Zinedine Zidane betritt zehn Jahre nach seinem Karriereende wieder die große Fußballbühne. Sein Gesamtwerk als Spieler erscheint immer noch eindrucksvoll.
Auf den Spuren Zinedine Zidanes ging ich im Frühjahr 2004 über den Place de la Tartane in Marseilles räudiger Satellitenstadt La Castellane hoch über dem Meer. Hier, im Betongrau eines abgehängten Vororts, war Zidane Kind, Sohn eines Nachtwächters, besessen vom Judo und vom Fußball. Hier spielte er tagein, tagaus, und bei meinem Besuch kam es mir so vor, als erklärte der Platz den Spieler, der aus ihm geworden ist, einen der besten, die es je gab.
Der Platz, um den Hochhäuser stehen wie die Ränge eines steilen Stadions, ist gepflastert mit rötlichen Steinplatten, mit Schmutz überpudert, rutschig. Es ist ein Boden, der den geringsten Fehler bestraft. Hier wurde Zidane, so dachte ich, zum perfekten Spieler. Einer, der im Gewühl des Straßenfußballs vieltausendfach die Bewegungen einübte, die seine spätere Überlegenheit begründeten. Aber es war Zidane selbst, der diesem Eindruck widersprach.
Als ich später einmal Gelegenheit hatte, ihn auf dem Höhepunkt seines Ruhms für den „Spiegel“ zu interviewen, kurz und kostbar (ganze elf Minuten lang), sagte er: Ja, es stimme schon, der Place de la Tartane habe ihn vieles gelehrt. Zum reifen Spieler aber sei er erst bei Juventus Turin geworden; in der Härte der langen italienischen Saison; im Duell mit den besten Verteidigern. Er redete, das vor allem nahm ich mit, nicht wie ein Meister seines Fachs, sondern wie ein Schüler. Als einer, der sich bescheiden darum bemüht, ein besserer Spieler zu werden. Und er war, der Weltberühmte, nahbar und nett. Gut möglich, dass darin das Geheimnis seiner Größe liegt.
Ein äußerst fleißiges Genie
Jeder seiner ehemaligen Trainer bestätigt es: Zidane war bescheiden, und er arbeitete hart, härter als die meisten anderen Profis. Er folgte, bestimmt ohne es zu wissen, einem Aphorismus Goethes, der lautet: „Genie ohne Fleiß ist nichts.“ Und Zidane war ein äußerst fleißiges Genie, er war selbst sein größter Schinder, auch dann noch, als er längst angekommen war in Turin, in Madrid. Er schliff sich selbst, immer feiner, immer funkelnder, als hätte er begriffen, dass sein Talent ein so großer Diamant war, dass er nicht ihm allein, sondern dem Publikum der ganzen Welt gehörte.
Schon als Jugendlicher putzte er freiwillig Mannschaftskabinen, um Demut zu üben und seine Wutausbrüche unter Kontrolle zu bekommen. Beharrlich erarbeitete er sich einen „linken Fuß“, indem er in stundenlanger Qual Bälle gegen Mauern trat. Es bedurfte Jahre harten Trainings, bis aus ihm ein anständiger Kopfballspieler geworden war (und dann machte er im August 1994, beim Länderspieldebüt, seine ersten beiden Tore mit links und mit dem Kopf).
Getrimmt auf geradlinige Effizienz
Wer ihn im Stadion gesehen hat, auch in x‑beliebigen Partien, wird ihn nicht vergessen. Er wirkte bei seinen Aktionen stets eher langsam als schnell, immer ruhig, nie wirbelnd. Er war mit 1,85 Metern nach heutigen Standards groß, was ihm eine gewisse altmodische Eleganz verlieh. Zudem hatte er seinem Körper jede überflüssige Bewegung abtrainiert. Alle kontrollierte Kraft war gerichtet auf die beste, die adäquate Aktion, getrimmt auf geradlinige Effizienz.
Er bewegte sich durch den Tumult des modernen Mittelfeldspiels mit der Souveränität eines Königs, die seine Gegen- und Mitspieler stets hektisch aussehen ließ. In allen Partien, die ich von ihm gesehen habe, erweckte er nie den Eindruck von Hast, von hässlicher Eile, selbst wenn ihm zwei, drei Verteidiger auf den Leib rückten. Immer schien es, als habe er in jedem Moment den einzig gültigen Überblick über die Spielsituation – und zugleich eine klare Vorstellung davon, was die nächsten Sekunden bringen würden. Es war, anders gesagt, sehr schön, Zidane bei der Arbeit zuzusehen.