Louis van Gaal gewann mit Ajax, Barcelona und Bayern zahlreiche Titel. Gegenüber Journalisten galt er als aufbrausend – nun ließ er sich von einem zwei Jahre begleiten.
Unsere Beziehung ist kompliziert, und leider konnten wir uns nie aussprechen. Louis van Gaal ist das ziemlich egal, er wird sich nicht mal an mich erinnern können. Aber mich beschäftigt unser kleiner Disput bis heute.
Es war vor rund vier Jahren, als mein Kollege Tim Jürgens und ich den niederländischen Trainer in der Nähe von Amsterdam zu einem Interview trafen. Es sollte ein bilanzierendes Gespräch werden, denn Van Gaal war gerade in Rente gegangen. Wir waren gut vorbereitet und gut gelaunt, und Van Gaal war es auch. Er erzählte von den goldenen Jahren bei Ajax Amsterdam, seinen Auseinandersetzungen mit Uli Hoeneß und der WM 2014. Auf einmal aber kippte die Stimmung. Ich glaube, ihm gefiel eine Frage zu Rivaldo oder Franck Ribéry nicht. Er schaute mich an, als verließe er gerade seinen Körper. Dann stand er auf und ging wortlos aus dem Zimmer. „Was nun?“, fragte ich, aber Jürgens zog nur die Schultern hoch. Wir warteten also, und rund drei Minuten später kam Van Gaal wieder. „War kurz auf Toilette“, grummelte er. Dann schaute er wieder mich an und sagte: „Vielleicht mag ich sie als Mensch, Sie erinnern mich ein wenig an Ron Vlaar. Aber als Journalist mag ich Sie nicht.“ Ich lächelte, wobei ich nicht mal wusste, ob der Vergleich mit Ron Vlaar eine weitere fiese Spitze war, denn ich konnte den Namen Vlaar nicht einordnen. Van Gaal grinste. „Vlaar ist auch groß, und Vlaar hat auch keine Haare mehr“, sagte er. „Hab ihn bei Alkmaar trainiert.“ Okay, danke, Herr Tulpengeneral, und ach ja, vergessen Sie einfach diese wirklich überflüssige Frage nach Rivaldo oder Ribéry. Sprechen wir lieber weiter über Ihre Superkarriere und Ihre Supertitel.
„Meine Frau und meine Kinder finden, dass ich immer aufbrausend bin. Das ist einer meiner Vorzüge.“
Auf Netflix ist jüngst eine Dokumentation über Louis van Gaal erschienen. Sie heißt schlicht „Louis“, und es geht darin auch sehr oft um Van Gaals Verhältnis zur Presse. In Archivaufnahmen sieht man den Trainer ständig im Nahkampf mit Journalisten: beim Training, auf Pressekonferenzen, irgendwo in einer Einkaufspassage. „Das ist eine dumme Frage!“, raunzt er einmal einen Reporter an. Der Regisseur der Doku, Geertjan Lassche, möchte daher wissen, ob er nur bei Journalisten so aufbrausend sei. Van Gaal überlegt, dann sagt er: „Meine Frau und meine Kinder finden, dass ich immer so bin. Das ist einer meiner Vorzüge.“ Es ist eine von vielen Stellen im Film, bei der man nicht genau weiß, ob Van Gaal sich gerade innerlich schlapp lacht.
Die Doku passt eigentlich gar nicht so richtig in das Programm von Netflix, denn Fußball sieht dort oft aus wie eine Animation. In opulenten Serien sehen wir Fußballprofis dabei zu, wie sie heldenhaft durch unwirkliche Szenerien und ihre grotesken 20-Zimmer-Villen schweben. Es gibt Drohnenaufnahmen, Nahaufnahmen, viel Schärfentiefe, viel Superzeitlupe, dazu Instrumentals von angesagten HipHop- und/oder R’n’B-Artists. Oft erinnern die Machwerke eher an Werbeclips für Luxusautos als an Filme über Sportler. Sie sind austauschbar und banal, fast schon Stangenware.
Die Doku „Louis“ ist hingegen total pur. Sie ist keine endlose Serie, sondern erzählt alles in zwei Stunden, klar und direkt, und dann ist Schluss. Sie ist ganz bestimmt kein Jahrhundertwerk und versucht es auch nicht zu sein, aber sie hat viele großartige Momente. Gleich am Anfang zum Beispiel, als Louis van Gaal einen astreinen Louis-van-Gaal-Satz sagt: „Alles, was ich mache, mache ich super.“ Er steht dabei auf einem Golfplatz und schlägt ab, und spätestens dann ist klar, dass man weitergucken muss, weil man ganz tief rein möchte in diese faszinierende LvG-Welt, die vordergründig von Macht und Kontrolle geprägt ist, von Disziplin und Regeln, aber auch sehr viel Humor und sogar etwas Anarchie hat.
Louis van Gaal, 71, ist einer der erfolgreichsten Fußballtrainer aller Zeiten. Er hat mit Ajax den Uefa-Cup, die Champions League und den Weltpokal gewonnen, mit Barcelona und den Bayern holte er jeweils das Double aus Meisterschaft und Pokal, und selbst den Underdog Alkmaar führte er zum Titel, eine Sensation damals. Dann noch Bronze mit Holland bei der WM 2014 und ein FA-Cup-Sieg mit Manchester United. Trotz seines oft herrischen Auftretens war Van Gaal immer auch ein Freigeist. Er setzte auf Talente, die später zu Topspielern wurden: David Alaba, Clarence Seedorf, Patrick Kluivert, Edgar Davids, Xavi, Andres Iniesta und noch viele mehr. Die Weggefährten-Gaalerie (sorry!) liest sich wie ein Fußball-Hall-of-Fame der vergangenen 30 Jahre, und so war es eine gute Idee von Regisseur Lassche, aus dem Film eine Art Roadmovie zu machen. Gemeinsam mit seiner Frau Truus reist Louis van Gaal noch mal alle Stationen seiner Karriere ab. Seine wiederkehrende Frage, die zwar nicht direkt gestellt wird, aber immer mitschwingt: Wie gut war ich wirklich?