Sind die im Fußball jetzt alle verrückt? Sollen die Bayern geimpft werden? Und wohin geht Marco Rose? Gut, dass Tommi Schmitt die Sache für uns einordnen kann.
Tommi Schmitt, der FC Bayern hat die FIFA-Klub-WM am gestrigen Abend gewonnen. Herzlichen Glückwunsch – auch an Sie ganz persönlich.
Danke! Ein ganz besonderer Moment. Noch in Jahrzehnten wird man fragen: „Wo warst du, als der FC Bayern die Klub-WM 2021 nach Deutschland geholt hat?“ Ich bin noch ganz heiser und komme gerade vom Autokorso. Meine Familie und ich verfolgen traditionell mit viel Freude die FIFA Klub-WM, wenn nicht gerade die UEFA Nations League ansteht. Das war ein tolles Turnier! Meine Mutter ist eher Team Tigres de Monterrey, mein Vater war diesmal dem FC Bayern zugetan, mein Bruder ist ein großer Palmeiras-Fan und ich schlafe seit jeher in Al-Ahly-SC-Bettwäsche, meine Kairoer Kult-Kicker vom Nil. Insofern können Sie sich vorstellen, was bei uns daheim los war! Aber für Katar schlägt unser aller Herz gleichermaßen.
Selbstverständlich.
Nein, natürlich nicht. Es ist mir alles sowas von egal mittlerweile, das glauben Sie gar nicht. Es ist mir so egal, wie der Fußball seinen Kerngedanken gerade selbst vernichtet und die Schrauben des Surrealen und der Parallelwelt immer weiter hochdreht. Wir befinden uns in einer Pandemie, hocken in unseren Wohnungen, sehen mittlerweile aus wie die Ludolfs, und da reisen Vereine aus der gesamten Welt in das Risiko-Gebiet Katar, um die Goldene Käsekrokette auszuspielen. Wem willst du das noch erklären?
Erklären Sie es uns!
Das ist doch jedem Black-Mirror-Autoren zu abgedreht. Da wünsche ich mir die Rote Karte von Jürgen Milski. Klar, den Vereinen ist in diesem speziellen Fall vermutlich kein Vorwurf zu machen, weil sie wahrscheinlich bei Nicht-Teilnahme hohe Strafen zahlen müssten. Und die Klub-WM gibt es auch schon länger, ich weiß. Trotzdem bleibt die Frage, welchen Sinn ein solcher Wettbewerb in diesen Zeiten ergibt. Welche Bilder das erzeugt. Das wurde ja gestern noch einmal deutlich, als viele forderten, das Finale abzusagen, nach den positiven Testergebnissen bei Thomas Müller – gute Besserung an dieser Stelle. Aber nix da. Man fasst sich mittlerweile nur noch an den Kopf, wie FIFA und UEFA diese ganzen Quatsch-Turniere durchziehen und Entscheidungen treffen, die natürlich zunächst Geld bringen – ich bin ja nicht naiv – die aber auf Strecke, Stichwort Nachhaltigkeit, rein gar nichts mit den Wünschen der Fans zu tun haben. Die Verbände verhalten sich inzwischen wie ein taktloser Gast auf einer Party, der plötzlich den DJ macht und Lieder spielt, die nur er mag und währenddessen gar nicht wahrnimmt, dass sich die Tanzfläche leert. Nations League, Klub-WM in Corona-Zeiten, European Super League, Europa Conference League, nationale Pokalendspiele im Ausland. Nein, einfach nein! Stopp! Nehmt dem DJ endlich das Aux-Kabel weg, verdammte Scheiße! Und wenn ich weiter oben behaupte, dass mir das alles „egal“ sei, meine ich natürlich, dass mir in Wirklichkeit das Herz blutet. Der Fußball wurde vor einem Jahr noch bejubelt, er muss aufpassen, dass er bald nicht nur noch belächelt wird. Ich werde die Entwicklung nicht aufhalten können, aber ich werde dann wahrscheinlich schon bald nicht mehr zugucken.
Sie sind also kein großer Fan solcher Turniere.
Wie gesagt: sie sind mir völlig egal. Wie jedem Fan, der noch irgendwie mehr IQ-Punkte aufbringt als ein Handschuhfach. Das letzte Mal, dass ich mich für so einen Wettbewerb interessierte, war 2001, da war ich zwölf Jahre alt, als Sammy Kuffour das Ding gegen die Boca Juniors zum bayrischen Weltpokalsieg reingestochert hat. Das war noch irgendwie ganz cool, weil nicht so aufgeblasen. Aber jetzt? Der totale Zirkus. Super fand ich ja auch, dass die Bayern-Verantwortlichen im Vorfeld davon sprachen, sie würden da ja auch Deutschland vertreten. Nein, danke. Das letzte Mal habe ich mich so vertreten gefühlt, als Gracia 2005 beim Eurovision Song Contest in Kiew für die Bundesrepublik antrat. Aber, um versöhnlich zu sein, die Spieler können ja nichts für diese völlig egalen Sülz-Turniere. Vor diesen Spielern ziehe ich meinen Hut, dort sportlich so seriös abzuliefern.
Trotzdem gleicht der Sieg in Katar einem Wunder. Schließlich mussten die Spieler des FC Bayern auf dem Hinweg am Flughafen BER ausharren, weil ihr Flugzeug zu spät enteist worden sein soll und so nicht mehr das Nachtflugverbot umgehen konnte. Empfinden Sie Mitleid?
Es sollen sich Horror-Szenen abgespielt haben. Das Essen wurde angeblich auf Plastik-Geschirr serviert, manche Spieler mussten zweimal denselben Film gucken. Wir sollten da als Gesellschaft nicht wegschauen. Also, was ist passiert? Angeblich durfte das Flugzeug ja nicht abheben, weil die Maschine 30 Sekunden über der erlaubten Startzeit lag. Bei aller Aufregung möchte ich kurz anmerken, dass ich strenge Regeln im internationalen Flugverkehr als eine eigentlich ganz sinnvolle Sache erachte. (Lacht.) Aber klar, wegen 30 Sekunden sich den Abend zu versauen, das ist den Bayern seit dem Champions-League-Finale 1999 nicht mehr passiert. Das ist sicherlich frustrierend, keine Frage.
Die Bayern haben…
… trotzdem möchte ich noch kurz anmerken, dass ich mich an Bayerns Stelle auch im Nachhinein – gerade in diesen Zeiten – etwas kleinlauter und demütiger gezeigt hätte, als da direkt die große Verschwörung seitens der Flugsicherheit zu wittern und gefühlte 24 Stunden nach der Landung in Doha noch die Empfehlung raus zu rülpsen, Fußballspieler doch vielleicht zuerst gegen Corona zu impfen. Andererseits, dann wären wenigstens die Friseure auf der sicheren Seite. Aber ich verstehe schon die grundsätzliche Wut darüber, am Flughafen für sieben Stunden in Berlin zu stranden. Noch eine Stunde länger und Lars Windhorst wäre vorbeigekommen, um Hermann Gerland für die Abwehr zu verpflichten.
Apropos! Wundert es Sie nicht auch, dass Hertha BSC noch immer Geld in der Schublade findet?
Man könnte die alte Floskel angleichen und nun sagen: Geld schießt zunächst keine Tore. Aktuell befindet sich Hertha in dieser „zunächst“-Situation. Denn was steht auf der Habenseite? Teure neue Spieler, Platz 15 und derselbe Trainer wie vor zwei Jahren. Ich sag’s mal so: Das hätten sie von mir auch günstiger kriegen können.
Immerhin: Mit Sami Khedira haben Sie nun einen Weltmeister, der…
… ja, Wahnsinn, oder? Khedira, den habe ich eher im „Was macht eigentlich“-Ressort des STERN vermutet als nochmal in der Bundesliga. Dass wir uns in diesem Jahr Sorgen um unsere Opas machen müssen, wusste ich. Aber dass sie jetzt zusätzlich noch von Hertha verpflichtet werden könnten, mit dieser Gefahr hätte ich nicht gerechnet. Schützt endlich die Altenheime!
Wird er helfen?
Wenn er fit bleibt, ganz bestimmt. Ich war immer Khedira-Fan. Wie selbstverständlich er als junger Kerl ab der WM 2010 die Rolle als Ballack-Nachfolger an- und mit welcher Seriosität und Eleganz er abseits des Platzes aufgetreten ist, hat mir immer imponiert. Guter Spieler, gute Werte, ach komm, ich lege mich fest: Er wird Hertha helfen.
Nach dem kurzen Exkurs in die Bundesliga zurück zum absurden Europäischen Fußball. Aufgrund der örtlichen Corona-Verordnungen empfängt die Leipzig-Filiale aus Fuschl am See am Dienstag den „Gast“ aus Liverpool in Budapest. Gladbach und Manchester City treten ebenfalls dort an. Hoffenheim spielt gegen Molde FK im spanischen Villareal. Herr Schmitt, mal ernsthaft, was soll das?
Was der österreichische Klub aus Leipzig macht, ist mir relativ schnurz. Viel interessanter ist für mich natürlich, dass meine Borussia aus Mönchengladbach ebenfalls in Budapest gegen die Mutation aus Großbritannien, Manchester City, antritt. Was für ein herrlicher Blödsinn! Der Fußball entwickelt sich zu seiner eigenen Karikatur. Engländer dürfen wegen der Corona-Situation nicht in Deutschland einreisen, dann lasst doch beide Teams nach Ungarn fahren, da gibt’s ja keinen Virus. Es ergibt alles keinen Sinn mehr. Und die Vereine sagen, auch irgendwie zurecht, denn von ihnen kommen schließlich nicht die Verordnungen: „Ja, was sollen wir denn machen?“ Es ist ein Dilemma. Die europäischen Wettbewerbe gleichen nun totalem Dadaismus. Als hätten Helge Schneider und Christopher Nolan gemeinsam das Drehbuch geschrieben.
„Die europäischen Wettbewerbe gleichen nun totalem Dadaismus“
Und…
…und Hoffenheim spielt gegen Molde aus Norwegen im spanischen Villareal. Lesen Sie diesen Satz einfach nochmal.
Hoffenheim spielt gegen Molde aus Norwegen im spanischen Villareal.
Bei der Meldung hat Karl Lauterbach vermutlich sofort aus allen Körperöffnungen geblutet. Hoffenheim gegen Molde in Villareal. Das klingt so, als zockte man die neunte Saison in „Fußballmanager“ mit derselben Mannschaft und alles ist völlig außer Kontrolle geraten. Verrückt. Das würde sofort abgebrochen werden, ginge es nicht um Geld. Welchen sportlichen Stellenwert haben denn derart auseinander gepflückte Turniere?
Das heißt, Sie freuen sich nicht einmal auf das Spiel Ihrer Borussia gegen City?
Ach, ich weiß es nicht. Es ist derzeit die pure Folter für jeden Fan. Freue ich mich nicht darauf, fühle mich gleichzeitig schlecht, weil es ein historisches Spiel für uns ist. Freue ich mich darauf, lüge ich mich auch ein bisschen selbst an, denn Fußball ist in dieser Saison mehr Ritual als Leidenschaft. Selbst wenn wir die Champions League gewönnen, hätte dieser unwahrscheinliche Erfolg ja keine Griechenland-EM-2004-Vibes. Was hätte dieses „Wunder“ zur Folge? Dass ich alleine in der Wohnung statt Bier zur Feier des Tages einen Sekt trinke? Und Spieler sehe, die vor leeren Rängen ironisch zur Laola ansetzen? Aber zur Frage: Doch, ich freue mich schon darauf. Und wenn es nur der Ablenkung dient.
Klingt ja richtig euphorisch.
Ich könnte ja jetzt auch die Unwahrheit sagen, Sie anspringen und behaupten, dass ich nicht mehr schlafen kann bis zum Anpfiff.
Bitte nicht anspringen.
Eben. Wirklich am einfachsten haben es in dieser Spielzeit Fans vom FC Augsburg. Die spielen einfach irgendeine Saison, in der sie am Ende Zwölfter werden und fertig. Keine falsche Freude, keine großen Abstiegssorgen. Die müssen sich das alles gar nicht angucken. Die sind einfach irgendwie da. Und wenn es dann wieder richtig losgeht, also mit Fans und so weiter, also der echte Fußball und nicht diese aktuelle Simulation, dann sind sie immer noch da. Als wäre nichts gewesen. Beneidenswert.
Ist denn aktuell alles ausnahmslos schlecht?
Es gibt auch Highlights, wie beispielsweise Kiels Weiterkommen gegen Bayern im Pokal, Dortmunds Partie gegen den SC Paderborn oder Gladbachs 3:2‑Sieg gegen die Münchner. Da bin ich durchs Wohnzimmer gehüpft wie früher. Aber im Großen und Ganzen ist es alles sehr, sehr grau.
Klingt irgendwie traurig.
Es gibt einen Gedanken in mir, der mir dauernd sagt, wie furchtbar es doch wäre, wenn wir Gladbacher, die ja seit nunmehr 1995 darauf warten, in dieser Saison, ausgerechnet in dieser Saison, einen Titel holen würden. Das wäre schön und gleichzeitig völlig egal. Die totale Ambivalenz. Und im Pokal sehe ich realistische Chancen aufs Weiterkommen. Aber in der Champions League? Puh, Manchester ist so gut derzeit. Auf dem Papier fliegen wir da schneller raus als Rummenigges Nase aus der Maske.
Ein Thema, das wir unbedingt erneut besprechen müssen: Marco Rose.
Ecki Heuser steht vermutlich jetzt noch im Borussia Park und hakt nach. Naja, es fühlte sich lange so an, als würde der Partner oder die Partnerin fremdflirten – man ahnt es, will es aber am liebsten gar nicht wissen. So in etwa sagte ich es auch in der vergangenen Kolumne. Jetzt haben sich die Dinge verändert und wir Fans würden nun schon gerne wissen, wie es weitergeht. Es war klar, dass man diese Haltung, es gäbe aktuell nichts zu sagen, genau so lange durchziehen kann, bis das erste Spiel verloren geht. So funktionieren die medialen Mechanismen nun mal. Aber wenn es sportlich etwas ruckelt, wird seitens großer Boulevardblätter die berühmte Unruhe im Kader unterstellt. Die Mannschaft würde unter der Situation leiden oder sowas. (Lacht.) Dass dann ausgerechnet das vermaledeite Derby gegen den 1. FC Köln sehr vermeidbar verloren ging, macht die Sache für alle Beteiligten in der Kommunikation nun nicht einfacher.
Ach ja, Sie sind ja Derby-Verlierer, Herr Schmitt!
Ich hatte gehofft, Sie hätten es vergessen. Ja, das tat weh. Im Vorfeld der Partie war ich sehr optimistisch, nachdem in Köln nach dem Keller nun auch der VAR im Mannschaftsbus erfunden wurde. Aber im Spiel haben wir uns dann so clever angestellt wie der FC bei der Suche nach einem Pressesprecher. Aber nun gut. Zur bereits oft erwähnten Rotation innerhalb unseres Teams sage ich jetzt mal nichts, sonst stehe ich noch als schlechter Verlierer da, was ich selbstverständlich nicht bin. Glückwunsch nach Köln. Oh, das tat jetzt nochmal weh.
Zurück zu Rose.
Da war was, stimmt. Ja, spätestens beim Pokalviertelfinale zwischen Gladbach und Dortmund wird der Druck enorm sein, langsam mal etwas zu verkünden. Und auch ich als Fan muss ganz ehrlich sagen, dass ich mir eine Aussage wünsche. Wenn wirklich noch keine Entscheidung gefallen ist, schön und gut, das ist sein gutes Recht und ich würde mir vor einem Jobwechsel auch länger Gedanken machen, er ist auch nur ein Mensch. Aber wenn die Entscheidung bereits steht, wünsche ich mir die totale Offenheit. So hat es Marco Reus damals vor seinem Wechsel nach Dortmund auch gemacht, ganz transparent und frühzeitig. Auch wenn ich mir natürlich wünsche, dass Rose und sein Team um René Maric und Alexander Zickler blieben. Ich liebe diese drei Männer und es würde mir das Herz brechen, sie in Dortmund zu sehen.
Was hat Dortmund, was Gladbach nicht hat?
Jeder, der mal an der deutschen Côte d’Azur stand, also dem Phoenixsee in Dortmund-Hörde, weiß, dass da kaum eine Stadt in Deutschland mithalten kann. Die haben da sogar Enten. In der Innenstadt überzeugen ein Saturn und ein Peek & Cloppenburg durch zeitlose Eleganz. Nun ja, Bastian Schweinsteiger sagte neulich sinngemäß in der ARD, dass man nicht mehr unbedingt von Gladbach nach Dortmund wechseln müsste. Das sehe ich ähnlich. Gladbach und Dortmund sind punktgleich. Aktuell würde Rose also einen Peugeot durch einen Renault tauschen. Natürlich verfügt der BVB über andere Möglichkeiten, keine Frage. Und die Mannschaft ist gespickt mit Toptalenten. Das Stadion ist fantastisch. Mit Erdnüssen würde er dort auch nicht bezahlt werden.
Aber?
Ich frage mich, worin der sportliche Reiz derzeit liegen sollte. Durch die sehr junge Dortmunder Mannschaft, den Erfolg der Leipziger und die übermächtigen Bayern wird es für den BVB in den nächsten zwei bis drei Jahren vermutlich um Platz Zwei und den Pokal gehen. Natürlich keine schlechten Perspektiven, ich möchte nicht arrogant klingen. Dennoch frage ich mich, warum Rose und seine Leute nicht eher ihren nächsten Schritt auch in Mönchengladbach, mittlerweile einer guten Adresse im europäischen Fußball, machen sollten. Hier entsteht doch was. Ein vierter Platz und ein Pokalsieg mit Gladbach sind doch sportlich reizvoller als ein zweiter Platz und der Gewinn des Potts mit dem BVB. Nach England kann man danach ja immer noch. Aber vielleicht bin ich da nicht objektiv genug und zu missgünstig den Dortmundern gegenüber. Das kann gut sein.
Es kann ja auch gut sein, dass der BVB noch weiter abstürzt. Borussia Dortmund im Mittelfeld der Liga. Vorstellbar?
Es wäre zumindest ungewöhnlich und ein bisschen amüsant. Da erinnert man sich ja zwangsläufig an goldene Spielzeiten wie 1999/2000 mit Legenden à la Sead Kapetanovic, Alfred Nijhuis, Vladimir But und Sergej Barbarez zurück. Da wurden sie Elfter. Und der BVB nur noch national unterwegs? Da würden sich zumindest einige in Dortmund-Dorstfeld freuen.
Themen-Wechsel zum Abschluss. Sind Sie seit vergangener Woche auch bis über beide Ohren in Paderborn-Trainer Steffen Baumgart verliebt? Weil er sich nach dem DFB-Pokal-Aus in Dortmund so fürchterlich und herrlich offen über den VAR beschwerte?
Das war toll, oder? Ich glaube, wir waren in dem Moment alle so beseelt, weil wir unseren eigenen Kreisligatrainer von damals vor uns sahen. Ob der Baumgart beim Auswärtsspiel in der Bezirksliga den Ascheplatz abkreidet oder um 20.45 Uhr im Westfalenstadion unter Flutlicht auf der Trainerbank sitzt: Er lässt uns glauben, dass ihm das ganz egal sei. Solche Trainer werden heute gar nicht mehr gebaut. Ihm geht es um die Sache. Um das Spiel, um Einstellung und Fairness. Wenn der am Ballnetz vorbeigeht, pumpen sich die Pillen aus Respekt von alleine auf. Ein Althauer, der sein Team sehr modern spielen lässt. Mir imponiert diese Mannschaft, die immer versucht, zu gewinnen. Egal, wie aussichtslos die Lage ist, die darfst du nicht abschreiben. Wie ein Jack Russell, der sich mit einem Kangal anlegt, scheiß egal, ich beiß dir in die Wade, du Penner! Und das lebt der Coach, bei 0 Grad im T‑Shirt, draußen an der Linie vor. Der quatscht nicht nur magath- oder lorant-esk vor sich hin, wie hart er denn wäre, sondern lässt im Rahmen der Möglichkeiten zusätzlich fulminanten Fußball spielen.
Sie sind ja wirklich verliebt!
Ich bin großer Fan. Diese Bademeistermentalität, herrlich. Der könnte auch im Dorfverein im Vereinsbulli die Kids der B‑Jugend durch die Gegend fahren oder auf dem Mannschaftsfoto Eisspray und Taxofit-Koffer halten. Und das meine ich absolut als Kompliment. Eine wirklich selten gewordene Figur im Profifußball. Wie jemand aus „Bang Boom Bang“ oder einem anderen Peter-Thorwarth-Film, der nach dem ARD-Interview im Opel Kadett nach Köln-Deutz brettert, die Tür des Videokellers auftritt und den Schiris entgegenbrüllt: „So, getz gips auffe Fresse, ihr Paselacken!“ Ich bin dankbar für den Kerl, der lässt mich noch an den Fußball glauben. Und wenn ich jetzt so drüber nachdenke, ist der Gedanke doch absurd und lustig zugleich, dass er in derselben Branche tätig ist, in der auch Klub-WM, die diversen Supercups und die Nations League ausgespielt werden. Der gleiche Beruf, und doch ganz anders.