Die EM 2020 wird in ganz Europa stattfinden, die Neuerungen beginnen aber bereits mit der Qualifikation. Was erwartet die Fans genau?
Es ist wenig darüber bekannt, wie und wo Michel Platini diese Europameisterschaft verfolgt hat, in den Stadien ist er jedenfalls nicht gesehen worden. Nach seinem Aus als Uefa-Chef ist Platini nach wie vor gesperrt, die Regelung würde es ihm aber erlauben, die Spiele privat, also ohne offizielle Funktion zu besuchen. Platini, das zur Erinnerung, ist nicht mehr Uefa-Chef, weil er einst zwei Millionen Schweizer Franken von Sepp Blatter annahm, wofür genau, wissen wahrscheinlich nur die beiden. Platinis alte Funktionärs-Freunde kann das natürlich nicht an Sympathie- und sogar Beileidsbekundungen hindern: „Vielen Dank an Michel Platini. Er kann stolz sein, wir sind in Gedanken bei ihm, sagte Uefa-Vize Ángel María Villar Llona unlängst. Generalsekretär Theodore Theodoridis sprang seinem Kollegen bei: „Ohne Platinis Vision und seine Unterstützung wäre dieses Turnier nicht möglich gewesen.“
Umsatzsteigerung von 34 Prozent bei der Uefa
Diese Vision, die Aufstockung der EM von 16 auf 24 Teams, hat reichlich Kritik hervorgerufen, die Uefa hat mit dem Turnier aber über 1,9 Milliarden Euro umgesetzt, bei einem Gewinn von 830 Millionen Euro. Laut „Sportschau“ eine Steigerung von satten 34 Prozent. Da kann man schon mal Danke sagen. Auch wenn nicht wenige Experten in der Aufstockung eher eine Öffnung nach unten sahen und damit den Grund für das oftmals niedrige Niveau dieser Europameisterschaft.
Lucien Favre sprach im Gespräch mit dem „Spiegel“ gar von einem „Horror“. Ein Horror, der sich in vier Jahren fortsetzen und eher noch verschlimmern wird. Denn auf dem Weg zur Europameisterschaft 2020 und beim Turnier selbst greifen zwei weitere Ideen Platinis, die den Modus nochmals verändern werden: die Uefa Nations League und die Europameisterschaft in ganz Europa. Die neu geschaffene Nations League, die einen Großteil der Testspiele ersetzen soll, wird dabei Teil des Qualifikationsverfahrens sein.
Sehen wir 2020 Gibraltar?
In den gewohnten Quali-Gruppen qualifizieren sich die Gruppenersten und ‑zweiten für die EM, in der parallel dazu in vier Divisionen ausgespielten Nations League bekommen die vier Play-off-Sieger des Wettbewerbs ebenfalls ein EM-Ticket. Pikant dabei: Da die Divisionen nach den Uefa-Koeffizienten eingeteilt sind, hat auch ein Team aus dem Topf der 16 schlechtesten Mannschaften (derzeit Litauen bis Gibraltar) einen EM-Startplatz sicher.
Das Teilnehmerfeld von 24 Mannschaften wird also aller Voraussicht nach nicht nur bestehen bleiben, die Qualität wird darüber hinaus weiter aufgeweicht, auch wenn man bei der Uefa beteuert, die Kritik am aktuellen Turnier genauestens analysieren zu wollen. Ein Beibehalten des 24 Teams umfassenden Teilnehmerfelds bedeutet auch ein Festhalten am „krummen Modus“ mit vier Gruppendritten, die sich für das Achtelfinale qualifizieren.
Flugdistanzen von 4000 Kilometern werden die Regel sein
Ausgetragen wird die EM 2020 in insgesamt 13 Städten in 13 Ländern, genauer: in München, Amsterdam, Baku, Bilbao, Brüssel, Budapest, Bukarest, Dublin, Glasgow, Kopenhagen, Rom, St. Petersburg und London. In jedem dieser Orte findet zudem ein K.-o.-Spiel statt – in München zum Beispiel ein Viertelfinale. Im Londoner Wembleystadion finden beide Halbfinals und das Endspiel statt. Eine logistische Herausforderung, für die Fans ohnehin, aber auch für die Mannschaften. Flugdistanzen von mehr als 4000 Kilometern kreuz und quer über den Kontinent werden bei der EM 2020 die Regel sein. Zwischen Bilbao und Baku liegen knapp 5500 Kilometer. Ein weiteres Extrembeispiel: Der Sieger des Viertelfinals in Baku muss drei Zeitzonen Richtung Halbfinale in London passieren. Turnierfeeling wird so nur schwerlich aufkommen.
Den Plan einer internationalen Europameisterschaft nannte Platini „romantisch“ und bezeichnete sie als Symbol für das vereinte Fußball-Europa. Tatsächlich dürfte sie aber aus der Not geboren sein. Durch die Anforderungen der Uefa an die Ausrichterländer, die sich mit dem aufgeblähten Teilnehmerfeld noch einmal erhöhten – und damit auch die Kosten -, gab es keinen geeigneten Kandidaten für eine alleinige Ausrichtung.
Die Idee als romantisch zu bezeichnen, ist also nicht mehr als ein Hütchenspielertrick Platinis. 2020 läuft dessen Sperre übrigens aus, abseits davon könnte er das eine oder andere Spiel aber natürlich privat besuchen, ganz ohne offizielle Funktion. Baku soll ja ganz schön sein.