Wir erleben eine Saison ohne das Derby zwischen Dortmund und Schalke. Zwei Vereine, die sich hassen – die aber nicht immer Krieg führten. Ganz im Gegenteil: Mehr als ein halbes Jahrhundert lang waren die Ruhrpottklubs fast dicke Kumpels.
Dieser Text erschien zuerst im 11FREUNDE SPEZIAL „Liebe und Hass“. Das Heft gibt es bei uns im Shop.
Im Sommer 1982 sollte der Dokumentarfilmer Ulrich Leinweber im Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung eigentlich nur einen Beitrag über das Thema „Vorurteile im Fußball“ drehen. So entstand ein zwölfminütiger Film, der bundesweit für Entsetzen sorgte und zum Unterrichtsmaterial an Schulen wurde. Leinweber ließ zwei Hooligan-Truppen zu Wort kommen: die Mighty Blues des FC Schalke und die Borussenfront aus Dortmund. Die Jugendlichen gaben ungeniert Naziparolen von sich und sprachen offen über ihren Hass. Auf Juden, auf Ausländer – und vor allem aufeinander.
„Das ist ein Revierkrieg“, erklärte der damals 24-jährige Uwe, Gründer der Borussenfront, dem Filmemacher die Hintergründe der Feindschaft. „Der geht schon seit der Gründung. Borussia ist 1909 gegründet, seitdem geht das ohne Ende.“ Diese Worte wurden mit einer solchen Überzeugung gesprochen, dass Leinweber sie offenbar nicht in Frage stellte. Als ihn das Magazin „Vice“ 35 Jahre später zu seinem Film mit dem Titel „Die sind eben so“ befragte, sagte der Regisseur über die rechtsradikalen Äußerungen der Fans: „Man muss diese Politisierung dieser Gruppen richtig einschätzen. Schalke und Dortmund sind seit Generationen Rivalen, und diese politische Ebene wurde vor allem auch genutzt, um den jeweils anderen zu verunglimpfen.“
Dabei war der angeblich so historische Hass zwischen Knappen und Dortmundern zum Zeitpunkt der Dreharbeiten sogar weit jünger als der Borussenfront-Gründer selbst. Als Schalke in Uwes Geburtsjahr 1958 seine bisher letzte Deutsche Meisterschaft holte, fuhr das Team am Tag nach dem Finale in Hannover mit dem Zug zurück nach Gelsenkirchen – aber nicht auf dem schnellsten Weg. Man stoppte in Dortmund, wo Spieler des BVB auf dem Bahnsteig warteten, um dem Nachbarn zu gratulieren. „Wir stiegen mit der Schale aus,“ erzählte Schalkes Willi Koslowski kürzlich, „und tranken gemeinsam Bier und Sekt.“
Es war nicht vorrangig die trockene Kehle, die Borussias Kicker zum Bahnhof trieb, sondern ehrliche Freude über den Erfolg der Königsblauen. Noch Ende der Fünfziger betrachtete man in Dortmund nämlich nicht etwa Schalke als den größten Rivalen, sondern den 1. FC Köln. Die Rheinländer waren Dortmunds hartnäckigster Gegner in der Oberliga West, außerdem standen sie für alles, was man im Ruhrgebiet mit Misstrauen beäugt: Eleganz, Arroganz, Reichtum, Ehrgeiz. Diese Rivalität sollte sich bis zur Gründung der Bundesliga noch verschärfen. Der Dortmunder Dieter „Hoppy“ Kurrat, der 1960 in den Profikader aufrückte, sagte mal: „Wir kamen in Trainingsklamotten, die Kölner immer im Anzug und mit Krawatte. Aber dann haben wir’s ihnen gegeben!“
Der Schalker Zwischenstopp von 1958 war nicht der erste Halt einer königsblauen Meistermannschaft in Dortmund. Berühmtheit hat der Besuch des S04 vom 25. Juni 1934 erlangt. „Schon Kilometer vor Dortmund gab es kein Hausfenster, keinen Straßenrand an der Bahnlinie, wo nicht Leute zu Haufen standen“, berichtete das 1936 erschienene „Buch vom Deutschen Fußballmeister“ über jenen Halt. „Alle Blicke waren auf den Waggon gerichtet, dessen schlichte blauweiße Fahne den kostbaren Inhalt anzeigte. War das ein Jubeln und Begrüßen; als der Zug seine Fahrt verlangsamte, einige Straßen der Innenstadt passierte, glaubte man fast, am Schalker Markt zu sein.“