Als ich in der Saison 1985/86 zum Zweitliga-Aufsteiger Tennis Borussia Berlin wechselte, war ich froh, wieder in Deutschland zu sein. Vier Monate zuvor hatte ich in Südkorea gespielt, das damals noch ein echtes Fußball-Entwicklungsland war. Vor allem das asiatische Essen war gewöhnungsbedürftig. Nicht, dass man mich falsch versteht: Ich bin niemand, der sich vor kulinarischen Erlebnissen fürchtet. Aber als mir eines Tages ein Mannschaftskollege erzählte, ich hätte soeben Hund gegessen, ist selbst mir der Appetit vergangen. Nach dem Abenteuer Asien glaubte ich also, ich hätte schon alles erlebt. Bei TeBe wurde mir das Gegenteil bewiesen.
Wir starteten mit ehrgeizigen Zielen in die neue Saison, doch nach nur einem Sieg aus den ersten sieben Spielen steckten wir bereits bis zum Hals im Abstiegsstrudel. Unser Problem: Wir hatten viele hervorragende Fußballer wie Martin Wiesner und Michael Fiedler in der Mannschaft, leider gingen diese Rastellis aber jedem Zweikampf aus dem Weg. Uns fehlten Kerle, die die Ärmel hochkrempelten und auch mal hinlangten. Naja, wenigstens gab es Gerald Scheunemann und mich. Wir bildeten zusammen mit Libero Uwe Rapolder die Defensive und wehrten uns mit aller Macht gegen die übermächtigen Gegner. Aber das allein reichte nicht, denn vorne wurde lieber auf die große Show gesetzt – ohne Erfolg. Vor allem Gerald Scheunemann machte das verrückt. Er war der Sohn eines Metzgermeisters und für sein aufbrausendes Temperament genauso bekannt wie gefürchtet. Mit seiner Berliner Schnauze ätzte er gegen jeden, der sich nicht schnell genug verzogen hatte.
Ein Eimer voll Schweineblut
Vor dem Derby gegen Blau-Weiß Berlin griff Gerald dann zu einer ganz besonderen Motivationsmethode. Vor dem Abschlusstraining betrat er mit einem Eimer in der Hand die Kabine. Nicht weiter ungewöhnlich, schließlich versorgte er die Mannschaft regelmäßig mit Grillwürsten und anderen Köstlichkeiten aus der heimischen Schlachterei. Doch als er den Deckel aufriss, konnte jeder sehen, was er uns heute mitgebracht hatte: zehn Liter Schweineblut! Schlachtfrisch und lauwarm. „So Männer, jeder nimmt jetzt einen Schluck davon“, verkündete Gerald. „Dann könnt ihr am Samstag laufen und kämpfen wie die Irren!“ Wir schauten einander verdutzt an. Feingeist Fiedler verließ fluchtartig die Kabine, ihm war allein vom Geruch schlecht geworden. Der Rest der Mannschaft bot einen Anblick, den ich nie vergessen werde: In der Mitte stand der Eimer voller dampfendem Blut, daneben der aufgedrehte Scheunemann, und um ihn herum kauerten zwanzig erwachsene Männer dermaßen eingeschüchtert, dass sie sich am liebsten in Luft aufgelöst hätten. Ich rief: „ Gerald, hast du einen an der Waffel?“ Aber er meinte es verdammt ernst.
„So wird das gemacht“
Zum Beweis setzte er den Eimer an und nahm einen kräftigen Schluck. Mit blutverschmiertem Gesicht brüllte er: „Seht ihr, Männer! So wird das gemacht!“ Zum Glück rief Trainer Eckhard Krautzun just in diesem Moment zum Training, nur so konnten wir dem Scheunemann-Cocktail entgehen. Beim Training gingen diesmal alle besonders motiviert zu Werke. Immer vorneweg: Gerald. Beim Derby am nächsten Samstag ließ uns Blau-Weiß 90 keine Chance. Bereits nach vier Minuten lagen wir 0:1 hinten. Scheunemann rannte dennoch 90 Minuten über das Feld, als wollte er jeden Quadratzentimeter einzeln umpflügen. Sein Pensum war unmenschlich. Genützt hat es am Ende aber nichts, wir verloren 0:4. Mit etwas Abstand betrachtet, glaube ich, dass uns ein Schluck von Geralds Zauberblut wohl doch nicht geschadet hätte. Denn am Ende der Saison stiegen wir als Vorletzter sang- und klanglos ab.
Protokoll: Benjamin Kuhlhoff