Gekränkte Eitelkeit und verletzter Stolz haben Schalkes Kevin Kuranyi am Samstag zu einer Kurzschlussreaktion genötigt: Er verließ das Stadion, war stundenlang nicht erreichbar und ließ selbst seinen allwissenden Berater Roger Wittmann bis zum Sonntagvormittag in Unkenntnis. Eine Aktion mit Folgen: Der Schalker Angreifer wird vermutlich nie mehr für die deutsche Nationalmannschaft spielen dürfen, Joachim Löw hat ihn suspendiert.
»Heute gibt es ja eigentlich gar keine Skandale mehr«, trauerte Bundesliga-Diva Mario Basler jüngst im Interview vergangenen Zeiten nach. Bitte sehr: der bundesdeutsche Fußball hat endlich wieder einen handfesten Eklat vorzuweisen. Kevin Kuranyi reiht sich mit diesem überraschenden Rausschmiss in eine lange Liste verbitterter, egozentrischer oder erboster DFB-Auswahlspieler ein, deren internationale Karriere vorzeitig beendet wurde. Eine handverlesene Auswahl der prominentesten Beispiele.
1.
Eine derart raffinierte Marketingstrategie wäre selbst den kühnsten Werbevertretern nicht eingefallen: Während der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko fühlte sich Uli Stein nicht angemessen gewürdigt – und bezeichnete nassforsch Teamchef Franz Beckenbauer als »Suppenkaspar«. Der hatte in den 60er Jahren einen recht faden Auftritt als Werbefigur eines großen Suppenherstellers und damit seinen Spitznamen wohl weg. Jedenfalls bei Stein, der sich auch bei seinem Klub Hamburger SV nicht sonderlich beliebt gemacht, dank sportlich einwandfreier Leistungen – unter anderem während des Landesmeister-Cups 1982 – aber auch unentbehrlich gemacht. Beckenbauer vertraute allerdings auf Toni Schumacher. Stein zog seine ganz eigene Konsequenz aus seiner Reservistenrolle und wählte unbedacht den falschen Titel für den frisch angeworbenen Teamchef und Fußball-»Kaiser«. Ein verbaler Nackenschlag für die glattgebürstete DFB-Fraktion: Oberboss Hermann Neuberger höchstpersönlich schickte Stein auf die Heimreise. Der konnte sich den hypernervösen Auftritt seines Konkurrenten im Finale gegen Maradonas Argentinier nur auf dem Fernseher anschauen. Ob er sich dabei lächelnd eine Tütensuppe aufgerissen hat, ist bis heute nicht bekannt.
2.
Nur ein Jahr nach dem Steinschen Aussetzer durfte auch Torhüter-Kollege Toni Schumacher die DFB- Ehrengarderobe wieder abgeben. Dem stets auf Konfrontation gepolten Schlussmann brannte es in den Handschuhen, zusammen mit seinem französischen Ghostwriter Michelle Meier veröffentlichte er am 23. Februar 1987 das Buch »Anpfiff«. Inhalt: pikante Darstellungen der fußballspielenden Kollegen. Eike Immel: »spielsüchtig«, Olaf Thon »faul und sträflich dumm«, Paul Breitner: »ein Zocker, Raucher und Trinker«. Kurzum, Schumacher schaufelte sich sein ganz persönliches Karrieregrab. Wieder trat DFB-Mann Neuberger auf den Plan, das strenge Gewissen aus Frankfurt hatte schließlich Erfahrungen im Umgang mit quer schießenden Torhütern gemacht (s. oben) und verkündete: »Aufgrund der entstanden Situation erkennt Toni Schumacher die Maßnahme des DFB an, ihn ab sofort – nicht zuletzt im Blick auf die Vorbereitungen zur Europameisterschaft 1988 – nicht mehr in die Nationalmannschaft zu berufen.« Auch in Köln gaben sie ihrem verdienten Torhüter den Laufpass. Und das alles wegen Schumachers Lebensbeichte. Skandalfeder Meier mutmaßte: »Die Qualität des Buches im Zusammenhang mit Toni war seine totale Ehrlichkeit. Er wollte nicht tricksen und nicht lügen. Das war die Qualität des Buches und vielleicht seine Brisanz.« Ach so.
3.
Faden Worten Taten folgen ließ hingegen Stefan Effenberg. Everybody´s darling erwischte im Vorrundenspiel der WM 1994 in den USA gegen die aufmüpfigen Südkoreaner einen schlechten Tag. Bei den Zuschauern ohnehin nicht sonderlich beliebt (»Effenberg raus!«), überreizte er die Beziehung zur Tribünenfront vollends, als er nach dem Spiel schief grinsend den Mittelfinger seiner rechten Hand emporhob und dem »Stinkefinger« damit zu einer nicht erhofften Renaissance verhalf. DFB-Präsident Egidius Braun fiel fast die linke Herzklappe aus der Brust, schwer atmend nannte er Effenbergs kollegialen Gruß in die Kurve »entsetzlich« und nickte später die vorschnelle Reaktion von Bundestrainer Berti Vogts ab, der den bei Florenz unter Vertrag stehenden Effenberg rigoros aus der Mannschaft geschmissen hatte: »Wenn ein Mensch eine solche obszöne Geste macht, hat so ein Mensch in der Nationalmannschaft nichts mehr zu suchen. Ich hätte ihn auch nach Hause geschickt, wenn Berti Vogts nicht dieser Meinung gewesen wäre.« Glück für Braun, dass seinem Nationaltrainer die einzige konsequente Personalhandlung bei dieser Weltmeisterschaft gelang, »Effe« musste abreisen. Auch weil sein Übungsleiter schlechte Erfahrungen mit kratzbürstigen WM-Geschichten gemacht hatte: »1982 in Spanien waren einige Spieler vormittags noch so besoffen, dass sie nicht trainieren konnten. Mit solchen Affären wird jetzt ein für allemal aufgeräumt.« Sprach´s – und schied anschließend sang- und klanglos gegen Bulgarien aus dem Turnier. Ohne Stefan Effenberg.
4.
Wirklich erschütternd waren die bisher genannten Fallbeispiele noch nicht. Richtig weh tut es dem gutmütigen Fußballfan allerdings bei der Erinnerung an die viel zu kurze Nationalmannschafts-Karriere von Bernd Schuster. Der heutige Trainer von Real Madrid galt Mitte der 80er Jahre als einer der besten Mittelfeldspieler der Welt, ein »Engel«, so schwerelos schien der Blondschopf mit dem Oberlippenflaum über den Rasen zu schweben. Schusters Karriere dauerte nur 21 Länderspiele an, mit 24 Jahren war dieses Kapitel für den egozentrischen Techniker bereits erledigt. Schuld daran hatte Bundestrainer Jupp Derwall, dessen Turnvater-Jahn-Grundhaltung sich nicht mit der exotischen Arbeitsweise des Kosmopoliten vereinbaren ließ. 1984 endete das schwierige Verhältnis abrupt, als Schuster den Trainer als »Ahnungslosen« titulierte und seinen Rauswurf quasi auf dem verbalen Weg erzwang. Eine sportliche Tragödie, schließlich besaß Schuster Fähigkeiten, um ein ganzes Turnier zu dominieren. 1980 waren es die brillanten Offensivaktionen des Edellenkers, die den deutschen EM-Erfolg zementierten. Es sollte sein einziges Turnier bleiben. Auch weil Ehefrau Gaby ein paar Semester BWL zu viel studiert hatte. Eine zarte Anfrage von Franz Beckenbauer vor der WM 1986 hatte Schusters Gattin – die ihren Mann auch als Managerin vertrat – die Dollarzeichen in die Pupillen gemalt. Sie forderte dreist die monströse Summe von einer Million DM für den Einsatz ihres Mandanten. Der DFB schluckte kurz und sagte dann dankenswerter Weise ab. Acht Jahre später, Schuster war im Spätherbst seiner Laufbahn in Leverkusen noch einmal zu großer Klasse aufgelaufen, bot sich der mittlerweile 34-Jährige im Fernsehen für die Nominierung zur WM in den USA an. Doch Berti Vogts zeigte keine Reaktion, er hatte schließlich Stefan Effenberg auf dem Zettel. Eine gute Wahl, wie wir heute wissen.