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Seite 2: „Die App zeigte an: drei Stunden unruhiger Schlaf“

Ent­scheiden Sie völlig unab­hängig vom Spiel­ver­lauf? Oder anders: Hätten Sie auch beim Stand von 5:0 für den FC Bay­erns so ent­schieden?
Ich agiere immer völlig fak­tisch. Natür­lich ist es mög­lich, dass ich bei einem 5:0 ins­ge­samt relaxter bin, denn in einem spiel­ent­schei­denden Moment muss ich sofort in die Situa­tion rein und für klare Ver­hält­nisse sorgen. Es besteht ja die Gefahr, dass sich auf Bremer Seite der Frust breit macht. Da muss ich dees­ka­lie­rend wirken, ich will ja nicht auch noch eine Rote Karte ver­teilen. Des­wegen habe ich gleich gesagt: Bleibt ruhig, ihr habt noch zehn Minuten Zeit“.

Haben Sie ins­ge­heim gehofft, dass Werder noch ein Tor macht und sich die Wogen glätten?
Das ist nicht Auf­gabe des Schieds­rich­ters. Für mich war der Elf­meter kor­rekt. Natür­lich war es für Bremen maximal unglück­lich gelaufen! Sie müssen bedenken, dass ich in dem Spiel Mats Hum­mels und Davy Kla­assen zuvor Gelb gegeben hatte – in beiden Fällen voll gerecht­fer­tigt – und mich die Spieler eben­falls angingen, als würde ich daneben liegen. Wenn Sie jeden Pro­test auf die Gold­waage legen, können Sie diesen Job nicht machen.

Sind Sie völlig immun gegen diese Art von Ein­fluss­nahme?
Es ist eine Begleit­erschei­nung des Fuß­balls, dass ein Spieler, der einen Fehler gemacht hat, erst einmal ver­sucht, es anders dar­zu­stellen. Als ich den Elf­meter gab, wusste ich, den aggres­siven Pro­test kann ich nicht ver­hin­dern, auch wenn ich mich jetzt lehr­buch­mäßig ver­halte. Dafür war der Moment zu spiel­ent­schei­dend.

Gibt es für solche Momente kon­krete Ver­hal­tens­re­geln?
Ruhe bewahren und den per­sön­li­chen Bereich klar abste­cken. Es wird ungern gesehen, dass ein Schieds­richter in die Defen­sive gerät und den Rück­wärts­gang ein­legt. Aus meiner Sicht habe ich das gut gere­gelt. Es war gar nicht ver­meidbar, einen Schritt zurück zu treten, weil die Spie­ler­traube gleich im Sprint da war. Aber ich habe Abstand bewahrt und die Spieler den Umständen ent­spre­chend beru­higt.

Gab es danach bis zum Abpfiff noch Kom­mu­ni­ka­tion mit dem Video­schieds­richter?
Immer wieder, aber keine, die sich auf die Elf­me­ter­ent­schei­dung bezog.

Waren Sie froh, als Sie abpfeifen konnten?
Weil ich über­zeugt war, die rich­tige Ent­schei­dung getroffen zu haben, blieb ich relativ lange auf dem Rasen, um den Ver­ant­wort­li­chen zu erklären, warum ich so ent­schieden habe. Erst in der Kabine schlug mein Gefühl um.

Können Sie den Moment beschreiben?
Ich komme rein, sehe rechts aus dem Augen­winkel den Bild­schirm, auf dem in Zeit­lupe gerade die Szene mit dem Foul läuft und erkenne sofort: Oha, das war kein Elf­meter! Ich habe es mir dann noch zwei, drei Mal ange­sehen und wusste: Mist, jetzt bekomme ich ein Pro­blem.

Was geht einem da durch den Kopf?
Da will man erst einmal im Boden ver­sinken.

Wie ging das weiter?
Als ich das Handy anstellte, tru­delten in Null­kom­ma­nichts etwa 400 What’s App-Nach­richten ein.

Wer schreibt denn?
Das waren teil­weise auch Grup­pen­chats von Ver­einen, auch aus dem Schieds­rich­ter­be­reich. Kol­legen, die gleich sagten: Kopf hoch“. Urs Meyer etwa hat mich am nächsten Tag ange­rufen und mir Mut zuge­spro­chen. Die wussten alle, dass ein Shit­s­torm auf mich zurollt. Beson­ders wichtig war für mich aber, dass Flo­rian Koh­feldt und Frank Bau­mann später zu mir in die Kabine kamen und mir die Gele­gen­heit gaben, mich zu ent­schul­digen. Koh­feldt rechne ich es sehr hoch an, dass er schon bei der Pres­se­kon­fe­renz nicht drauf­ge­hauen hat, son­dern die Nie­der­lage aner­kannte. Es war mir wichtig, dass ich zumin­dest mit den han­delnden Per­sonen am Ende im Reinen war. Gegen das Medi­en­ur­teil konnte ich natür­lich nichts machen.

Wie haben Sie nachts geschlafen?
Sehr schlecht. Meine Schlaf-App zeigte an: drei Stunden unru­higer Schlaf, Tief­schlaf­phase null Pro­zent. Ich habe mir nachts die wich­tigen Szenen der Partie noch einmal ange­sehen und stellte fest, dass sowohl der Kom­men­tator bei Sky als auch in der ARD sagte, es sei eine harte Ent­schei­dung gewesen, aber keiner sprach von einem klaren Fehler. So hoffte ich, dass die Nach­wir­kungen nicht ganz so schlimm werden.

Wie lief der Tag nach dem Spiel ab?
Ich fuhr mit dem Zug von Bremen zurück nach Berlin. Kapu­zen­pulli über und Son­nen­brille auf. Zum Glück hat mich nie­mand erkannt.