Jeden Monat erklärt Tommi Schmitt an dieser Stelle, was ihm im Fußball noch wichtig ist. Diesmal: Ein Champions-League-Abend gegen Real Madrid, Tönnies‘ Schweine und Hass auf den personalisierten Jubel.
Tommi Schmitt, der FC Schalke 04 ist seit 21 Spielen ohne Sieg. Müssen wir Mitleid haben?
Puh. Können wir nicht über steigende Corona-Fallzahlen, Intensivbetten oder die US-Wahl sprechen? Das sind doch weitaus positivere Themen.
Nein.
Zunächst müsste ich mal fragen, mit wem ich denn da überhaupt Mitleid haben soll. Ich glaube, ich könnte eher die letzten elf DSDS-Gewinner nennen als elf aktuelle Schalke-Spieler.(Überlegt.) Tomasz Waldoch spielt noch, oder? Die Profis sind teilweise so unbekannt, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sie von Jogi Löw nominiert werden. Ich hoffe wirklich – selbstverständlich aus völlig egoistischen Gründen – dass sich die Königsblauen fangen, damit wir hier mal andere Dinge diskutieren können. Klar, wir könnten uns jetzt wieder lustig machen. Aber man fährt ja auch nicht nochmal rückwärts über das tote Reh.
Aber die Krise des FC Schalke kann Sie doch nicht kalt lassen…
Ach, natürlich nicht! Der FC Schalke ist mittlerweile der HSV unter den Fußballvereinen. Es ist tragisch, was da passiert. Das geht ja schon als schwerer Verlauf durch. Der ganze Verein ist derzeit eine eigene Pandemie. Ein Geisterspiel im Geisterspiel. Königsgrau. Und das Schlimmste: Mir tut das alles wahnsinnig leid. Ich liebe Nordrhein-Westfalen und das Ruhrgebiet, ich entwickle immer merkwürdige Sympathien für Vereine, die alle Sympathien verspielt haben. Eine Bundesliga ohne den FC Schalke 04 lässt mich erschaudern. Vor allem was wird dann aus der florierenden Metropole Gelsenkirchen, City of Dreams? Man will sich das alles gar nicht ausmalen. Und können sich die Spieler dann überhaupt noch ihre Wohnungen leisten? Düsseldorf ist schließlich teuer. Ich möchte auch gar nicht wissen, wie die blau-weiße Fanseele dieser Tage aussieht. Wahrscheinlich wie Jiri Nemec. Aber was ist die Lösung? Sie haben da ja jetzt wirklich alles ausprobiert, jeden Spieler, jeden Trainer. Wann übernimmt Jenke von Wilmsdorff da für eine Woche das Ruder?
Die Schalker Fans hingen nach dem verlorenen Derby ein Banner auf: „Tönnies Schweine zeigen mehr Kampf als ihr.”
Das ist unfair. Immerhin trainieren Tönnies-Schweine auch über Monate auf engstem Raum. Das Derby war ja ohnehin ein Klassenunterschied. Schalke hat agiert wie Norbert Röttgen in der K‑Frage – ist irgendwie dabei, wird aber nicht wirklich ernst genommen. Und Borussia Dortmund tänzelte 90 Minuten um den Strafraum wie Jumbo Schreiner um’s Pulled-Pork-Buffet. Ich glaube, ich habe Aki Watzke sogar einmal lächeln gesehen. Vielleicht hatte er aber auch eine Maske auf. Aber klar, in so einer Tönnies-Wurst stecken mehr Überraschungen als im Schalker Angriffsspiel und die Schweine sind wenigstens auch international unterwegs. Insofern ist das Plakat nicht ganz falsch.
Wenden wir uns lieber der Sonnenseite zu: Robert Lewandowski hat in dieser Saison schon zehn Tore geschossen – acht mehr als Schalke. Toll, oder?
Ein Tor von Lewandowski gehört genauso zu einem Bayernspiel wie Neuers Reklamierarm oder Kimmichs Selbstkritik nach einem 14:0 über Real Madrid. Sagen wir so: Es freut mich natürlich total, wenn ein fleißiger Mensch belohnt wird. Allerdings ist Lewandowski so gut, dass es mich schon wieder langweilt. Ein Einser-Schüler, der auch in der sechsten Stunde nicht aufhört, sich zu melden. Und ich sitze daneben und schreibe mit Tipp-Ex auf ein Löschblatt. Ich frage mich, ob er sich selbst überhaupt noch freut. Ein Lewandowski-Tor in einem Bayern-Heimspiel ist so überraschend wie Markus Lanz einzuschalten und Karl Lauterbach oder Robin Alexander zu sehen. Aber das passt insgesamt schon alles gut zusammen: Wenn Robert Lewandowski ein Fußballverein wäre, wäre er der FC Bayern München. Was mir aber sehr missfällt, ist sein einstudierter Torjubel.
Viele Fußballer haben heute einen personalisierten Jubel: Cristiano Ronaldo dreht sich um sich selbst, Griezmann ahmt Videospielfiguren nach. Den Kindern auf den Bolzplätzen gefällt’s.
Alles entsetzlich, außer Marcell Jansens Skorpion-Jubel! Manchmal weiß ich nicht, ob ich gerade die Sky-Konferenz verfolge oder das Musikvideo vom Las-Ketchup-Song. Wo sind die großen Emotionen, die Unberechenbarkeit? Wie damals Pippo Inzaghi, der in jedem Vorbereitungsspiel gegen US Catanzaro beim 7:0 so geschrien hat, als säße er im Kreißsaal und bekäme überraschend Vierlinge. Das war noch geil. Jetzt habe ich die berechtigte Sorge, dass Serge Gnabry 2021 im EM-Finale die Mannschaft DIE MANNSCHAFT in der 93. Minute zum Titel schießt und Müslischalen rührend zur Eckfahne joggt.