Niclas Füllkrug rettet die WM-Generalprobe der deutschen Nationalmannschaft. Mit ihm könnte das DFB-Team ein Element hinzugewinnen, das zuletzt so schmerzlich vermisst wurde.
Dieser Text erscheint im Rahmen unserer Kooperation mit dem Tagesspiegel.
Das honorige Fußballfachblatt „Kicker“ steht nicht im Verdacht, ein Hort des Sarkasmus zu sein. Aber manchmal sind die Umstände einfach so, dass es nicht anders geht. Das EM-Achtelfinale zwischen England und Deutschland im Sommer 2021 war so ein Fall. Beziehungsweise, die Entscheidungen, die Joachim Löw in seinem letzten Spiel als Bundestrainer nach dem Führungstor der Engländer zum 1:0 getroffen hatte.
In seiner Einzelkritik schrieb der „Kicker“ nach dem Spiel über den in der 87. Minute eingewechselten Emre Can: „Kam, als alles zu spät war.“ Über den ebenfalls in der 87. Minute eingewechselten Leroy Sané: „Kam, als alles zu spät war.“ Und über den in der zweiten Minute der Nachspielzeit eingewechselten Jamal Musiala: „Kam, als alles viel zu spät war.“
Ein bisschen muss man Löw allerdings in Schutz nehmen. Natürlich wäre die Schlussphase des Spiels im Wembleystadion prädestiniert dafür gewesen, einen bulligen Mittelstürmer ins Getümmel zu schmeißen. Nur: Woher nehmen? Joachim Löw war es, der den Fußballsprachgebrauch vor der WM 2014 um den Begriff der Spezialkraft bereichert hat. Und tatsächlich haben die Spezialkräfte in der jüngeren Geschichte des deutschen Fußballs eine nicht ganz unwichtige Rolle gespielt – selbst als man sie noch nicht als solche bezeichnet hat.
Bei der WM im eigenen Land waren es die Spezialkräfte David Odonkor und Oliver Neuville, die mit dem Tor zum späten 1:0‑Sieg gegen Polen das Sommermärchen in Gang brachten.
Und acht Jahre später bescherten zwei Spezialkräfte – die Einwechselspieler André Schürrle und Mario Götze – den Deutschen den WM-Titel. Umso bedauerlicher für Löw, dass er bei seinem letzten großen Turnier niemanden in seinem Kader hatte, der diese Rolle hätte bedienen können.
Sein Nachfolger Hansi Flick steht in dieser Hinsicht kurz vor dem Beginn der Weltmeisterschaft in Katar definitiv besser da. Dass seine Mannschaft am Donnerstag mit einem Erfolgserlebnis aus dem Oman nach Katar weitergereist ist, das hatte Flick einer ausgewiesenen Spezialkraft zu verdanken. Beim Spiel am Abend zuvor hatte er Niclas Füllkrug zur Pause eingewechselt; zehn Minuten vor dem Ende traf der Bremer in seinem Länderspieldebüt zum 1:0‑Endstand für die Nationalmannschaft. „Er ist ein wichtiger Spieler für uns, gerade in der Box“, sagte Deutschlands Torhüter und Kapitän Manuel Neuer nach dem schweißtreibenden Auftritt in Maskat. „Er hat das Gefühl im Zentrum. Er wird wichtig sein für uns, auf jeden Fall.“
Niclas Füllkrug hat nicht nur das Zeug zur Spezialkraft; er hat auch das Zeug, eine noch viel größere Lücke zu schließen, die im deutschen Fußball seit einer kleinen Ewigkeit beklagt wird. Ihm mangelt es an dem guten, alten Mittelstürmer, der sich im Strafraum tummelt und die fein ziselierten Spielzüge zum Abschluss bringt, die von den perfekt ausgebildeten Mittelfeldspielern initiiert werden.
„Er ist komplett, schnell und hat den Instinkt, den man braucht“, hat Miroslav Klose, der bisher letzte deutsche Mittelstürmer von Weltformat, schon vor vier Jahren über Füllkrug gesagt.