Doppeltes Jubiläum: Vor 100 Jahren wurde Hennes Weisweiler geboren. Und vor 40 Jahren zerstritt er sich mit seinem Herzensklub.
Die Funktionäre waren nicht die einzigen, die Weisweiler mit Liebesentzug drohten: Auf den Rängen des Müngersdorfer Stadions sah man das Banner „Flohe gehört zum FC wie der Dom zu Köln“ und hörte so manchen Anti-Weisweiler-Ruf. So richtig ernst gemeint war das allerdings nicht. Der Trainer, den man wegen seiner Herkunft aus dem bäuerlichen Kölner Umland „de Boor“ nannte, hatte nicht den Ruf, ein Sensibelchen zu sein, und konnte selbst sehr ruppig werden. Deswegen dürften die meisten Leute geglaubt haben, er wäre dickfellig genug, um ein paar Denkzettel zu verdauen. Immerhin stürzte der FC im September sogar kurzzeitig auf einen Abstiegsplatz – da durfte man doch wohl mal pfeifen!
Doch in Weisweiler muss es gebrodelt haben. Später würde er sagen, dass er die Barcelona-Pläne fallen gelassen hatte und seinen Vertrag verlängern wollte. Nur – es kam kein Angebot vom Verein. Wie ungenannte Mitglieder des Vorstandes einige Monate später dem „Kicker“ verrieten, planten die Funktionäre, Weisweiler bis Mitte Februar hinzuhalten, womöglich als eine Art disziplinarische Maßnahme. Mitte November besuchte Weisweiler eine Kabarett-Aufführung im Theater „Senftöpfchen“. Als er sich danach ins Auto setzte und die Tür schloss, zerbarst die Glasscheibe in zahllose Splitter. Wer nach einem humorvollen Abend seine Autotür mit solcher Wucht zuschlägt, der dürfte unter Dauerstrom gestanden haben.
Unerwartete Ankündigung
Vielleicht war Weisweilers Geduldsfaden in jenen Monaten auch deswegen noch kürzer als sonst, weil er vor einer kostspieligen Scheidung von seiner Frau Lieselotte stand. (Ja, genau die „Lilo“ die dafür gesorgt haben soll, dass Gladbach unter Weisweiler vom traditionellen Schwarz zum heute klassischen Weiß wechselte.) Wie auch immer, die Hinhaltetaktik des Vorstands sollte sich als Fehler herausstellen. Dabei sah es zunächst aus, als hätte sie sogar Erfolg: Im Januar sprang der FC zuerst auf Platz zwei und war wieder dick im Meisterrennen, dann führte Weisweiler seine Elf auch noch ins Achtelfinale des Pokals. Bei einer Abstimmung unter den Lesern des „Kicker“ wurde er zum drittbeliebtesten Trainer der Liga gewählt. Zwei Tage, nachdem das Heft in den Handel gekommen war, gab Weisweiler bekannt, dass er im Sommer zu Cosmos New York wechseln würde.
Die Funktionäre waren entsetzt. Sofort bot der Vorstand Weisweiler einen neuen Vertrag über zwei Jahre an, doch der Trainer lehnte ab. Die Fans waren entsetzt. „Hennes, du darfst nicht gehen!“, sangen sie, doch der Trainer hörte nicht auf sie. Und auch die Profis waren entsetzt. „Alle Spieler waren für den Trainer“, sagte einer jener Nachwuchsleute, für deren Förderung Weisweiler berühmt war. „Wir wollten, dass er bei uns bleibt.“ Der Name des jungen Mannes war Bernd Schuster.
Schließlich endete die Ära Weisweiler sogar noch früher, als nach diesen Vorfällen erwartet worden war. Nach einer Niederlage bei Hertha im April bat Weisweiler den Vorstand darum, sofort nach Amerika gehen zu dürfen. Weil der FC bereits einen neuen Trainer an der Angel hatte, der auch kurzfristig verfügbar war, gab der Klub Weisweiler grünes Licht. Als der FC zum nächsten Spiel antrat, befand sich der erfolgreichste Trainer in der Geschichte des Vereins schon auf amerikanischem Boden. Sein Nachfolger hieß Karl-Heinz Heddergott. Er sollte als der Mann in die Klubhistorie eingehen, der Schuster aus Köln vertrieb.