Lange kämpfte die Südkurve in Jena ums Überleben. Ohne Erfolg. Erinnerungen an eine besondere Kurve.
Und die Erfolgsserie ging weiter. Sechs Monate später stand der Klub im Halbfinale gegen Benfica Lissabon. Über 100 000 Menschen wollten eine Karte haben. Der übergroße Andrang an jenem Tag hatte den Effekt, dass der Fanblock unter der Uhr aus allen Nähten platzte. Die aktiven Anhänger verteilten sich über die gesamte Gegengerade und standen auch, und das war neu, unter der 1978 gebauten modernen Anzeigetafel auf der erneuerten und nun aufgestockten Südtribüne. Dies war die Geburtsstunde der Südkurve, denn viele Fans blieben auch dann noch dort stehen, als bei den Ligaspielen wieder reichlich Platz unter der Uhr war. Jena hatte plötzlich zwei Fanblöcke.
Erst 1990 nahte das Ende für den Stimmungsblock unter der Uhr. Im Modernisierungswahn der Wendezeit wurde die Gegengerade zu einer Sitzplatztribüne umgebaut, so wurde die nun mit Wellenbrechern versehene Südkurve die alleinige Heimat für den blau-gelb-weißen Fanblock. Von hier wurde der FC Carl Zeiss leidenschaftlich angefeuert, als er in den Neunzigern einige Jahre in der zweiten Bundesliga spielte. Auf dem Trennzaun in unmittelbarer Nähe zur Anzeigetafel bekam der ambitionierte Trom-mler, klassischerweise auch hier „Manolo“ getauft, seine eigene Sitzschale.
Gegen Ende des Jahrzehnts ging es mit der Anhängerschaft des FCC stetig bergab, ein Trauerspiel mit Parallelen zum Absturz der Elf bis in die Viertklassigkeit. Nun kickte Jena nicht mehr gegen Eintracht Frankfurt oder Hertha BSC, sondern in Plauen, Braunsbedra oder Dresden-Nord. Andernorts sprossen die ersten kleinen Pflänzchen zarter Ultra-Kultur, aber in Jena war zeitweise keinerlei organisierte Stimmung mehr zu vernehmen. Eine große Rolle dabei spielte auch, dass auf Druck der Polizei der Gästeblock aus der Nordkurve in die Westseite der Südkurve verlegt wurde. Eine Zerstörung der Fankurve, die nahezu geräusch- und widerstandslos vonstatten ging und bis heute nachwirkt. Der östliche Teil der Südkurve blieb als Pufferblock zu den Heimbereichen gesperrt. Damals werden es vielleicht noch knapp zwei Dutzend junge Kutten gewesen sein, die auf der Gegengerade noch etwas trommelten und zögerliche Schlachtrufe anstimmten, während die Alten sich gemächlich in die Klappsitze der neuen Haupttribüne fallenließen. Die Generation der zwischen 1975 und 1985 geborenen Fans war nahezu verloren, was sich bis heute in der Altersstruktur der Kurve bemerkbar macht.
Im Oktober 2001 gründeten einige 15-jährige Fans die Horda Azzuro. Damit begann die Support- und Tifo-Kultur der Ultras mit ersten kleinen Schritten. Diese Gruppe war es auch, die dank der Bürgerinitiative „Pro Südkurve“ im Januar 2007 mithalf, dass zumindest die Hälfte der Kurve zurück in blau-gelb-weiße Hand kam. Die Südkurve war nun wieder unangefochtener Stimmungsblock des EAS. Zum zentralen Thema wurde dann der Um- oder Neubau des Stadions. Während in vergleichbaren ostdeutschen Städten nach und nach schmucke Neubauten an den traditionellen Standorten entstanden, hinkte die stets zur Arroganz neigende Wissenschaftsstadt Jena lange Jahre und bis heute auf diesem Feld deutlich hinterher. Das lag sicher auch an der fehlenden politischen Lobby des Fußballs allgemein und des FCC im Speziellen, aber auch an der Lage des Ernst-Abbe-Sportfelds: Das Stadion grenzt unmittelbar an die Saale und liegt in einem Überschwemmungsgebiet. Das verwaltungsrechtliche Wirrwarr zwischen Landesämtern und lokalen Projekten sorgte in den Nullerjahren für schier endlose Diskussionen über das Für und Wider des Standortes. Auch die Fans führten regelmäßig intensive Gespräche mit den jeweils verantwortlichen Vereinsbossen.
Parallel dazu wuchs die aktive Fanszene in der halben Südkurve weiter und profitierte dabei auch von der kurzzeitigen Rückkehr in die zweite Bundesliga. Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit konnten mehr und mehr aus dem Stadion verbannt werden, was sich aus der politischen Grundhaltung der Gründergeneration der Ultras erklärt, deren antirassistischer Grundkonsens heute eine unverrückbare Säule der Kurve darstellt, die offizielle Freundschaften zur Section Ouest 1993 Lausanne, Schickeria München oder in die Fanszene des FSV Frankfurt pflegt. Bunte Tifos und der dauerhafte Einsatz von großen und kleineren Schwenkfahnen oder Doppelhaltern sind Charakteristika der Kurve. Bei Heimspielen wirkt allerdings die große Distanz zwischen Stehrängen und Spielfeld hemmend. Kein Wunder, dass der Fanblock auswärts deutlich lauter wahrgenommen wird als daheim.
Im Dezember 2013 führte der kontrovers diskutierte Einstieg des belgischen Fußballinvestors Roland Duchatelet in die ausgegliederte „FC Carl Zeiss Jena Fußball Spielbetriebs GmbH“ zum Stimmungsboykott der Szene. Um die Ultras der Horda Azzuro herum gründete sich der „Südkurve-Rat“. Bis heute dient diese Interessensvertretung als offizielle Stimme der Kurve und kann sich auf eine sehr breite Basis stützen, weil auch viele kleine Fanklubs und fanklubähnliche Zusammenschlüsse in ihr vertreten sind.