Rolf Schafstall rettete reihenweise Bundesligisten vor dem Abstieg. Mehr noch als die Hitze im Tabellenkeller aber liebte der passionierte Feuerwehrmann seine Gattin Hildegard. Heute vor drei Jahren starb der harte Hund mit dem weichen Herzen. Das große Karriereinterview mit ihm aus 11FREUNDE #143 – nun erstmals online.
Mit welchem Spielertypus kamen Sie am besten aus?
Als Trainer müssen Sie mit allen auskommen, als Spieler nur mit einem.
Schön gesagt, aber mit allen hat es ja nicht geklappt.
Doch. Oder auf wen spielen Sie an?
Oliver Bierhoff, Ihr Spieler bei Bayer Uerdingen, nannte Sie mal den „schlechtesten Trainer, den ich je hatte“.
Logisch, weil er bei mir nicht gespielt hat. Bierhoff war ein junger Profi, der recht kopfballstark war. Ansonsten konnte er fußballerisch nicht auf dem Niveau meiner Angreifer Marcel Witeczek oder Stefan Kuntz mithalten.
Sie haben sechs Vereine als Feuerwehrmann im Tabellenkeller übernommen und vor dem Abstieg bewahrt. Verraten Sie uns Ihr Rezept?
Das geht nur, indem man durch Gespräche ständig die Hoffnung schürt, dass jedes Spiel eine neue Chance eröffnet, sich aus der Situation zu befreien. Jeder Spieler muss schnallen, dass es nur klappt, wenn jeder mitzieht.
Und wie kriegt man das in die Köpfe?
Mit einer unmissverständlichen Ansprache. Und wenn einer nicht mitzieht, muss ein Trainer auch Härte zeigen.
„Jetzt geh auf die Geschäftsstelle und lös deinen Vertrag auf“
Wo war das der Fall?
Als ich im Winter 1987 nach Uerdingen kam, schloss ich meine erste Ansprache mit den Worten: „Wer meint, den Anforderungen in puncto Disziplin, Trainingsfleiß und Einsatz nicht folgen zu können, soll es bitte jetzt sagen.“ Das erste Spiel in Hamburg verloren wir. Franz Raschid und Oliver Bierhoff saßen auf der Bank. Als ich am nächsten Morgen in die Kabine kam, hatte ich alle Antennen ausgefahren. In solchen Momenten muss ein Trainer sehr wachsam sein, um jede Regung mitzukriegen. Raschid und Bierhoff unterhielten sich angeregt darüber, dass sie nicht gespielt hatten. Ein Routinier – und ein sehr junger Spieler. Der Junge konnte nichts dafür, aber Raschid habe ich nach dem Training in mein Zimmer bestellt.
Zum Rapport?
In solchen Situationen konnte ich knallhart sein. Ich fragte, ob er mir denn nicht zugehört habe und schloss mit den Worten: „Jetzt geh auf die Geschäftsstelle und lös deinen Vertrag auf.“
Sie ließen nicht mehr mit sich reden?
Nein. Die Mannschaft hatte meine Ansprache gehört – und auch mitbekommen, dass Raschid und Bierhoff sich nicht an die Anordnungen gehalten hatten. Wenn ich das durchgehen lasse, mache ich mich unglaubwürdig. Spieler müssen das Gefühl haben, dass sie sich auf Ansagen verlassen können. Ab da war Ruhe in der Mannschaft – und am Ende der Saison landeten wir auf Platz sechs.
Ist es einem Spieler je gelungen, Sie mit Worten zu verletzen?
Nö. Dazu kamen die gar nicht, wenn sie bei mir trainierten.
„Was macht ein Mann, wenn er allein ist? Er geht in die Kneipe“
Ein düsteres Kapitel Ihrer Karriere war das Engagement bei Dynamo Dresden im Jahr 1999. In einem Interview im „Spiegel“ sagten Sie über die Atmosphäre bei dem Drittligateam: „In der Kabine steht keiner auf, keiner hört zu. Die sind nicht zur Arbeit erzogen, kein Anstand.“ Daraufhin wurden Sie nach nur 57 Tagen entlassen. Später haben Sie sich für Ihre Aussagen entschuldigt. Was war passiert?
Ich habe mich vom Vorstand dort sehr allein gelassen gefühlt. Es war die deprimierendste Zeit als Trainer. Ich war aufgrund früherer Erfahrungen im Osten – ich hatte vorher schon bei Stahl Brandenburg gearbeitet – zugegebenermaßen überkritisch. Aber die Spieler machten es mir durch ihr Verhalten auch nicht gerade einfacher.
Vor Ihrer Zeit in Dresden hatten Sie als Coach eine fünfjährige Pause eingelegt.
Die Achtziger und frühen Neunziger waren sehr aufreibend, ich hatte vorübergehend die Lust verloren. Wenn ich die Pause nicht eingelegt hätte, wäre ich heute vielleicht nicht mehr da. Ich hatte Angebote aus der Türkei, aber ich merkte, dass ich durchatmen muss. Manche Angebote habe ich zu schnell angenommen, ohne ausreichend drüber nachzudenken.
Woran lag das?
Ich tat mich stets schwer damit, zu Hause rumzusitzen. Ich brauchte das Gefühl, auf dem Trainingsplatz zu stehen.
Wie extrem war der jahrelange Stress im Tabellenkeller? Udo Lattek
hat gesagt, er brauchte ab und an sein Kölsch als Ventil.
Der Stress war immens, aber ein Bier habe ich mir auch unabhängig davon genehmigt. Ich konnte mit der Hektik recht gut umgehen, mir gefiel die Schwere der Aufgabe regelrecht. Zu einem Verein zu wechseln, der unten drin stand, diesen Moment habe ich fast genossen. Jedenfalls hat sich bei mir nie ein Burn-out breitmacht.
Nie Angst vor einem Herzinfarkt gehabt?
Gyula Lorant ist auf der Trainerbank gestorben. Es kommt immer darauf an, wie man mit Stress umgeht. Bei mir war meine Frau der Blitzableiter. Wenn ich abends im Essen rumstocherte und mich über die Mannschaft beschwerte, hat sie sich das immer ruhig angehört.
Sie wurden mehrfach in Ihrer Laufbahn mit Alkohol am Steuer erwischt. Beim VfL Osnabrück führte 1991 dieses Delikt sogar zur Entlassung.
Vielleicht hing es damit zusammen, dass ich wegen des Jobs immer wieder allein unterwegs war – ohne meine Frau. Und was macht ein Mann, wenn er allein ist? Er geht auch mal in die Kneipe und trinkt ein Bier. Und wenn ich dort ins Gespräch kam, bin ich auch mal klebengeblieben und habe ein zweites getrunken. Am Ende habe ich mich überschätzt und bin, anstatt ein Taxi zu nehmen, in mein Auto gestiegen. Keine gute Zeit. Diese Dinge möchte ich am liebsten vergessen.
Ihre Frau hat mal gesagt: „Wenn Rolf den Fußball nicht mehr hat, dreht er durch“. Sie wirken ganz friedlich.
Ich war ein Verrückter, ein Besessener. Aber die Zeit ist vorbei. Als Kind hatte ich nichts zu beißen, aber der Fußball hat mir ein wunderbares Leben ermöglicht.
Und wir halten fest: Der größte Erfolg im Leben von Rolf Schafstall ist die Beziehung zu seiner Frau?
Auf jeden Fall. Das ist das Größte. Die hat so viele Entbehrungen für mich auf sich genommen. Auch wenn es kitschig klingt: Die sechzig Jahre mit ihr sind mehr wert als jede Meisterschaft.