Drogenexperiment? Religiöse Ekstase? Die Aufstiegsfeier von Union Berlin war all das und noch viel mehr. Wer sich die Bilder des Wahnsinns anschaut, merkt schnell: Die Bundesliga kann sich auf den Klub freuen.
Wer diesen Dirk Zingler im weiteren Verlauf des Abends sah, erlebte einen völlig aufgelösten Mensch, der etwas davon stammelte, wie „surreal“ es sei, in die Bundesliga aufzusteigen. Das war insofern bemerkenswert, weil der Vereinspräsident sonst ziemlich nüchtern und klar auf die Dinge schaut. Aber es waren da an der Alten Försterei nur Menschen unterwegs, die den Eindruck machten, an einem Massenexperiment mit bewusstseinserweiterenden Drogen teilzunehmen oder gerade eine religiöse Erscheinung zu haben und in Ekstase verfallen zu sein. Sie gaben unkontrollierte Schreie von sich, wollten immer wieder dieselben Lieder singen („Uns’re Mannschaft, unser Stolz, unser Verein!“) oder versanken in stummer Erschöpfung. Sie hatten leere Blicke oder wild flackernde, letztlich waren alle verrückt geworden. Einige rupften Stücke aus dem Rasen, der nun heilig war. Viele weinten.
Vereinsidentität Underdog
Vielleicht drehten alle auch deshalb so durch, weil sie sich fühlten wie eine Expedition, die zwar ihr Ziel erreicht hat, plötzlich aber feststellt, dass sie sich damit ganz schön weit rausgewagt hat. Tief im Bewusstsein aller Unioner verwurzelt ist schließlich die Vorstellung, dass ihr Klub ein Underdog ist. Das war schon zu DDR-Zeiten so und auch nach der Wende, als der Verein aus Köpenick fast unterging. Damals retteten ihn Fans, die Blut spendeten und das Geld dafür dem darbendenKlub gaben. Und wo sonst haben die eigenen Anhänger geholfen, am Stadion mitzubauen? Also mal im Ernst: Gehört so ein Klub wirklich in die Bundesliga, in die Welt der Reichen und Schönen?
Zwei Jahre vor der rauschenden Aufstiegsnacht hatte es schon mal so ausgesehen, als ob sie es in die Eliteklasse schaffen würden. Zwei Monate vor Saisonende war die Mannschaft sogar an der Tabellenspitze, und in der Kurve wurde ein Transparent hochgehalten: „Scheiße, wir steigen auf.“ Und scheiße, jetzt war es also wirklich so weit. Vermutlich wird der Unglaube über diesen Aufstieg erst weichen, wenn der Spielplan der Bundesliga veröffentlicht wird. Dann werden alle Unioner sehen, dass die verrückte Expedition sie wirklich in die Bundesliga geführt hat. Nach Bremen und, verdammt, zum FC Bayern! Auf den Fahrten dahin werden sie einen ihrer beliebtesten Gesänge anstimmen: „Dem Morgengrauen entgegen, zieh’n wir gegen den Wind. Wir werden alles zerlegen, bis wir Deutscher Meister sind.“ Und jetzt können sie es ja wirklich werden.