europapokalteilnahme zu feiern, nicht besonders hoch. Egal! Erfolge sind nicht nur Titel. Erfolge sind gelungene Choreos. Erfolg ist, wenn die Fans ihrem Verein mit Geld, Arbeitseinsätzen und Engagement am Leben halten. Oder Schnee vom Spielfeld zu schieben, um das Punktspiel vor der Absage zu retten (das dann natürlich verloren geht). Erfolge sind einzigartige Spiele, bei denen ein Bundesligist aus dem Pokal gekegelt oder eine Abstiegsrelegation gewonnen wird. Selbstverständlich nur, weil ich meine Glücksocken anhatte und besonders motivierend im Block angefeuert habe. Spiele, die so selten sind, dass man jahrelang davon zehrt.
Es geht um das Gefühl, das ich habe, wenn ich im Stadion stehe. Wo ich Menschen nach Toren umarme, mit denen ich im echten Leben nicht mal einen Händedruck in Erwägung ziehe. Es ist die Hoffnung, dass vielleicht irgendwann ein Wunder geschieht und es mit der Truppe kontinuierlich aufwärts geht. Wie gerade bei Union. Deren Werdegang mich als Fußballossi durchaus mitreißt. Denn die gehören dazu. RB nicht. Sie haben weder Ausstrahlung noch Identität. Sie sind ein Ufo, das im Zentralstadion gelandet ist. Die Neuankömmlinge werden länger bleiben. Ich habe mich längst an ihre Anwesenheit gewöhnt. Sie stören nicht und wollen ja auch nur spielen. Wie sie das tun und was sie dabei alles gewinnen, das hat in meinem Leben die gleiche Bedeutung, wie das Wetter in Leipzig: Keine.
Es geht beim Fußball nicht um Zahlen. Es geht um Gefühle. Wenn mir Dynamo das Herz bricht oder Schmetterlinge in den Bauch zaubert, kann mich der gesamte Ostfußball kreuzweise. Und deshalb, lasst das gönnerhafte Solidaritätsgefasel, dass und warum der Ost-Fußball mit RB wiederbelebt wird. Er ist weder tot, noch liegt er am Boden. Dort wo meine Mannschaft spielt ist emotional oben. Ist doch nicht so schwer!
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