Sind die im Fußball jetzt alle verrückt? Sollen die Bayern geimpft werden? Und wohin geht Marco Rose? Gut, dass Tommi Schmitt die Sache für uns einordnen kann.
Ist denn aktuell alles ausnahmslos schlecht?
Es gibt auch Highlights, wie beispielsweise Kiels Weiterkommen gegen Bayern im Pokal, Dortmunds Partie gegen den SC Paderborn oder Gladbachs 3:2‑Sieg gegen die Münchner. Da bin ich durchs Wohnzimmer gehüpft wie früher. Aber im Großen und Ganzen ist es alles sehr, sehr grau.
Klingt irgendwie traurig.
Es gibt einen Gedanken in mir, der mir dauernd sagt, wie furchtbar es doch wäre, wenn wir Gladbacher, die ja seit nunmehr 1995 darauf warten, in dieser Saison, ausgerechnet in dieser Saison, einen Titel holen würden. Das wäre schön und gleichzeitig völlig egal. Die totale Ambivalenz. Und im Pokal sehe ich realistische Chancen aufs Weiterkommen. Aber in der Champions League? Puh, Manchester ist so gut derzeit. Auf dem Papier fliegen wir da schneller raus als Rummenigges Nase aus der Maske.
Ein Thema, das wir unbedingt erneut besprechen müssen: Marco Rose.
Ecki Heuser steht vermutlich jetzt noch im Borussia Park und hakt nach. Naja, es fühlte sich lange so an, als würde der Partner oder die Partnerin fremdflirten – man ahnt es, will es aber am liebsten gar nicht wissen. So in etwa sagte ich es auch in der vergangenen Kolumne. Jetzt haben sich die Dinge verändert und wir Fans würden nun schon gerne wissen, wie es weitergeht. Es war klar, dass man diese Haltung, es gäbe aktuell nichts zu sagen, genau so lange durchziehen kann, bis das erste Spiel verloren geht. So funktionieren die medialen Mechanismen nun mal. Aber wenn es sportlich etwas ruckelt, wird seitens großer Boulevardblätter die berühmte Unruhe im Kader unterstellt. Die Mannschaft würde unter der Situation leiden oder sowas. (Lacht.) Dass dann ausgerechnet das vermaledeite Derby gegen den 1. FC Köln sehr vermeidbar verloren ging, macht die Sache für alle Beteiligten in der Kommunikation nun nicht einfacher.
Ach ja, Sie sind ja Derby-Verlierer, Herr Schmitt!
Ich hatte gehofft, Sie hätten es vergessen. Ja, das tat weh. Im Vorfeld der Partie war ich sehr optimistisch, nachdem in Köln nach dem Keller nun auch der VAR im Mannschaftsbus erfunden wurde. Aber im Spiel haben wir uns dann so clever angestellt wie der FC bei der Suche nach einem Pressesprecher. Aber nun gut. Zur bereits oft erwähnten Rotation innerhalb unseres Teams sage ich jetzt mal nichts, sonst stehe ich noch als schlechter Verlierer da, was ich selbstverständlich nicht bin. Glückwunsch nach Köln. Oh, das tat jetzt nochmal weh.
Zurück zu Rose.
Da war was, stimmt. Ja, spätestens beim Pokalviertelfinale zwischen Gladbach und Dortmund wird der Druck enorm sein, langsam mal etwas zu verkünden. Und auch ich als Fan muss ganz ehrlich sagen, dass ich mir eine Aussage wünsche. Wenn wirklich noch keine Entscheidung gefallen ist, schön und gut, das ist sein gutes Recht und ich würde mir vor einem Jobwechsel auch länger Gedanken machen, er ist auch nur ein Mensch. Aber wenn die Entscheidung bereits steht, wünsche ich mir die totale Offenheit. So hat es Marco Reus damals vor seinem Wechsel nach Dortmund auch gemacht, ganz transparent und frühzeitig. Auch wenn ich mir natürlich wünsche, dass Rose und sein Team um René Maric und Alexander Zickler blieben. Ich liebe diese drei Männer und es würde mir das Herz brechen, sie in Dortmund zu sehen.
Was hat Dortmund, was Gladbach nicht hat?
Jeder, der mal an der deutschen Côte d’Azur stand, also dem Phoenixsee in Dortmund-Hörde, weiß, dass da kaum eine Stadt in Deutschland mithalten kann. Die haben da sogar Enten. In der Innenstadt überzeugen ein Saturn und ein Peek & Cloppenburg durch zeitlose Eleganz. Nun ja, Bastian Schweinsteiger sagte neulich sinngemäß in der ARD, dass man nicht mehr unbedingt von Gladbach nach Dortmund wechseln müsste. Das sehe ich ähnlich. Gladbach und Dortmund sind punktgleich. Aktuell würde Rose also einen Peugeot durch einen Renault tauschen. Natürlich verfügt der BVB über andere Möglichkeiten, keine Frage. Und die Mannschaft ist gespickt mit Toptalenten. Das Stadion ist fantastisch. Mit Erdnüssen würde er dort auch nicht bezahlt werden.
Aber?
Ich frage mich, worin der sportliche Reiz derzeit liegen sollte. Durch die sehr junge Dortmunder Mannschaft, den Erfolg der Leipziger und die übermächtigen Bayern wird es für den BVB in den nächsten zwei bis drei Jahren vermutlich um Platz Zwei und den Pokal gehen. Natürlich keine schlechten Perspektiven, ich möchte nicht arrogant klingen. Dennoch frage ich mich, warum Rose und seine Leute nicht eher ihren nächsten Schritt auch in Mönchengladbach, mittlerweile einer guten Adresse im europäischen Fußball, machen sollten. Hier entsteht doch was. Ein vierter Platz und ein Pokalsieg mit Gladbach sind doch sportlich reizvoller als ein zweiter Platz und der Gewinn des Potts mit dem BVB. Nach England kann man danach ja immer noch. Aber vielleicht bin ich da nicht objektiv genug und zu missgünstig den Dortmundern gegenüber. Das kann gut sein.
Es kann ja auch gut sein, dass der BVB noch weiter abstürzt. Borussia Dortmund im Mittelfeld der Liga. Vorstellbar?
Es wäre zumindest ungewöhnlich und ein bisschen amüsant. Da erinnert man sich ja zwangsläufig an goldene Spielzeiten wie 1999/2000 mit Legenden à la Sead Kapetanovic, Alfred Nijhuis, Vladimir But und Sergej Barbarez zurück. Da wurden sie Elfter. Und der BVB nur noch national unterwegs? Da würden sich zumindest einige in Dortmund-Dorstfeld freuen.
Themen-Wechsel zum Abschluss. Sind Sie seit vergangener Woche auch bis über beide Ohren in Paderborn-Trainer Steffen Baumgart verliebt? Weil er sich nach dem DFB-Pokal-Aus in Dortmund so fürchterlich und herrlich offen über den VAR beschwerte?
Das war toll, oder? Ich glaube, wir waren in dem Moment alle so beseelt, weil wir unseren eigenen Kreisligatrainer von damals vor uns sahen. Ob der Baumgart beim Auswärtsspiel in der Bezirksliga den Ascheplatz abkreidet oder um 20.45 Uhr im Westfalenstadion unter Flutlicht auf der Trainerbank sitzt: Er lässt uns glauben, dass ihm das ganz egal sei. Solche Trainer werden heute gar nicht mehr gebaut. Ihm geht es um die Sache. Um das Spiel, um Einstellung und Fairness. Wenn der am Ballnetz vorbeigeht, pumpen sich die Pillen aus Respekt von alleine auf. Ein Althauer, der sein Team sehr modern spielen lässt. Mir imponiert diese Mannschaft, die immer versucht, zu gewinnen. Egal, wie aussichtslos die Lage ist, die darfst du nicht abschreiben. Wie ein Jack Russell, der sich mit einem Kangal anlegt, scheiß egal, ich beiß dir in die Wade, du Penner! Und das lebt der Coach, bei 0 Grad im T‑Shirt, draußen an der Linie vor. Der quatscht nicht nur magath- oder lorant-esk vor sich hin, wie hart er denn wäre, sondern lässt im Rahmen der Möglichkeiten zusätzlich fulminanten Fußball spielen.
Sie sind ja wirklich verliebt!
Ich bin großer Fan. Diese Bademeistermentalität, herrlich. Der könnte auch im Dorfverein im Vereinsbulli die Kids der B‑Jugend durch die Gegend fahren oder auf dem Mannschaftsfoto Eisspray und Taxofit-Koffer halten. Und das meine ich absolut als Kompliment. Eine wirklich selten gewordene Figur im Profifußball. Wie jemand aus „Bang Boom Bang“ oder einem anderen Peter-Thorwarth-Film, der nach dem ARD-Interview im Opel Kadett nach Köln-Deutz brettert, die Tür des Videokellers auftritt und den Schiris entgegenbrüllt: „So, getz gips auffe Fresse, ihr Paselacken!“ Ich bin dankbar für den Kerl, der lässt mich noch an den Fußball glauben. Und wenn ich jetzt so drüber nachdenke, ist der Gedanke doch absurd und lustig zugleich, dass er in derselben Branche tätig ist, in der auch Klub-WM, die diversen Supercups und die Nations League ausgespielt werden. Der gleiche Beruf, und doch ganz anders.