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Zunächst einmal: Ich habe Claudio Pizarro längst ver­ziehen.

Damals, im Sommer 2001 war das anders. Da hatten die Bayern in ihrer Ein­falls­lo­sig­keit mal wieder den Geld­koffer geöffnet und Pizarro für 18 Mil­lionen Mark an die Isar gelockt. Was inso­fern noch gemeiner war als sonst, da die Mün­chener zwei Jahre zuvor über eben jenen Pizarro noch höh­nisch gegrinst hatten, war doch zeit­gleich Para­guays Über-Talent Roque Santa Cruz zu den Bayern gewech­selt. Ziel­si­cher hatte der Kicker“ dar­aufhin Bre­mens Peruaner als Santa Cruz für Arme“ bezeichnet.

Was für eine Fehl­ein­schät­zung. Doch dazu später mehr.

Am Samstag wird Claudio Pizarro beim Heim­spiel der Bayern gegen Bayer Lever­kusen offi­ziell ver­ab­schiedet. Er ist inzwi­schen 36, im Oktober wird er 37. Seit 1996 spielt er Pro­fi­fuß­ball. Da war sein Team­kol­lege Mario Götze gerade vier Jahre alt und ver­mut­lich stolz wie Bolle, weil er unfall­frei auf die Toi­lette gehen konnte. In 383 Bun­des­li­ga­spielen hat Pizarro 176 Tore geschossen. Mehr als jeder andere Aus­länder im deut­schen Erst­li­ga­fuß­ball. Er war sechsmal Deut­scher Meister, sechsmal DFB-Pokal­sieger. Hat die Cham­pions League gewonnen, den Welt­pokal, die Klub-WM, den Liga­pokal, den Supercup, national und inter­na­tional. Claudio Pizarro hat alles gewonnen, er ist alt geworden. Es ist Zeit für ihn zu gehen.

Ich kann doch als ehe­ma­liger Bayern-Spieler nicht zu Sechzig gehen“

Obwohl er noch gar nicht auf­hören möchte. Denn Pizarro mag zwar stramm auf die 40 zugehen, sieht aber aus wie 24 und spielt Fuß­ball wie ein 30-Jäh­riger. Spötter würden sagen: Er hat sich ja auch in den ver­gan­genen Jahren genü­gend aus­ruhen können auf der Bank beim FC Bayern. Obwohl die viele Titels­tem­merei sicher­lich auch nicht immer ein­fach gewesen sein muss. Ingol­stadt und Augs­burg haben Inter­esse an einer Ver­pflich­tung ange­meldet, ebenso wie 1860 Mün­chen. Doch die spielen in der zweiten Liga, da sieht sich Pizarro (noch) nicht. Und außerdem: Ich kann doch als ehe­ma­liger Bayern-Spieler nicht zu Sechzig gehen. Als Bremer kann man auch nicht nach Ham­burg gehen.“

Ich frage mich: Warum hat sich Werder Bremen noch nicht für einen Transfer stark gemacht?

Wo doch hier alles anfing. Im August 1999. Da war Jürgen L. Born gerade mal einen Monat lang im Amt als neuer Vor­stands­boss und legte gleich mal einen satten Start hin: Durch seine Kon­takte als Vor­sit­zender der Deut­schen Bank in Para­guay, Uru­guay und Bra­si­lien kenne er da wen und der kenne einen 20 Jahre alten Stürmer namens Claudio Pizarro. Gemeinsam mit Klaus Allofs flog Born nach Lima, um sich den Fuß­baller in Diensten des perua­ni­schen Haupt­stadt-Klubs Ali­anza mal genauer anzu­schauen. Für 1,5 Mil­lionen Mark wech­selte Pizarro nach Bremen.

Und hier beginnt die Lie­bes­ge­schichte zwi­schen einem 1,86 Meter großen Perua­ners mit halb­mond­großen Grinsen und jedem Werder-Fan, der 1999 bereits in der Lage war zu lieben. Vier Jahre Schrott­fuß­ball lagen hinter dem grün-weißen Anhang. Die Jahre voller Frust“, wie es in der Ver­eins­hymne Das W auf dem Trikot“ beklagt wird. Bei Werder spielten damals Männer wie Bern­hard Trares, Andree Wie­dener oder Juri Maximov. Fuß­baller, das schon. Aber mit so viel Sex­ap­peal ver­sehen wie ein Keusch­heits­gürtel. Alt­ge­diente Recken wie Marco Bode, Dieter Eilts oder Andreas Herzog steckten im Herbst der Kar­riere fest. Und dann war da noch ein leicht über­ge­wichtig erschei­nender Bra­si­lianer, der angeb­lich ganz ordent­lich kicken konnte, das jedoch noch nie unter Beweis gestellt hatte, ziem­lich teuer gewesen und vom erneut weit­sich­tigen Kicker“ als 5,5 Mil­lionen-DM-Miss­ver­ständnis“ abge­stem­pelt worden war.

Und dann kam Pizarro

Werder begann die Saison 1999/2000 mit einem 0:0 gegen den VfB Stutt­gart. Dem folgte eine 0:1‑Niederlage gegen Schalke 04. Am dritten Spieltag musste Werder bei Hertha BSC antreten. Nach 59 Minuten stand es 1:0 für die Ber­liner. Thomas Schaaf schickte seinen neuen Mann auf den Rasen. Das Spiel endete mit 1:1 durch ein Tor von Rade Bog­d­a­novic.

Beim nächsten Spiel ent­schied sich Schaaf, Pizarro von Beginn an auf­laufen zu lassen.

Nach 20 Minuten traf Pizarro per Kopf zum 1:0.
Nach 42 Minuten legte er Torsten Frings nach 2:0 auf.
Nach 66 Minuten wech­selte Schaaf Ailton ein.
Nach 90 Minuten stand es 5:0 für Werder.

So unglaub­lich hilflos“

Vier Tage später trat Werder in der 1. Runde des Uefa-Cups gegen die Nor­weger von Bodö/​Glimt an und gewann mit 5:0. Zwei Tore schoss Claudio Pizarro. Und der geg­ne­ri­sche Trainer ent­schul­digte sich anschlie­ßend bei seinen Fans, weil wir so unglaub­lich hilflos waren“.

Wieder drei Tage danach brachte Schaaf Pizarro und Ailton das erste Mal von Beginn an zusammen. Werder gewann mit 7:2, Ailton traf einmal, Pizarro erzielte zwi­schen der 46. und 83. Minute einen lupen­reinen Hat­trick.

In drei Spielen mit Pizarro in der Startelf hatte Werder Bremen 17 Tore geschossen. Sechs davon der 20-jäh­rige Peruaner.

Ich war damals 15 und natür­lich kaufte ich mir ein Pizarro-Trikot. Ich trug es mit Stolz, und in den beiden Fol­ge­jahren gab es dafür allen Grund. Pizarro und Ailton waren in diesen Jahren das viel­leicht auf­re­gendste Spek­takel der Bun­des­liga. Und die Vor­lage für die viel­leicht schönsten Über­schrift der jün­geren Werder-His­torie: Pizza-Toni lie­fert wieder“. Manchmal hat man eben sehr viel Schwein und darf sich über einen Fuß­baller in den eigenen Reihen freuen, der eigent­lich viel zu gut ist.

In den BMW vom Schul­hof­proll

Das erkannten auch die Bayern und stellten die Dinge im Sommer 2001 gleich mal richtig. Meine Liebe wech­selte zum Feind. Als würde das Her­zens­mäd­chen nach zwei Som­mern auf meinem Gepäck­träger plötz­lich in den tie­fer­ge­legten BMW vom Schul­hof­proll aus dem Abi-Jahr­gang steigen und mit wehenden Haaren gen Vor­stadt-Villa ent­schwinden.

Ich nahm schlimme Rache. Klebte weißes Maler­krepp über Pizarros Namen auf meinem Trikot und pin­selte Judas“ drüber. Sah scheiße aus, war auch scheiße, aber was tut man nicht alles, wenn das Herz blutet?

Werder wurde 2004 schließ­lich auch ohne Pizarro Meister. Der räumte dafür in Mün­chen ordent­lich ab, in der Double-Saison 2004/05 schoss er gar 21 Tore in 35 Pflicht­spielen. Und als er (oder sein Berater) dachte, jetzt sei es an der Zeit, die Welt zu erobern, heu­erte er beim FC Chelsea an. Das ging voll in die Hose, Pizarro spielte kaum und traf noch weniger. Und was macht man, wenn die Über­hol­spur-Bezie­hung mit der ras­sigen Schön­heits­kö­nigin in die Hose geht? Man erin­nert sich an die her­zens­gute Ex von früher. 2008 wurde Pizarro an Werder aus­ge­liehen, ein Jahr später gar gekauft.

Ich besei­tigte ver­schämt die letzten Reste vom Maler­krepp.

So auf­re­gend wie noch zur Jahr­tau­send­wende hat Pizza“ nie wieder gespielt. Dafür aber besser. Den Werder-Fans bescherte er die letzten richtig guten Jahre der Schaaf-Ära, dann setzte er sich lieber als Edel­joker auf die Bank der Bayern, was selbst ich ihm nicht ver­übeln konnte. Das hatte er sich längst ver­dient.

Was fürs Herz

Claudio braucht unge­fähr drei Minuten, dann gehört er zu jeder Mann­schaft“, sprach Marco Bode in jenem auf­re­genden Spät-Sommer 1999, als sich der Mann aus Peru auf­machte, die Bun­des­liga zu erobern. Ich möchte hin­zu­fügen: und wei­tere zwei Minuten, um sich in die Herzen seiner Fans zu spielen.

Bleib uns erhalten, Claudio Pizarro!

PS: Werder Bremen, irgend jemand da?