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Seite 2: Diaspora und das erste Geisterspiel

Nach dem Nie­der­gang ins Ama­teur­lager folgten acht Jahre Dia­spora. Man rückte zusammen unter dem Dach. Zunächst waren das Unor­ga­ni­sierte sowie Mit­glieder der Grup­pie­rungen Inva­ders und United 87. Bald grün­deten sich auf der Gerade neue Kränz­chen, wie die Grenz­land Gringos, Euregio Kings, Nasty Boys, Öcher Jonge oder die West-End Crew 91. Der Ur-Fan­klub Schwarz-Gelb 81 hin­gegen blieb auf dem Wür­se­l­ener Wall.

Doch mit den Erfolgen der Ale­mannia ver­än­derte sich die DNA des S‑Blocks. DFB-Pokal-Rallye, Euro­pa­tour und der Bun­des­li­ga­auf­stieg 2006 stei­gerten die Lob­hu­delei der Medien ins Über­spannte. Das machte die Tri­büne als Event­de­sti­na­tion attraktiv. Man wollte Teil des Hypes sein. Ich war am Freitag im S‑Block“ wurde ein fürs Ansehen puber­tie­render Jugend­li­cher wich­tiger Satz. Bald­welke Bal­ler­mann-Prin­zes­sinnen kaperten als Fest­zel­ter­satz. Das Spiel wurde zur Neben­sache. Die Kern-Gene Lei­den­schaft­lich­keit, Gespür und Spon­ta­neität schwächten sich ab. Der Käfig, und damit auch der Tivoli, büßten einen großen Teil ihres Cha­rak­ters ein.

Die letzten Pro­zent kommen von den Rängen

Dabei konnte die Gerade an guten Tagen Spiele drehen. Bereits wäh­rend der kurzen Phase des Rock n’ Roll-Fuß­balls im Spät­sommer 1980 mutierte sie zum Hoch­druck­be­hälter. Unter dem neuen Gebälk ent­wi­ckelte sich eine bis dahin kaum erlebte Laut­stärke. Wall und Über­dachte schienen zu ver­schmelzen und den Rest der Beleg­schaft mit­zu­reißen. Nahezu jedes Spiel wurde zum Hap­pe­ning gemacht. Die nicht zuletzt ent­lang der Sei­ten­linie zele­brierten Kon­fet­ti­schlachten sind heute fester Bestand­teil der Fan­his­torie. Die kickenden Gäste, unter anderem aus Essen, Bremen, Han­nover, Berlin, Karls­ruhe und allen voran Osna­brück, zeigten sich schlichtweg über­for­dert. Dass sogar Bayern-Impre­sario Uli Hoeneß drei Lieder davon singen kann, was der Tri­bü­nen­furor in Aachen anzu­richten ver­mochte, ist hin­läng­lich akten­kundig.

Einer dieser S‑Block-Tage war der 5. April 1999. Regio­nal­liga-Nach­hol­kick gegen den Tabel­len­nach­barn Ein­tracht Trier. Nach drei Siegen in Folge war die Ale­mannia zwar auf Platz fünf gekra­xelt. Doch immer noch fünf Punkte vom direkten Auf­stieg ent­fernt. Ein wei­terer Sieg musste also her, wollte man das zarte Pflänz­chen der Hoff­nung am Leben erhalten. Es lief frei­lich wie meis­tens: Die Ale­mannia agierte nervös. Der Gast war siebzig Minuten der­maßen über­legen, dass ein Punkt­ge­winn ein Rie­sen­er­folg gewesen wäre. Aber nicht an diesem Abend. Schon mit Beginn der zweiten Halb­zeit wurde jeder unfall­freie Ein­wurf der Schwarz-Gelben von der Tri­büne fre­ne­tisch beju­belt, jeder Ball­kon­takt der Mose­laner unbarm­herzig nie­der­ge­pfiffen. Mitte des zweiten Durch­gangs hatten die Hoch­in­fi­zierten auf der Über­dachten den Rest des Sta­dions ange­steckt. Ange­sta­chelt von einer tumult­ar­tigen Atmo­sphäre zeigte sich die Mann­schaft von Minute zu Minute ent­schlos­sener. In einer ful­mi­nanten Schluss­phase schoss sie dann tat­säch­lich einen 2:0‑Sieg heraus. Aachens Trai­ner­le­gende Werner Fuchs gab nach Abpfiff zu Pro­to­koll: Bevor ich etwas zum Spiel sage, lassen sie mich den Zuschauern danken, die gemerkt haben, dass wir Hilfe brau­chen, und uns in Spiel zurück­ge­bracht haben.“ Der S‑Block hatte sein Poten­tial voll­ends abge­rufen. Nur wenige Wochen später, beim vor­ent­schei­denden Match gegen den SC Verl, wie­der­holte er diese Nummer zuver­lässig.

Rot? Die Tri­büne reagierte art­ge­recht

Doch am Tivoli war die Grenze zwi­schen Lei­den­schaft und Auf­ruhr stets beson­ders schmal. Noch ver­gleichs­weise keusch fiel die obli­ga­to­ri­sche Begrü­ßung der Gast­mann­schaften wäh­rend der letzten Dritt­li­ga­saison aus. Beim Warm­ma­chen wurden die Spieler mit einem erkleck­li­chen Hagel unter anderem aus ange­bis­senen Bröt­chen, mat­schigen Zitrus­früchten und ange­nagten Apfel­kit­schen emp­fangen. Ohne dass sich auch nur eine Seele dar­über auf­regte. Weder vor Ort noch in Online-Gäs­te­bü­chern.

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Eine dra­ma­tisch andere Qua­lität hatten die Ereig­nisse des 24. November 2004. Mon­tag­abend. Flut­licht. Spit­zen­spiel. TV-Live­über­tra­gung. Als Tabel­len­zweiter emp­fingen die Kar­tof­fel­käfer den großen Auf­stiegs­fa­vo­riten Nürn­berg. Monate zuvor hatten Ale­man­nias Stra­tegen eine extra­va­gante Ent­schei­dung getroffen: Um die Wer­be­banden vor der Haupt­tri­büne fern­seh­ge­recht prä­sen­tieren zu können, war man mit den Trai­ner­bänken auf die gegen­über­lie­gende Seite gezogen. Genau vor den Raub­tier­käfig. An diesem Montag zeigte diese Maß­nahme Wir­kung. Pro­vo­ka­ti­ons­tech­nisch prä­sen­tierte sich die Nürn­berger Bank in über­ra­gender Form. Die Lunte brannte bereits lich­terloh, als Erik Meijer in der 72. Minute eine obskure Rote Karte sah. Die Steh­tri­büne reagierte art­ge­recht. Unzäh­lige Gegen­stände flogen aufs Spiel­feld. Nürn­bergs Martin Driller wollte das auch mal pro­bieren und pfef­ferte ein Feu­er­zeug zurück in den Block. Der Mob war nicht mehr zu bremsen. Was alles pas­sierte, war in den Tumulten nicht aus­zu­ma­chen. Gäs­te­coach Wolf­gang Wolf gab jeden­falls die Haupt­rolle in der Schmie­ren­ko­mödie. Als ihn ein Bier­be­cher sanft tou­chierte, sank der ein­ma­lige Ama­teur­na­tio­nal­spieler zu Boden. Später prä­sen­tierte Club-Chef Michael A. Roth ein halbes Bau­markt­sor­ti­ment als ver­meint­liche Tat­werk­zeuge. Der erfah­rende FCN-Akteur Sasa Ciric befand: So etwas wie heute habe ich bisher nur in Jugo­sla­wien und Maze­do­nien erlebt. Das sind keine Fans, das sind Rowdys.“ Der Rest ist Fuß­ball­ge­schichte: Die Über­dachte und Rest-Tivoli wurden kom­plett mit Fang­netzen ver­hüllt. Die Ale­mannia rich­tete das erste Geis­ter­spiel in Deutsch­land aus.