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Seine Ent­täu­schung konnte Declan Rice nach dem Spiel nicht ver­bergen. Es war ein frus­trie­render Nach­mittag“, fasste West Hams Mit­tel­feld­motor das Match gegen den Abstiegs­kan­di­daten FC Burnley zusammen. Er selbst hatte die Füh­rung für den Verein aus Ost-London in der 84. Minuten auf dem Fuß, verzog jedoch knapp. Wir hätten defi­nitiv drei Punkte holen müssen“, bilan­zierte Rice. Doch an Natio­nal­mann­schafts­kol­lege und Burnley-Keeper Nick Pope war an diesem Sonntag kein Vor­bei­kommen. Am Ende stand ein 0:0, zu wenig für West Hams der­zei­tiges Selbst­ver­ständnis.

Der Klub mischt diese Saison in der Pre­mier League ganz oben mit. Wäh­rend im Kampf um die inter­na­tio­nalen Plätze der Weg in jeder Spiel­zeit ten­den­ziell nur über Liver­pool, Chelsea, Tot­tenham und die beiden Man­chester-Klubs führt, kata­pul­tieren sich die Ham­mers nach etli­chen Jahren zwi­schen Mit­telmaß und Abstiegs­kampf gerade in Eng­lands fuß­bal­le­ri­sche Eli­te­gruppe. 

Auf- und Abräum­ar­beiten mit Declan Rice

Die Mann­schaft von Trainer David Moyes besticht vor allem mit blitz­sauberem Kon­ter­fuß­ball, gefähr­li­chen Stan­dard­si­tua­tionen und einer erstaun­li­chen Ball­si­cher­heit. Kein Team in der Pre­mier League hat in dieser Saison den Ball sel­tener ver­loren als West Ham. Mit­ver­ant­wort­lich dafür sind die beiden zen­tral­de­fen­siven Mit­tel­feld­spieler Declan Rice und Thomáš Souček. Sie sind das Herz­stück der Mann­schaft und über­nehmen in Moyes‘ 4 – 2‑3 – 1‑System die Auf- und Abräum­ar­beiten auf dem Spiel­feld. Gemeinsam machten sie bisher alle 16 Spiele in der Pre­mier League. Die Sta­tis­tiker ver­zeichnen zusammen nur zehn Ball­ver­luste der beiden Sechser. Zum Ver­gleich: Man­chester Citys Abräumer Rodri ließ sich die Kugel alleine zehnmal in 14 Spielen abluchsen, Man­chester Uniteds Paul Pogba sogar vier­zehnmal in ledig­lich neun absol­vierten Par­tien.

Wäh­rend Souček im Sommer 2020 für etwas mehr als 16 Mil­lionen Euro aus Prag nach London wech­selte, führte bei Rice der Weg aus der Jugend des FC Chelsea in West Hams Aca­demy of Foot­ball und von dort in den Pro­fi­be­reich. Gerade der Eng­länder ist bei den Fans auch abseits des Spiel­feldes äußerst beliebt. Vor wenigen Wochen ging ein Video auf Twitter viral, indem Rice den Song Ice Ice Baby“ in Rice Rice Baby“ umdich­tete und rappte. Auch wegen sol­cher Späße und der Fan­nähe, die er damit ver­kör­pert, ist der Mit­tel­feld­spieler der Star in einer Mann­schaft, die auf dem Platz schon länger ohne die ganz großen Namen aus­kommt – und trotzdem regel­mäßig die ver­meint­li­chen Spit­zen­teams ärgert.

Alles, was ihn inter­es­siert, ist das Wohl des Teams“

Man­chester United, Man­chester City, Tot­tenham, Liver­pool und jüngst der FC Chelsea: Sie alle haben sich in der Pre­mier League oder im Pokal in dieser Saison gegen West Ham bereits eine blu­tige Nase geholt. Teil­weise berau­schend war die Atmo­sphäre bei den beiden 3:2‑Heimsiegen der Ham­mers gegen Liver­pool und Chelsea im lange Zeit so unge­liebten London Sta­dium, dem hoch­mo­dernen Nach­folger des Boleyn Ground.

Mark Noble, eigent­lich Kapitän der Mann­schaft, sitzt bei sol­chen Spielen meist auf der Bank. Anführer auf dem Platz ist längst Declan Rice. Im Sommer über­zeugte der 22-Jäh­rige bei der Euro­pa­meis­ter­schaft ganz Eng­land von seinen fuß­bal­le­ri­schen Qua­li­täten. Auf der Insel gilt Rice als kom­mender Kapitän der Three Lions.

Denn der junge Eng­länder besticht vor allem als Ball­führer und Leader. Ex-Pre­mier-League-Spieler Tim Sher­wood hob nach dem 4:1‑Erfolg der Ham­mers bei Aston Villa die mann­schafts­dien­liche Spiel­weise des jungen Eng­län­ders hervor. Alles, was ihn inter­es­siert, ist das Wohl des Teams, seiner Mann­schafts­kol­legen.“ Es ist genau diese Ein­stel­lung, mit der Declan Rice sinn­bild­lich West Hams größte Stärke in dieser Spiel­zeit ver­kör­pert. Auf ihr fußt der Ursprung des Ball­sports: Das Team tritt als Kol­lektiv auf.

Stan­dard oder Konter? Was darf’s sein?

Erfolg­reich sind die Ham­mers vor allem, weil sie aus allen Mann­schafts­teilen Tor­ge­fahr ent­wi­ckeln. Wer den Treffer erzielt, ist letzt­lich egal. Für die Kon­kur­renz ist West Ham des­halb nur schwer aus­zu­rechnen. Beson­ders brenzlig wird es für geg­ne­ri­sche Teams vor allem nach Stan­dard­si­tua­tionen. Gegen Tot­tenham und Everton fiel der 1:0‑Siegtreffer für die Ost-Lon­doner jeweils nach einer Ecke, Liver­pool fing sich sogar zwei Gegen­tore auf diese Art und Weise. Doch das Team von David Moyes ver­lässt sich nicht einzig und allein auf ruhende Bälle. Das Kon­zept des Schotten basiert auf Kon­ter­fuß­ball. Und der beginnt ten­den­ziell im Abwehr­drittel.

Wenn die Defen­siv­ak­teure um Declan Rice den Ball erobern, geht es bei West Ham schnell. Gesucht wird dann in vor­derster Front Michail Antonio. Als Ziel­spieler agiert er in erster Linie als Voll­stre­cker. Genauso ent­schei­dend ist aber, dass der jamai­ka­ni­sche Natio­nal­spieler in der Umschwalt­be­we­gung die Räume für seine Kol­legen öffnet, indem er immer wieder die Ver­tei­diger bindet. Mit seinen weiten Lauf­wegen zeigt sich der Stürmer ähn­lich mann­schafts­dien­lich wie Declan Rice. Der Lohn: Bereits vier Treffer konnten die Ham­mers durch Konter erzielen. Aktuell hat kein Team der Liga mehr Tore nach diesem Prinzip geschossen.

Obwohl die Ham­mers mit dieser Taktik den Liga-Favo­riten aktuell rei­hen­weise die Grenzen auf­zeigen, reicht es noch nicht für den Sprung nach ganz oben. Denn mit den ver­meint­lich leich­teren Geg­nern bekommt die Mann­schaft des Öfteren ihre Pro­bleme – so wie beim 0:0 in Burnley, der Nie­der­lage gegen Auf­steiger FC Brent­ford oder dem Remis gegen Brighton & Hove Albion. Teil­weise ging das Team in diesen Spielen zu ver­schwen­de­risch mit seinen Mög­lich­keiten um. Die Wahr­heit ist aber auch, dass die Ham­mers beson­ders gegen tief ste­henden Mann­schaften ihren cha­rak­te­ris­ti­schen Kon­ter­fuß­ball nicht auf den Platz bringen konnten.

Was Moyes zudem frus­trieren wird, ist, dass seine Jungs schon mehr­mals Punkte in den Schluss­mi­nuten ver­schenkt haben. Gegen Man­chester United fiel der Sieg­treffer für die Red Devils in der 89. Minute, Brent­ford erzielte zwei Wochen später das ent­schei­dende Tor in der Nach­spiel­zeit und auch beim 1:1 gegen Brighton kas­sierten die Ham­mers den Gegen­treffer erst eine Minute vor Ablauf der regu­lären Spiel­zeit. Hätte die Mann­schaft sich diese Nach­läs­sig­keiten gespart, würde sie sich nicht nur im Kampf um die Cham­pions-League-Plätze befinden, son­dern hätte even­tuell auch ins Titel­rennen der Pre­mier League ein­greifen können.

Dau­er­haft in die Spitze dank Vor­aus­sicht bei Rice

Declan Rice dürfte früher oder später defi­nitiv um den Titel mit­spielen – und das unab­hängig von seinem aktu­ellen Arbeit­geber. Denn die Top-Klubs der Liga stehen mitt­ler­weile Schlange, um West Hams Abräumer zu ver­pflichten. Summen von über 100 Mil­lionen Euro sind im Gespräch. Doch der Verein denkt über­haupt nicht daran, den Mit­tel­feld­mann ziehen zu lassen. Denn in der Füh­rungs­ebene prägt den ehe­ma­ligen Chaos-Klub in den letzten Jahren eine gewisse Vor­aus­sicht und Kon­stanz. Bereits 2018 unter­schrieb Aca­demy-Spieler Rice ein Arbeits­pa­pier bis 2024 – mit Option auf ein wei­teres Jahr. Damals düm­pelte West Ham im Nie­mands­land der Tabelle. Vom Top-Team konnte in Ost-London noch nicht wirk­lich die Rede sein. Doch Rice schien schon damals das Poten­zial und die Ent­wick­lung zu erkennen. Bei der Ver­trags­un­ter­schrift erklärte er: Es gibt keinen Grund, wes­halb wir nicht an der Spitze mit­halten können.“

Damit lag er zunächst gründ­lich daneben, denn kaum ein Jahr später schlit­terte West Ham tief in den Abstiegs­kampf hinein. Rück­bli­ckend wirken die dama­ligen Worte des eng­li­schen Natio­nal­spie­lers aber ohnehin eher wie ein Ver­spre­chen an die Zukunft, das die Mann­schaft unter David Moyes nach und nach ein­zu­lösen beginnt. Aktuell ist Declan Rice welt­weit der wert­vollste Spieler, der noch nie in der Königs­klasse auf­ge­laufen ist. Wenn es den Ham­mers künftig jedoch gelingen sollte, in der Liga auch die ver­meint­lich kleinen Gegner zu schlagen und zusätz­lich schwie­rige Par­tien dre­ckig über die vollen 90 Minuten zu bringen, könnte sich das Schicksal des Mit­tel­feld­mannes bereits in der kom­menden Spiel­zeit ändern. Dann ertönt die Cham­pions-League-Hymne mög­li­cher­weise auch im London Sta­dium – und West Ham United zählt im eng­li­schen Fuß­ball end­gültig zu den Top-Adressen.