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Für die magi­sche Nacht ist alles vor­be­reitet: Der Fuß­ball­tempel ist end­lich wieder aus­ver­kauft, das Mara­cana ist das, was es eigent­lich schon lange nicht mehr war – die Bühne des großen bra­si­lia­ni­schen Fuß­balls. Das Final­rück­spiel der Copa Suda­me­ri­cana zwi­schen dem Clube de Regatas do Fla­mengo“, dem Regat­ta­klub Fla­mengo aus Rio de Janeiro und dem argen­ti­ni­schen Club Atlé­tico Inde­pen­di­ente aus Buenos Aires, elek­tri­siert die Massen unter dem Zuckerhut. Kein anderer bra­si­lia­ni­scher Klub hat so viele Fans wie Fla­mengo, mit keiner anderen Mann­schaft fie­bern so viele Kids in den Favelas der Mil­lio­nen­städte mit wie mit der Nacao Rubro-Negra“, der rot-schwarzen Nation, wie sich die Anhän­ger­schaft in Anleh­nung an die Klub­farben etwas über­schwäng­lich selbst bezeichnet.

3:0 im End­spiel gegen Santos

So groß die Begeis­te­rung sein kann, so erdrü­ckend ist aller­dings auch die Erwar­tungs­hal­tung. Wie bei so vielen anderen Tra­di­ti­ons­klubs lastet auch in Rio der Erfolg ver­gan­gener Jahr­zehnte schwer auf dem Verein. Als Rio 1981 mit dem damals wohl welt­besten Mit­tel­feld­spieler Zico im Welt­po­kal­fi­nale den FC Liver­pool mit 3:0 abfer­tigte, war der jet­zige Innen­ver­tei­diger Juan gerade einmal zwei Jahre alt.

Im glei­chen Jahr fei­erte Fla­mengo auch seinen bis­lang ein­zigen Copa-Libert­adores-Titel, die süd­ame­ri­ka­ni­sche Vari­ante der Cham­pions League. Es war die Zeit, als Fla­mengo die Massen ins Mara­cana lockte. Den 3:0‑Endspielsieg gegen FC Santos in der bra­si­lia­ni­schen Meis­ter­schaft 1983 sahen 155.000 Zuschauer im damals noch wei­teren Rund der Arena im gleich­na­migen Stadt­teil. Danach sollte der Klub nie mehr an diese Klasse her­an­rei­chen.

Juan war immer dabei

Ansonsten stehen auf inter­na­tio­naler Ebene nur der Gewinn der eher zweit­ran­gigen Copa de Oro 1996 sowie der Copa Mer­cosur 1999, dem Vor­läufer der Copa Suda­me­ri­cana, dem Gegen­stück der Europa League in den Annalen des Klubs. Bei beiden Erfolgen war der damals bereits der blut­junge Juan im Kader, genauso wie beim vor­erst letzten inter­na­tio­nalen Finale Fla­mengos. Anschlie­ßend wech­selte der Abwehr­spieler zu Bayer Lever­kusen nach Deutsch­land.

Inzwi­schen ist Juan 38 Jahre alt. In seinem Lebens­lauf stehen nach seiner Aus­bil­dung bei Fla­mengo die Sta­tionen Lever­kusen, AS Rom und Inter­na­cional Porto Alegre. Vor einem Jahr kehrte er zu seinem Jugend­verein nach Rio zurück. Und wieder kann Juan Geschichte schreiben. Im Hin­spiel gegen den argen­ti­ni­schen Tra­di­ti­ons­verein, der immerhin Rekord-Copa-Libert­adores-Sieger ist, gab es eine 1:2‑Niederlage. Ein Ergebnis, das mit den Fans im Rücken auf­ge­holt werden kann. Alle frei im Handel ver­füg­baren 52.000 Karten waren in Win­des­eile aus­ver­kauft, die rest­li­chen freien Plätze gehen an die rund 13.000 Klub-Teil­haber mit beson­deren Ticket­rechten. Eine solche Euphorie gab es um Fla­mengo schon lange nicht mehr. Fla­mengo-Trainer Rei­naldo Rueda warnt seiner Spieler, sich von der Atmo­sphäre beein­dru­cken zu lassen: Wir können nicht mit zehn Spie­lern angreifen. Wir müssen Ruhe bewahren und geduldig sein.“

Auch die Betreiber des Mara­canas dürften die jüngste Ent­wick­lung mit Erleich­te­rung ver­folgen. Die Sta­di­onmiete ist durch einen Kor­rup­ti­ons­skandal mit einer völlig über­teu­erten Reno­vie­rung für WM und Olympia nahezu unbe­zahlbar geworden, so dass Fla­mengo nur noch zu abso­luten Top-Spielen in das einst so mythi­sche Sta­dion umzieht. Ein Erfolg im Finale gegen die Argen­ti­nier könnte der Arena end­lich wieder etwas von der Magie von vor der WM-Reno­vie­rung zurück­geben. Bis heute frem­deln die Cariocas“, wie Rios Ein­wohner genannt werden, ein wenig mit dem Mara­cana. Der bra­si­lia­ni­sche Sieg im Olympia-Finale 2016 über Deutsch­land hat das Eis erst­mals etwas bre­chen lassen, ein Final­sieg Fla­mengos würde die Akzep­tanz der Arena in der Stadt deut­lich erhöhen.

Auf dem Zahn­fleisch ins Ziel

Sport­lich wird das aller­dings eine große Her­aus­for­de­rung. Fla­mengos kolum­bia­ni­scher Trainer Rueda, der das dritte kon­ti­nen­tale Finale in Folge erreichte, hat seine Mann­schaft auf dem Zahn­fleisch ins Sai­son­fi­nale krie­chen sehen. Erst mit einem ver­wan­delten Elf­meter durch den Ex-Bremer Diego in der Nach­spiel­zeit am letzten der 38 Spiel­tage gelang Fla­mengo ein 2:1‑Auswärtssieg bei Vitoria. Der war des­halb so wichtig, weil sich der Klub dadurch doch noch für die Copa Libert­adores qua­li­fi­zierte. Das sorgt für finan­zi­elle Pla­nungs­si­cher­heit. Und Fla­mengo pro­fi­tierte ohnehin vom Copa-Libert­adores-Gewinn durch Gremio Porto Alegre, ohne den Fla­mengo als Sechts­pla­zierter in die Play-Offs hätte gehen müssen.

Neben dem Ver­let­zungs­pech platzte kurz vor dem Finale auch noch die Nach­richt von der Doping­sperre von Paolo Guer­rero in die Vor­be­rei­tung. All das aber hat Fans und Verein wieder etwas näher zusam­men­ge­bracht. Denn Rueda machte aus der Not eine Tugend und baute Kräfte aus der eigenen Jugend in die Mann­schaft ein. Die nicht ganz frei­wil­lige Rück­kehr zu den Wur­zeln kommt bei den Fans gut an. Auch des­halb könnte ein Sieg im Finale eine wich­tige Wei­chen­stel­lung für die Zukunft des schla­fenden Riesen sein.

Eine ein­ma­lige Chance

Fla­mengos Kicker um Juan und den ehe­ma­ligen Bremer und Wolfs­burger Diego haben eine ein­ma­lige Chance. Ein Final­sieg brächte ihnen einen Platz im ver­eins­ei­genen Museum, da dürften auch die Stra­pazen der vor­an­ge­gan­genen 82 Pflicht­spiele im Kalen­der­jahr 2017 ver­gessen werden. Darauf hofft auch Super­ta­lent Vin­cius Junior, das bereits an Real Madrid ver­kauft ist. Die Zeiten, dass Spieler wie Zico in Rio gehalten werden konnten, sind schon lange vorbei. Dass trotzdem noch inter­na­tio­nale Titel mög­lich sind, dürfte dem zuletzt nicht klug gema­nagten Klub drin­gend not­wen­dige Sta­bi­lität ver­leihen.

Und um den Trainer zu halten: Nach Medi­en­be­richten aus Sant­iago steht Rueda ganz oben auf der Wunsch­liste des chi­le­ni­schen Ver­bandes, um La Roja“ um Arturo Vidal aus der Krise nach der ver­passten WM-Qua­li­fi­ka­tion zu führen. Es geht des­halb am Mitt­woch nicht nur um den ersten inter­na­tio­nalen Titel seit fast zwei Jahr­zehnten, es geht um die Zukunft des popu­lärsten Klub Bra­si­liens.