Jagdszenen, Schläge, Drohungen – auf Schalke gingen Fans nach dem Abstieg auf die eigenen Spieler los. Was war genau passiert? Die Hintergründe zu einer fatalen Nacht.
Dieser Text erschien erstmals am 23. April, wenige Tage nachdem Schalkes Abstieg aus der Bundesliga feststand.
Der Klub hatte sich mit seinen Fan- und Sicherheitsbeauftragten bereits im Vorfeld abgesprochen, wie er im Falle einer Konfrontation mit wütenden Anhängern nach dem Abstieg reagieren würde. Drei mögliche Szenarien wurden durchgespielt: eine Konfrontation in Bielefeld beim Auswärtsspiel, auf der Rückreise oder bei der Rückkehr in Gelsenkirchen.
Nach dem besiegelten Abstieg der Mannschaft in Bielefeld kletterten zunächst einzelne Fans über die Absperrungen zum Stadion in Gelsenkirchen und ließen dann weitere über das Stadiontor aufs Gelände. Die Gruppe wuchs von zunächst 80 auf bis zu 500 Fans – nach Polizeiangaben neben Ultras auch viele „Schaulustige“. In der Folge meldeten sich sowohl Schalker Mitarbeiter vor Ort als auch die Polizei bei den S04-Funktionären, die sich auf der Rückreise befanden. Sie diskutierten den Plan, alle Spieler in Neunsitzern einzeln nach Hause und nicht geschlossen zur Arena zu fahren.
Am Parkplatz Resser Mark (fünf Kilometer vor der Arena) hielt der Tross dann an. Verantwortliche, Sicherheits- und Fanbeauftragte besprachen sich, auch einzelne Spieler wie Sead Kolasinac gaben ihre Einschätzung ab. Normalerweise steigen die Spieler am Hotel in der Nähe des Stadions aus und dort in ihre Privatwagen. Nach der Rückmeldung von Mitarbeitern vor der Arena soll aber am Parkplatz der Entschluss gefallen sein, mit den aufgebrachten Anhängern zu reden. Der Tenor lautete: Es sei besser, sich nun den Fans zu stellen, um Schlimmeres zu verhindern.
Schon in der Hinrunde nach dem Spiel gegen Union Berlin und vor dem Spiel in Augsburg hatten die Ultras mit dem Team in aufgeheizter, aber gewaltfreier Atmosphäre gesprochen. In der Rückrunde waren Personen vor dem Derby gegen Borussia Dortmund am Teamhotel erschienen, um die Verantwortlichen und Spieler zur Rede zu stellen – und mitunter wüst zu beschimpfen. Seinerzeit handelte es sich dabei aber nicht um Ultras, sondern um Mitglieder der alten Hooligangruppierung „Gelsen-Szene“.
Etablierte Spieler wie Sead Kolasinac oder Klaas-Jan Huntelaar hatten in der Vergangenheit einzelne Kontakte zu Personen aus der Ultraszene gepflegt – das ist bei vielen Vereinen nicht unüblich. Die Beziehung zwischen Mannschaft und Ultras war noch vor drei Jahren derart eng, dass das Logo der „Ultras Gelsenkirchen“ die Kapitänsbinde zierte.
Nach einer 0:4‑Niederlage gegen Düsseldorf 2019 nahmen die Capos der Gruppierung dem damaligen Spielführer Benjamin Stambouli allerdings die Binde wieder ab. Wenig später traf sich Stambouli zu einem versöhnlichen Gespräch mit den Ultras. Er wurde in deren Magazin „Blauer Brief“ mit den Worten zitiert: „Nach dem Spiel gegen Düsseldorf konnte ich eure Wut und Enttäuschung verstehen. Wenn so starke Emotionen im Spiel sind, geschehen solche Situationen nun mal.“ Konflikte zwischen Ultras und Spielern hatte es also schon im Vorfeld gegeben, allerdings keine gewalttätigen Übergriffe.
Dementsprechend sollen die Schalker Verantwortlichen eine solche Form der Eskalation nicht vermutet haben. Aus Spielerkreisen ist zu hören: Vorstand Peter Knäbel hatte ihnen zugesichert, dass der Verein auf alle Szenarien vorbereitet sei und die Situation im Griff habe.
Der Mannschaftsbus hielt um 1:29 Uhr vor dem Haupteingang des Stadions. Große Teile der wartenden Fans sollen bei der Ankunft des Busses vermummt gewesen sein – ein Ritus in der Szene, aber in diesem Moment auch ein furchteinflößendes Zeichen für die Businsassen. Die Einsatzkräfte der Polizei hielten sich derweil auf der anderen Seite des Arenarings auf. Man befürchtete, durch die Präsenz der Ordnungshüter für eine Eskalation unter den Anhängern zu sorgen. Ein Sprecher der Polizei sagt auf Nachfrage, dass die Kräfte in jener Situation keine rechtliche Handhabe gehabt hätten, sich auf dem Betriebsgelände des Vereins aufzuhalten.
Zunächst sollen Gerald Asamoah und Spieler wie Sead Kolasinac, Ralf Fährmann, Klaas-Jan Huntelaar und Timo Becker aus dem Bus gestiegen sein. Als die übrigen Spieler nachkamen, soll der Capo der Schalker Ultras eine Rede gehalten haben. Darin drohte er den Spielern angeblich Konsequenzen an, sollten sie für einen neuen Verein gegen Schalke ein Tor schießen. Außerdem sollen die Fans gefordert haben, dass nur noch Spieler in den verbliebenen Partien auflaufen, die auch in der Zweiten Liga im Verein bleiben. Viele Spieler und Mitarbeiter empfanden die Worte als beleidigend und bedrohlich. Aus der Meute heraus wurden Eier und Kartons geworfen, zudem zündeten Fans Bengalos.