Einst lief er vor 80.000 Fans im Westfalenstadion auf, mittlerweile arbeitet er in einem Autohaus. Heute wird Salvatore Gambino 40 Jahre alt – und kann vom Fußball nicht lassen. Das führte ihn bisweilen in den tiefsten norwegischen Winter. Oder auf ein Kreuzfahrtschiff in Italien.
Dieses Interview erschien erstmals im Sommer 2020.
Salvatore Gambino, kaufen die Menschen gerade eigentlich mehr oder weniger Autos als vor der Corona-Pandemie?
Beim Verkauf gab es einen kleinen Durchhänger. Mittlerweile hat sich die Lage aber wieder stabilisiert. Der Service lief auch während des Lockdowns normal weiter. Schließlich gibt es immer Autos, die repariert werden müssen.
Seit Sommer 2019 arbeiten Sie in einem Autohaus in Werl. Was sind ihre konkreten Aufgaben?
Ich bin Serviceberater, nehme Telefonate von Kunden entgegen. Wenn jemand Probleme mit seinem Fahrzeug hat oder eine Inspektion wünscht, suche ich nach einem passenden Termin.
Wie reagieren die Kunden, wenn Sie sich mit „Gambino“ am Telefon melden?
Am Telefon verstehen es die meisten wahrscheinlich gar nicht. Da gibt es selten Nachfragen. Wenn sie bei einer Inspektion vor mir stehen, erkennen mich manche Leute aber schon. Zumeist halten sich die Kunden dann aber zurück, sind eher schüchtern. Autogrammwünsche gibt es aber manchmal dennoch.
Wie wichtig sind Ihnen Autos heutzutage?
Ich sehe sie nicht als Statussymbol. Meine Eltern und ich kommen eher aus einfacheren Verhältnissen. Wir haben uns alles selbst erarbeitet. Daher finde ich es nicht schlimm, mit einem schönem Auto durch die Gegend zu fahren. Ich habe aber keinen Ferrari, sondern fahre als Familienvater einen großen Audi. Eine Familienkutsche, in die alle reinpassen.
Während Ihrer Zeit in der Bundesliga hatten doch bestimmt einige Spieler beeindruckende Autos. Wer fuhr die dickste Karre?
Viele hatten einen Ferrari, aber auch andere teure Autos. Ich jedoch nicht (lacht). Meistens gilt: Jüngere Spieler fahren kleinere Modelle. Ältere, gestandene Spieler hingegen dickere und größere.
wechselte in der C‑Jugend zu Borussia Dortmund. In der Saison 2003/04 wurde er regelmäßig bei den Profis eingesetzt. 2006 wechselte er zum 1. FC Köln. Später spielte er in unterklassigen Ligen in Italien. Heute ist er Co-Trainer bei RW Ahlen in der Regionalliga West.
Neben ihrem Job im Autohaus spielt auch der Fußball noch eine große Rolle in ihrem Leben: Sie sind Co-Trainer bei Rot-Weiß Ahlen. Wie sieht derzeit ein ganz normaler Tag bei Ihnen aus?
Ich stehe um sechs Uhr auf, meistens sind meine Kinder dann auch schon wach, sodass ich sie noch eine halbe Stunde unterhalten kann. Dann fahre ich ins Autohaus, wo ich von 8 bis 17 Uhr arbeite. Danach geht es direkt von Werl nach Ahlen zum Training. Gegen 20.30 Uhr bin ich dann in der Regel wieder zuhause.
Das klingt nach einem straffen Programm.
Derzeit ist es schon sehr straff, da wir in der Vorbereitung sind. In der Saison habe ich dann etwas mehr Zeit.
„Zum Glück muss ich als alter Sack nicht mehr alles mitmachen“
Letzte Saison waren Sie noch spielender Co-Trainer bei Westfalia Rhyern in der Oberliga. Nun sind Sie bei Rot-Weiß Ahlen in der Regionalliga. Was sind dort ihre Aufgabenbereiche?
Ich spiele nicht mehr und betreue die Jungs ausschließlich als Co-Trainer. Ich glaube zwar, dass ich noch hätte spielen können, aber mittlerweile merkt man die Knochen dann doch deutlich mehr als früher. Sie machen einfach nicht mehr so mit, die jungen Spieler laufen spielend an mir vorbei. Ein bisschen könnte ich mit Auge und Cleverness ausgleichen, so richtig viel Spaß würde es aber wohl nicht mehr machen.
Wie war das eigentlich als spielender Co-Trainer? Haben Sie die komplette Vorbereitung mitgemacht, also auch die schweißtreibenden Konditionsläufe?
Zum Glück habe ich an manchen Tagen eine Gruppe übernommen. Dann musste ich als alter Sack nicht alles mitmachen (lacht).
Wie sind Sie überhaupt in Ahlen gelandet?
Die Verbindung kam über Björn Mehnert, über den ich auch im Autohaus gelandet bin, zustande. Mit ihm habe ich schon in der BVB-Reserve gespielt und bei Westfalia zusammengearbeitet. Wir stehen kontinuierlich in Kontakt, er ist ein guter Mensch. Ende Mai hat er mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, sein Co-Trainer zu werden. Damals hat er mir aber noch nicht verraten, wo. Als klar war, dass es Ahlen wird, habe ich ohne langes Überlegen zugesagt.
Wären Sie ihm überall hin gefolgt?
Überall nicht. Die Entfernung musste es schon zulassen. Es musste natürlich auch mit der Arbeit passen. Mit dem Geld, das ein Co-Trainer in der Regionalliga verdient, kann man keine Familie ernähren.
Könnten Sie sich vorstellen, hauptberuflich als Co-Trainer oder Trainer zu arbeiten?
Auf jeden Fall. Das wäre mein Traum. Ich habe schon immer für den Fußball gelebt. Zum Glück habe ich damals dennoch meine Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel beendet, sodass ich ein zweites Standbein habe.
Während Ihrer Ausbildung gelang Ihnen der Sprung zu den Profis von Borussia Dortmund. Wie haben Sie das geschafft?
Ich habe meine Ausbildung in einem Sportladen absolviert. Als ich dann mit den Profis trainiert und auch gespielt habe, hatte ich deutlich weniger Zeit. Glücklicherweise hat mir der BVB angeboten, meine Ausbildung in der Dortmunder Geschäftsstelle fortzusetzen.
„Heute spielst du von Anfang an, Salva“
Matthias Sammer holte Sie in die erste Mannschaft. Einst sagten Sie über ihn: „Er war der beste Trainer, den ich hatte.“ Was hat ihn so besonders gemacht?
Die Art und Weise, wie er mit mir gesprochen hat, hat mich sehr beeindruckt. Er war ein großer Spieler, wusste also auch, wie er uns anpacken muss. Dabei hat er uns wichtige Freiheiten gewährt und Tipps gegeben, wie wir uns auch abseits des Platzes verhalten sollen. Eine Sache ist mir dabei besonders in Erinnerung geblieben: Er meinte, wir sollten uns nicht direkt ein großes Auto kaufen. Insgesamt hat mich sein ganzes Auftreten überzeugt. Ich habe alles aufgesogen.
Unter Sammer haben Sie auch ihr Bundesliga-Debüt gefeiert.
Genau, wir hatten ein Spiel zuhause gegen Hamburg. Am Morgen kam er zu mir und meinte: „Heute spielst du von Anfang an, Salva.“ Ich habe ihn nur ungläubig angeschaut und gefragt: „Wie?“ – „Ja, heute spielst du.“ Ich habe dann sogar ein Tor vorbereitet und wir haben 3:2 gewonnen. Eine Woche später saß ich in München 90 Minuten auf der Bank. Matthias Sammer wollte mich nicht verheizen, es ruhig angehen lassen. Wir haben 0:5 verloren. Einen Tag später habe ich für die Amateure getroffen. Beim nächsten Spiel gegen Leverkusen durfte ich dann wieder von Beginn an ran und habe zwei Tore gemacht.
Zwei Tore im Westfalenstadion – da hatten Sie sicher Gänsehaut.
Ja, aber die heftigste Gänsehaut habe ich immer beim Aufwärmen bekommen. Damals wurde noch jeder einzeln aufgerufen und ist vor die Südtribüne gegangen. Dieses Gefühl, dort vor der Wand zu stehen, tausende rufen deinen Namen. Mehr Motivation geht nicht, unglaublich!
Beim BVB haben Sie auch David Odonkor kennengelernt. Mit ihm sind Sie nun schon lange eng befreundet.
David kenne ich schon seit ich 15 bin. Wir haben in der Jugend zusammengespielt. Auch damals haben wir schon gemeinsam viel unternommen. Als er dann nach Spanien gegangen ist (zu Betis Sevilla, Anm. d. Red.), bin ich hingeflogen und er hat mir alles gezeigt.
Ist so eine Freundschaft im Konkurrenzgeschäft Profifußball normal?
Überhaupt nicht. Zumal wir auf der gleichen Position spielten, eigentlich Konkurrenten waren. Da kann eine Freundschaft auch leicht mal zerbrechen. Bei uns war das zum Glück überhaupt nicht der Fall. Wenn der eine getroffen hat, hat sich der andere gefreut.
Sie waren beide häufig verletzt. Schweißt so etwas auch zusammen?
Einmal hatten wir gleichzeitig eine größere Verletzung und haben daher die Reha zusammen in Regensburg absolviert. Drei Monate schuften, drei, vier Behandlungen pro Tag, mit speziellen Trainern. Bei so einem Pensum muss man sich gegenseitig immer wieder hochziehen. Wenn einer einen Rückschlag erlitten hat, war der andere da und hat ihn aufgebaut.
Nach einigen Verletzung und Rückschlägen lag Ihnen schließlich ein Angebot aus Norwegen vor. Sie haben beim damaligen Erstligisten Kongsvinger IL sogar ein Probetraining absolviert.
Genau. Nach meiner langen Verletzung bin ich für drei Tage nach Norwegen geflogen. Jedoch hat es mir dort überhaupt nicht gefallen. Minus 30 Grad, das war nichts für mich. Ich habe keinen Vertrag unterschrieben und bin auch nie für die Mannschaft aufgelaufen.
Wie lief ihr Aufenthalt im hohen Norden ab?
Nach der Landung wurde ich abgeholt und wir sind drei Stunden durch die norwegische Schneelandschaft gefahren. Viel Weiß, viele Bäume und sonst nichts. Die zwei Nächte habe ich direkt über einer Tankstelle in einem B&B verbracht. Irgendwie ungewöhnlich, aber auch muckelig. Ich bin froh, auch diese Erfahrung gemacht zu haben.
Ende 2010 haben Sie dann einen Vertrag in Italien bei Trapani Calcio unterschrieben. In der vierten Liga. Wie kam es dazu?
Der Kontakt ist über meinen Onkel und meine Großeltern zustande gekommen. Ich bin nach Italien geflogen, obwohl ich immer noch Probleme mit meinem Knie hatte, humpelte und maximal bei 50 Prozent war. In den ersten zwei Monaten habe ich praktisch nur von morgens bis abends mit dem Fitnesstrainer trainiert. Viermal am Tag. Irgendwann hatte ich dann überhaupt keine Probleme mehr mit dem Knie. Vielleicht lag es an der italienischen Luft, direkt am Meer (lacht).
„Ein Arzt riet mir dazu, meine Karriere zu beenden. Mit 26 Jahren. Für mich war klar, das geht nicht“
Klingt, als hätte es Ihnen dort besser gefallen als in Norwegen.
Ja, auf jeden Fall. Bei Trapani hatten wir einen Präsidenten, der richtig viel Kohle hatte. Da ihm ein Schiffsunternehmen gehört, habe ich zwei Jahre auf einer Art Kreuzfahrtschiff gewohnt. Das lag da einfach im Hafen, ich konnte mit dem Auto dort hineinfahren und hatte dann weiter oben ein eigenes Zimmer. Genau wie fünf, sechs andere Spieler auch. Das war echt super, wie in einem Hotel mit Vollverpflegung. Als meine Frau dann nach Italien kam, habe ich mir allerdings etwas anderes gesucht (lacht).
Wie lief es sportlich?
Ziemlich gut. Wir sind direkt in meiner ersten Saison von der vierten in die dritte Liga aufgestiegen und dort dann auch nur ganz knapp in der Relegation am Aufstieg in die Serie B gescheitert.
In der 2. Bundesliga haben Sie hingegen gespielt. Für den 1. FC Köln. Damals lag Ihnen auch ein Angebot von Mainz 05 und Jürgen Klopp vor.
Ganz ehrlich: Ich habe meine Entscheidungen nie bereut. Jürgen Klopp hat mich damals nach Mainz eingeladen. Ich habe mir dort das Gelände und Stadion angeschaut, hatte ein tolles Gespräch mit Klopp. Er ist einfach ein toller Mann, ein toller Trainer. Ich war so beeindruckt, dass ich mit dem Gefühl nach Hause gefahren bin: Ja, das ist es. Am gleichen Abend hat sich Michael Meier (damaliger Manager des 1. FC Köln, Anm. d. Red.) bei mir gemeldet. Ihn kannte ich bereits vom BVB, dort habe ich mich überragend mit ihm verstanden. Nachdem ich mir in Köln alles angeschaut hatte, war ich ebenfalls sehr beeindruckt, obwohl der FC damals in der zweiten Liga spielte. Die Nähe zu meinen Eltern hat dann den Ausschlag für Köln gegeben.
Nach zwei Jahren in Köln wechselten Sie 2008 zur TuS Koblenz. Dort machten Sie aufgrund von Verletzungen allerdings nur zwei Spiele.
Ja, ich habe mich schwer am Knie verletzt. Es war keine einfache Zeit. Ein Arzt riet mir sogar dazu, meine Karriere zu beenden. Mit 26 Jahren. Für mich war klar, das geht nicht. Das habe ich einfach nicht in meinen Kopf bekommen. Wenn du dein ganzes Leben für Fußball gelebt hast und dann sagt dir ein Arzt im besten Fußballalter, dass du aufhören sollst, dann kannst du das nicht einfach so akzeptieren. Deshalb bin ich unglaublich froh, dass ich nun immer noch im Fußball arbeiten kann.
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