Werder Bremen erlebt eine Saison zwischen peinlichen Niederlagen und dem Verlust seiner spielerischen Leichtigkeit. Wie schlecht es dem Verein geht, zeigt sich auch daran, dass ein vorzeitiger Abschied von Trainer Thomas Schaaf nicht mehr vollkommen unmöglich erscheint.
Seinen Vorgänger trugen sie auf den Schultern aus dem Stadion. Sein Vorgänger hatte zwar in seiner letzten Saison knapp den Gewinn der Deutschen Meisterschaft verpasst und mit der Bekanntgabe seines Wechsels zum verhassten FC Bayern eine Art hanseatische Todsünde begangen, aber er wurde angemessen verabschiedet: Auf den Schultern seiner Spieler und mit Tränen in den Augen seiner Fans. Als Otto Rehhagel 1995 seine Arbeit bei Werder Bremen beendete, heulte das halbe Weserstadion vor Abschiedsschmerz.
Eine Entlassung von Thomas Schaaf? Ein frevelhafter Gedanke!
Sein Nachfolger ist derzeit weit entfernt von knapp verpassten Meisterschaften und rührseligen Ehrerbietungen. Sein Nachfolger ist vielleicht sogar näher dran an einer Entlassung, als an einer Verabschiedung mit Blumenstrauß und Abschiedsfoto. Allein die Vorstellung daran galt in Bremen bis vor wenigen Jahren als absurd, geradezu frevelhaft. Thomas Schaaf war eine ganze Fußballer-Generation lang so untrennbar mit Werder verbunden wie die Weser mit Bremen. Jetzt muss er sich die Frage gefallen lassen, ob er noch der richtige Trainer für den Verein ist.
Schuld daran ist nicht etwa nur die zermürbende Erfolglosigkeit, mit der sich Werder seit zwei Jahren durch die Bundesliga müht, vielmehr ist dem Verein die spielerische Leichtigkeit verloren gegangen, die Thomas Schaaf einst dem in der Post-Rehhagel-Ära darbenden Klub injizierte und Werder Bremen damit eine eigene Identität verpasste, die dem Verein weit über die Grenzen der Stadt hinaus große Sympathien einbrachte. Wenn Werder verlor, dann eben mit Pauken und Trompeten. Kein anderer deutscher Verein inszenierte seine Pleiten spektakulär als die doch eigentlich als kühle Norddeutsche gebrandmarkten Bremer. Werder war sexy, bei Sieg, Unentschieden und sogar Niederlage. Dass ausgerechnet der so herrlich schroff wirkende Thomas Schaaf dem Klub diese erotische Ausstrahlung verpasste, hat ihm in der Anhängerschaft den Status eines Halbgotts verschafft.
Dass Schaaf mit seinem provozierend offensivem Fußball auch noch Titel gewann, war noch erstaunlicher. Und weil Schaaf diese herrliche Kombination aus Attraktivität und Erfolg gelang, glauben viele Werderaner bis heute, dass Thomas Schaaf für jedes Bremer Problem eine gute Lösung hat.
Hat er das? Schafft er es noch, eine Mannschaft zu formen, die den gehobenen Ansprüchen des eigenen Publikums gerecht werden kann? Ist Thomas Schaaf noch der richtige Trainer für Werder Bremen?
Dass diese Frage noch immer so verpönt ist, liegt vor allem an einer ganz eigenen Bremer Mischung aus Treue, Dankbarkeit und Zukunftsangst, die Schaaf die laute Kritik an seiner Arbeit erspart.
Auf die Treue ist man in Bremen stolz, verächtlich schaut man hier seit Jahren Richtung Schalke, Wolfsburg oder Hamburg, wo die Trainer so häufig gewechselt wurden wie bei Werder die Stutzen. Und man genießt den Neid und die Anerkennung der Bundesliga, seit beinahe 15 Jahren auf ein- und denselben Übungsleiter zu setzen.
Die Dankbarkeit hat sich Schaaf mit seiner Arbeit und seinen Erfolgen zweifellos verdient. Keine Frage.
Und dann ist da noch die Angst vor dem was kommen könnte nach Schaaf. Die in der Vereinshymne besungenen „Jahre voller Frust“ zwischen dem Abgang von Otto Rehhagel 1995 und der (damals übrigens noch ziemlich kritisch beäugten) Begrüßung von Thomas Schaaf 1999 haben die Werder-Fans traumatisiert. De Mos, Dörner, Sidka und Magath zerstörten den guten Ruf der Bremer in nur vier Jahren, Schaaf benötigte Jahre, um dem Klub wieder sein Selbstbewusstsein zurückzugeben.
Werder Bremen, graue Maus der Bundesliga
Was also, wenn Werder nach dem Ende der Ära Schaaf wieder in so ein Loch fällt? Wenn aus dem sexy Erfolgsverein Werder wieder eine graue Maus wird?
Doch diese Frage stellt sich im Frühjahr 2013 nicht. Denn die Situation ist eine andere, als im Sommer 1995. Als Otto Rehhagel den Verein verließ, war Werder gerade Zweiter geworden. Die letzte Meisterschaft lag lediglich zwei Jahre zurück. Der SVW war eine der besten Mannschaften Deutschlands. Rehhagels Nachfolger mussten schon eine Menge investieren, um den Verein so brutal gegen die Wand fahren zu lassen.
Das Werder Bremen der Gegenwart ist längst eine graue Maus. Nicht nur, dass der Klub auf Platz 14 der Tabelle steht und schon zwölf Mal in dieser Saison verloren hat – die Mannschaft spielt auch keinen attraktiven Fußball mehr. In ihren schlimmsten Momenten spielt sie sogar nicht mal wie eine Mannschaft. Sexy war Werder zuletzt in der Saison 2009/10, Mesut Özil sei Dank. Das ist jetzt drei Jahre her.
In das Loch, vor dem sich viele Werder-Fans so sehr fürchten, ist der Klub bereits gefallen.
Die Verdienste von Thomas Schaaf um den SV Werder Bremen sind einzigartig. Sie hier aufzulisten würde den Rahmen sprengen. Aber vielleicht ist er tatsächlich nicht mehr der richtige Trainer für den Verein. Vielleicht muss er sich einfach samt Blumenstrauß und Abschiedsfoto auf den Schultern seiner Spieler aus dem Stadion tragen lassen. Wer weiß, was dann aus Werder wird. Aber das wäre dann nicht mehr das Problem von Thomas Schaaf. Er hätte seine Lösung gefunden.