Unser Autor denkt, er kenne sich gut im Fußball aus. Blöd nur, dass er ehemalige Nationalspieler nicht mal erkennt, wenn sie vor ihm stehen.
Als ich an der Kneipe ankomme, herrscht ein heilloses Durcheinander. Thomas Helmer steht an der Tür, neben ihm Peter Neururer und Stefan Schnoor. Sie tragen Hemden mit Sponsorennamen am Kragen. Es ist ein Bild wie aus einem Bundesliga-Classics-Video des DSF. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn jemand einen Taxofit-Koffer vor sie drapiert hätte und Wolf-Dieter Ahlenfelder um die Ecke gebogen wäre, um den siebten Bundesligaspieltag der Saison 1992/93 anzupfeifen.
Hier, beim Fantalk, ist alles noch ein bisschen lockerer als beim „Doppelpass“. Hier bestellen die Gäste auch mal drei Herrengedecke auf einmal und tragen Trikot, Schal oder auch mal eine Weihnachtsmannmütze. Und wenn man keine Hemden mit Sponsoren-Kragen anhat, so präsentiert man hier sein neues Camp-David-Polo-Shirt, das mit Längen- und Breitengrade eines fiktiven Segelklubs bestickt ist. Ich erwarte, dass gleich ein Türsteher die Hand auf meine Schulter legt und mich hinausbittet, denn mein Pullover ist einfarbig und hat keine Applikationen. Aber nichts passiert, ich bin einer von ihnen.
An der Theke tritt eine freundliche Dame an mich heran. Sie sei die Aufnahmeleiterin der Sendung, sagt sie, und sie fragt, ob ich etwas essen oder trinken möchte. Ich zeige auf meine Cola und sage, dass alles okay sei. Dann gesellt sich ein Mann dazu. Er trägt Sakko, Hemd, Jens, er ist gut gebräunt, die Haare zurückgekämmt, ein blendend aussehender Casual-Friday-Typ um die 50. Die Aufnahmeleiterin jubelt: „Herr Bock, diesen Herrn kennen Sie ja!“ Ich denke: Wer ist das? Und sage: „Natürlich, schön Sie zu sehen!“ Sie strahlt und sagt: „Ich lasse Sie beide mal kurz alleine.“
Wer ist das? Ein Sänger? Ein Schauspieler? Ein Tennistrainer a.D.?
Ich muss dazu sagen, dass ich Probleme mit Gesichtern habe. Namen kann ich mir merken. Dreifacher Torschütze beim HSV-Sieg am 15. März 1986 gegen den 1. FC Saarbrücken: Ralf Balzis. Mein erster Lehrer: Herr Duch. Die Bäckerin in der Straße, in der ich aufgewachsen bin: Frau Dörte Zilinski.
Das Großhirn arbeitet jetzt mal wieder. Streng dich an, alter Mann. Wer ist das? Ein Sänger? Ein Schauspieler? Ein Tennistrainer a.D.? Wir unterhalten uns, wie man sich halt unterhält, wenn sich beide Gesprächspartner nicht kennen, aber vorgestellt werden, als ob sie sich kennen sollten. Also zumindest der eine den anderen.
Fußball geht in solchen Situationen natürlich immer. Und heute ist Champions League. Also los: „Wer gewinnt?“ Großartige Einstiegsfrage, denke ich und klopfe mir auf die Schulter. Der Mann sagt, es könnte so oder so ausgehen. Ich nicke und sage: „Da haben Sie Recht.“ Dann Stille. Unangenehm. Nächste Frage, komm schon! Aber was nur? Bloß nichts zur Show, womöglich ist er der Co-Kommentator. Oder ein Sport1-Grandseigneur, der ehemalige Chef des DSF, der Erfinder des Phrasenschweins. Ich könnte auf diesem Kneipen-Glatteis ausrutschen und später als der Idiot dastehen, der unbedingt in diese Sendung wollte und den Stargast des Abends nicht mal vom Sehen kennt. Also: „Wer wird Europameister?“
Der Mann zieht die Schultern hoch. Blickt sich um. Sucht die Sport1-Mitarbeiterin. Aber da ist niemand. Also sagt er: „Deutschland. Vielleicht England.“ Ich antworte: „Interessant.“ Und dann sage ich, dass ich mal dringend telefonieren müsse, woraufhin er lächelt, vielleicht sogar ein bisschen erleichtert, und mir einen schönen Abend wünscht.
„Freunde, begrüßt mit mir unseren heutigen Gast“
Am Pissoir höre ich, wie die Menge sich in Stimmung brüllt. Sie skandiert: „Peter, Peter, Peter!“, und ich nehme an, Peter Neururer hat gerade etwas Lustiges gesagt hat. Vielleicht hat er sich auch nur hingesetzt. Als ich die Tür öffne, sehe ich gerade noch, wie sich der gut gebräunte Casual-Friday-Mann in die Runde mit Thomas Helmer, Stefan Schnoor, Oliver Pocher, einem ehemaligen Brosis-Sänger und Peter Neururer setzt.
Helmer schiebt seine Unterlippe vor und fährt mit seinen Fingern über die Breiten- und Längengerade seines Hemdes. Voll auf Kurs. Dann blickt er ins Publikum und zeigt auf den Casual-Friday-Mann. Er ruft: „Freunde, begrüßt mit mir unseren heutigen Gast: Maurizio Gaudino!“
Ich zittere. Und dann gehe ich an die Theke und ertränke meine Schmach in drei Herrengedecken. Ich hätte viele Fragen an ihn gehabt.