Bei der WM 2018 hat die Deutsche Nationalmannschaft erstmals einen offiziellen Spitznamen. Aber wo kommt der eigentlich her? Schuld daran sind vielleicht die Holländer.
Mehr als 100 Jahre lang kam die deutsche Nationalelf prima ohne einen Spitznamen aus. Dann aber, im Vorfeld der WM 2010, brach unvermittelt eine Neiddebatte über die Nation herein. Andere Teilnehmer am Turnier trugen wohlklingende Bezeichnungen wie „Albiceleste“ (Argentinien), „Squadra Azzurra“ (Italien), „La Furia Roja“ (Spanien) oder „Seleção“ (Brasilien). Deutschland war bloß Deutschland. Das schien ein gravierender Nachteil zu sein und so begann die große Abstimmungsmanie.
Im Mai fragte die Süddeutsche Zeitung ihre Leser nach einem guten Ausdruck für die DFB-Auswahl (was strenggenommen ja schon ein Spitzname ist), im Juni waren dann die User einer Online-Tageszeitung aus Karlsruhe dran, im Juli die Zuschauer des ZDF, schließlich die Leser des kicker und die Besucher der von Oliver Kahns Management ins Leben gerufenen Website fanorakel.de.
„Flying Spargel“ oder „Die tollen Knollen“
Einige der Vorschläge waren gelinde gesagt bemerkenswert. Im Badischen zum Beispiel fanden Umfrage-Teilnehmer Gefallen an „Flying Spargel“, „Jogis Löwen“ oder „Die tollen Knollen“. Beim ZDF konnte man für „Die Müll(er)abfuhr“, „Schlandis“ und sogar „Die Panzer“ stimmen. (Was vier Prozent dann auch taten, hoffentlich waren es Spaßvögel.) Am Ende gewann: die Adler.
Durchsetzen konnte sich dieser neue Name allerdings nicht. Denn vier Jahre später, im Juni 2014, bestand das drängende Problem offenbar immer noch. Jedenfalls klagte die dpa erneut: „Etliche bei der Fußball-Weltmeisterschaft vertretene Mannschaften haben originelle Spitznamen. Nur Deutschland bildet die absolute Ausnahme: Das Team von Trainer Joachim Löw hat als einziges der 32 WM-Teilnehmer keinen.“
„La“, „The“ oder „A“ Mannschaft
Dabei hatten einige Schlaumeier schon bei der Debatte 2010 darauf hingewiesen, dass die Nationalelf (auch dies ein Spitzname!) doch durchaus schon unter einer anderen Bezeichnung bekannt wäre, zumindest im Ausland. Dort nannte man das deutsche Team, je nach Muttersprache, „la“, „the“ oder „a“ Mannschaft. Manchmal setzte man sogar noch einen deutschen Artikel davor. So schrieb die englische Zeitung Daily Mirror nach dem sensationellen deutschen Sieg gegen Brasilien bei der WM 2014: „Die Mannschaft ran out 7 – 1 winners in Belo Horizonte.“
Woher hatten die ausländischen Berichterstatter diesen Ausdruck? Zwar trug 1986 ein Buch von Ludger Schulze über die Geschichte der deutschen Nationalelf den Titel „Die Mannschaft“, doch erstens darf man bezweifeln, dass es außerhalb der Landesgrenzen sehr große Verkaufszahlen erreichte, zweitens war der Begriff zu jener Zeit zumindest bei unseren holländischen Nachbarn bereits fest etabliert. So titelte die Zeitung Leeuwarder Courant schon am 15. Juni 1970: „Verslagen Mannschaft verraste Engeland: 3 – 2.“ Was heißen sollte, dass die unterlegene deutsche Nationalelf England überraschte und nach 0:2‑Rückstand im Viertelfinale der WM noch 3:2 gewann. (Fast exakt vier Jahre später lautete übrigens eine Überschrift im Nieuwe Leidsche Courant: „Westduits publiek ergert sich aan overschatte ›Mannschaft‹“. Doch wie sich zum Leidwesen der Niederlande noch zeigen sollte, ärgerte sich die westdeutsche Öffentlichkeit nicht mehr lange über ihre überschätzte Nationalelf.)
Warum die Niederländer diesen Ausdruck – anstatt des korrekten „Nationalmannschaft“ – verwendeten, ist unklar. Vielleicht war ihnen dieses Wort zu lang und zu sperrig, vielleicht übersetzten sie auch nur den Namen ihrer eigenen Auswahl, „Nederlands elftal“, ins Deutsche und landeten bei „(deutsche) Mannschaft“. Jedenfalls legt ein kurzer Streifzug durch die internationalen Zeitungsarchive nahe, dass der Begriff erst viele Jahre später auch in anderen Ländern populär wurde.
„Simply known at home as the Mannschaft“
Vielleicht passierte das während der WM 1998. Da findet sich nämlich „la Mannschaft“ plötzlich in vielen französischen Zeitungen, was wiederum einen Autor wie Roger Cohen von der New York Times inspiriert haben könnte, der vor den Viertelfinalspielen daran erinnerte, dass die deutsche Nationalelf besonders gut darin ist, einen Rückstand aufzuholen, oft in den letzten Minuten: „This is an area in which the German team – known simply at home as the Mannschaft – has excelled, regularly coming from behind, often in the last minutes.“ In spanischen und englischen Medien dauerte es noch länger, bis der Spitzname gebräuchlich wurde. Erst zur WM 2010 tauchte er regelmäßig auf.
Im Sommer 2015 übernahm die Nationalelf den Begriff dann ganz offiziell, um „ein neues Markenbild zu schaffen“, wie Manager Oliver Bierhoff erklärte. Er sagte: „Man hat gespürt, ohne anderen Mannschaften zu nahe treten zu wollen, dass wir ›Die Mannschaft‹ sind.“ Er hat Glück, dass die WM 2018 nicht in einem englischsprachigen Land ausgetragen wird. Denn dort ist „shaft“ ein Slang-Ausdruck für das männliche Geschlechtsorgan, weshalb „die man shaft“ bei kindlichen Gemütern unkontrolliertes Gekicher auslösen kann. Tja, vielleicht sollte man doch noch mal über Flying Spargel nachdenken.