Aufsteiger FC Brentford mischt gerade die englische Premier League auf, weil er vieles anders macht. So hat er seine Nachwuchsteams abgeschafft – mit Erfolg.
Auf dem Trainingsgelände des FC Brentford gibt es neben den Umkleidekabinen das „Robert Rowan First Team Debut Board“. Die Tafel ist zugleich ein Denkmal und ein Ort, an dem sich manifestiert, wie anders die Dinge hier gedacht werden. Von Rowan stammt das Motto: „Brentford can’t win by outspending the competition so we have to outthink them.“ Wer nicht mehr Geld als die Konkurrenz ausgeben kann, muss eben mehr und besser nachdenken. Heute wird das so nicht mehr laut gesagt, man will nicht den Eindruck vermitteln, sich für schlauer als die anderen zu halten. Aber der ehemalige Technische Direktor, der 2018 völlig unerwartet im Alter von nur 28 Jahren starb, schlug ein Wagnis vor, das zuvor kein anderer Klub eingegangen war.
Rowan entwickelte das revolutionäre Konzept eines B‑Teams und setzte es auch um. Dafür schaffte Brentford zunächst seine Jugendabteilung ab, was damals viele Fans zutiefst schockierte. Aber die Jugendarbeit hatte jede Saison umgerechnet fast zwei Millionen Pfund gekostet, und die besten Nachwuchsspieler waren für lächerliche Ablösen zu größeren Klubs gegangen. Der Aufwand hatte sich einfach nicht mehr gelohnt. Seither investiert Brentford in Spätentwickler und vermeintliche Mauerblümchen, in Talente aus unteren Ligen, dem Ausland und der benachbarten Groß-Akademien. Wer bei Chelsea, Tottenham, Arsenal oder einer der anderen großen Akademien aussortiert wird, kann bei Brentford eine zweite Chance bekommen.
Neil McFarlane und Allan Steele haben weiße Plastikstühle neben dem Trainingsplatz aufgestellt und erzählen von ihrer Arbeit. Der Schotte McFarlane ist Trainer des B‑Teams, der Engländer Steele sein Assistent und Technischer Leiter in Personalunion. „In den großen Klubs gibt es in den verschiedenen Nachwuchsmannschaften bis zu 80 Spieler, und einige von ihnen gehen in dem System verloren. Wir haben oft gegen Chelsea gespielt, und die schiere Menge der Spieler ist unglaublich. Aber ich habe Mitleid mit ihnen, denn sie bekommen zwar viel Geld, aber wohin führt ihre Karriere?“, sagt McFarlane.
Der FC Brentford ist in die Premier League aufgestiegen, ganz ohne reichen Oligarchen. Ein modernes Fußballmärchen mit dänischem Vorbild und einem Bochumer Bankdrücker.
Die Suche nach solchen Talenten läuft über das stark datengestützte Scouting, das bei Brentford schon zu vielen erfolgreichen Transfers beigetragen hat. „Aber das Profil bei uns ist etwas anders“, erklärt Steele. „In der ersten Mannschaft müssen die Spieler in allen fünf Feldern, also Technik, Taktik, Psychologie, physische Voraussetzungen und soziales Verhalten ziemlich weit entwickelt sein. Andere Klubs haben sie gehen lassen, weil sie in ein oder zwei Bereichen nicht gut genug waren. Aber wir fragen: Wie können wir sie verbessern?“ Ein Beispiel dafür ist der 20-Jährige Paris Maghoman, der im Januar letzten Jahres aus der Jugend von Tottenham kam. „Jeder reift unterschiedlich, und Paris fehlte es mental. Er hatte noch nicht verstanden, was es bedeutet, ein Fußballprofi zu sein“, erzählt McFarlane. Inzwischen ist der Mittelfeldspieler so weit, dass die erste Mannschaft in Sicht ist.
Die Gelegenheit zur Entwicklung liefert ein Programm aus Freundschaftsspielen gegen U23-Teams, gehobene Amateurklubs und gegen ausländische Mannschaften. Die U19 des FC Bayern wurde vor zwei Jahren in München mit 5:2 geschlagen. Aus Sicht der beiden Trainer hilft es ihren Spielern mehr, nicht nur gegen Ihresgleichen anzutreten, wie das in den Jugendmannschaften oder der Premier League 2 für U23-Teams der Fall ist. „Im Jugendfußball ist jedes Spiel ähnlich und davon wollen wir weg. Deshalb wollen wir gegen so viele erste Mannschaften spielen wie möglich, wo unsere Spieler auf Männer treffen, auf ehemalige Profis, was hart ist. Und wenn Chelsea am Dienstag spielt, spielen wir gerne mittwochs gegen ein Team von ihnen, in dem Spieler der ersten Mannschaft dabei sind, die dienstags nicht gespielt haben“, erklärt McFarlane.
Wie gut das in den letzten fünf Jahren funktioniert hat, zeigt die „Robert Rowan First Team Debut Board“. Auf der Tafel sind die Namen von 22 Spielern aus dem B‑Team verzeichnet, die in der ersten Mannschaft debütiert haben. Zehn von ihnen haben einen Vertrag für die erste Mannschaft bekommen, acht sind heute noch dabei.
Einer ist der junge Däne Mads Roerslev, der 2019 zu Brentford wechselte, nachdem er vom FC Kopenhagen mehrfach erfolglos ausgeliehen wurde. „Als er kam, fehlte ihm jegliches Selbstbewusstsein“, erzählt McFarlane. Im B‑Team aufgepäppelt, bereitete Roerslev im Mai, beim Playoff-Finale in Wembley, ein Tor vor und damit nach 74 Jahren Brentfords Rückkehr in Englands höchste Spielklasse. Das entscheidende Tor im Halbfinale schoss mit dem Finnen Marcus Forss auch ein B‑Team-Absolvent. Ihn wollten sie in der Jugend von West Bromwich Albion nicht mehr, inzwischen hat Forss sieben Länderspiele für Finnland gemacht. Und Chris Mepham aus dem B‑Team wurde für 13 Millionen Euro an den AFC Bournemouth verkauft.
McFarlane und Steele haben die gutmütige Ausstrahlung typischer Jugendtrainer. Ihnen ist es wichtig, dass möglichst viele ihrer Jungs einen Weg in den Profifußball finden, und bei 26 von ihnen ist das jenseits von Brentford der Fall. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass einige Klubs wie Huddersfield oder die Wycombe Wanderers ähnliche Wege mit einem B‑Team eingeschlagen haben. „Es ist aber nicht für jeden Klub in England richtig, unseren Weg zu gehen“, sagt McFarlane. Allerdings bietet Brentford mit seinem Konzept der Talentveredlung eine bemerkenswerte Ergänzung zur Überproduktion von potenziellen Erstligaspielern an, die es auch in Deutschland gibt. Der Klub mag zwar einen Schleichweg in die Premier League anbieten, aber wenigsten ist es einer.
Eine ausführliche Reportage darüber, wie Brentford der megareichen Konkurrenz in der Premier League trotz bescheidener Mittel ein Schnippchen schlägt, gibt es in der aktuellen 11-FREUNDE-Ausgabe #240.