Clemens Tönnies tritt von allem Ämtern beim FC Schalke 04 zurück. Wie das „System Tönnies“ funktionierte, schilderte uns Kornelia Toporzysek, die nach dem Rassismus-Skandal um den Aufsichtsratsvorsitzenden im vergangenen Sommer aus dem Schalker Ehrenrat zurücktrat.
Dieses Interview erschien erstmals im Juni 2020.
Kornelia Toporzysek, im vergangenen September sind Sie aus dem Schalker Ehrenrat zurückgetreten. Bis auf einen kleinen Beitrag in der ZDF-Sportreportage haben Sie sich dazu bislang öffentlich nicht geäußert. Weshalb?
Ich möchte keine schmutzige Wäsche waschen. Zudem habe ich keinen großen Geltungsdrang. Ich bin niemand, der in der Öffentlichkeit stehen möchte. Für die ZDF-Sportreportage im vergangenen Dezember habe ich eine Ausnahme gemacht, weil es da nicht um Clemens Tönnies ging, sondern allgemein um Rassismus im Fußball, ein wichtiges Thema.
Aber nun brechen Sie Ihr Schweigen.
Weil der Verein seit letztem Sommer versucht, die Sache totzuschweigen. Und weil ich der Meinung bin, dass sich beim FC Schalke 04 grundlegend etwas ändern muss. Jetzt geht es um die Sache, jetzt geht es um den Verein. Wenn wir jetzt nicht etwas verändern, wann dann? Wir müssen jetzt möglichst viel Druck auf die Straße bringen.
Was läuft schief?
Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Der Härtefallantrag zur Entschädigung der Dauerkarteninhaber. Die Fahrer-Geschichte. Ein PR-Desaster jagt das nächste. Nach dem Härtefallantrag sagt Jochen Schneider, der Verein müsse versuchen, emphatischer zu wirken. Wie wäre es denn mal mit: emphatischer sein? Bei solchen Äußerungen frage ich mich: Ist das Unfähigkeit? Oder Absicht? Ein Freudscher Versprecher?
Was lösen diese Ereignisse in Ihnen als Fan aus?
(Überlegt lange). Fassungslosigkeit. Entsetzen. Seit dem Rassismus-Skandal im vergangenen Sommer kommen wir aus den Negativ-Schlagzeilen nicht mehr heraus. Manche machen sich über den Verein lustig, andere bemitleiden uns sogar. Ich kann mich persönlich nicht daran erinnern, dass es schon einmal so schlimm war.
„Wir sind am Boden“
Und dabei sind die 15 sieglosen Spiele in Serie vermutlich noch das kleinste Problem, oder?
Genau. Der Verein verlangt einem nicht nur fußballerisch, sondern auch vereinspolitisch und in der Außendarstellung alles ab. Das ist kaum noch zu ertragen. Tiefer geht’s nicht. Wir sind am Boden. Ein hundertprozentiges Desaster. Das ist niederschmetternd.
Inwiefern?
Es gibt ein großes Gefühl der Entfremdung. Ganz viele Leute fragen sich, ob das eigentlich noch ihr Verein ist. Auch ich bin langsam an diesem Punkt. Wie konnte sich dieser Verein nur so weit von dem entfernen, wofür er eigentlich steht? Wir haben ein Leitbild, das sich die Mitglieder selbst gegeben haben. Das ist kein bloßes Lippenbekenntnis. Ich frage mich, ob sich unsere Verantwortlichen diesem Leitbild noch verpflichtet fühlen.
Weil Führungskräfte wie Jochen Schneider oder Alexander Jobst den Verein Schalke 04 mit seinen Werten und seiner Geschichte nicht verstehen?
Ich denke, das sollte man differenziert betrachten. Natürlich ist es toll, wenn jemand Stallgeruch hat, den Verein kennt und seine Werte verinnerlicht. Maßgeblich für die Übernahme eines Postens sollte jedoch vor allem Kompetenz sein. Auch mit qualifizierter Arbeit kann man für Ruhe im Verein sorgen. Letztendlich geht es darum, die Werte des Vereins glaubwürdig zu vertreten. Das kann man auch, wenn man nicht seit drei Generationen Schalke-Fan ist.
ist Richterin am Oberlandesgericht Düsseldorf. Am 30. Juni 2019 wurde sie von der Schalker Mitgliederversammlung in den Ehrenrat des Vereins gewählt. Am 17. September 2019 trat sie aus dem Gremium zurück.
Wie war es um diese Werte im Schalker Ehrenrat bestellt?
Ich bin damals angetreten, um meine juristische Kompetenz zum Wohle des Vereins einzubringen. Ich hatte aber den Eindruck, dass man von mir als Mitglied des Ehrenrats nicht in erster Linie kompetente und qualifizierte juristische Arbeit im Gremium erwartet, sondern Loyalität und Dankbarkeit gegenüber bestimmten Personen. Das ist nicht mein Anspruch.
Meinen Sie Clemens Tönnies, wenn Sie von „bestimmten Personen“ sprechen?
Es ist das System Tönnies. Der FC Schalke 04 beugt sich den Interessen seines Aufsichtsratsvorsitzenden. Ich glaube Clemens Tönnies, dass er Schalker durch und durch ist und dass ihm dieser Verein am Herzen liegt. Es gibt jedoch Punkte, an denen seine Interessen nicht mehr deckungsgleich mit denen des Vereins sind.
Wo gehen diese Interessen konkret auseinander?
Zum Beispiel im Umgang mit seiner rassistischen Äußerung. Nach allen Definitionen, die ich kenne, war diese Äußerung rassistisch. Auch weite Teile der Öffentlichkeit scheinen ja dieser Auffassung zu sein. Ich war überrascht, dass wir im Gremium überhaupt darüber gestritten haben.