Genialer Plan oder Millionengrab? Ein Dutzend Altstars aus Europa soll dem Fußball in Indien endlich zum Durchbruch verhelfen. Unsere Reportage aus 11FREUNDE #157.
Ehrfürchtig verfolgen die indischen Spieler das Verhalten ihrer prominenten Mannschaftskollegen. Einer der einheimischen Stars ist Subrata Pal, Indiens Nationaltorwart, ein höflicher, zurückhaltender Mann. Für ihn sei es eine große Ehre, sagt er, mit Weltstars wie Anelka oder Ljungberg zusammenzuspielen und mit ihnen Kabine und Trainingsplatz zu teilen. Während die europäischen Altstars Indien nach dem Saisonfinale am 20. Dezember 2014 wieder verlassen, werden die lokalen Spieler zusammen mit ein paar internationalen No-Names bleiben.
„Für mich ist das Thema Nachhaltigkeit wichtiger als die großen Namen“, sagt Abishek Yadav, ein weiterer Nationalspieler in Diensten von Mumbai City FC. Um den Fußball im Land wirklich zu verändern, brauche es mehr als eine lukrative Mini-Liga. Vor allem in der Nachwuchsarbeit müsse mehr getan werden, sagt er. Es ist auch ein Appell an die Investoren, dass sie bei ihrem ehrgeizigen Fußballprojekt einen langen Atem beweisen.
Einer von ihnen ist John Abraham, ein Star aus der Traumfabrik von Bollywood, ein Filmproduzent und Unternehmer. Er ist einer von drei Superpromis aus dem Kinobusiness, die – neben einigen Cricket-Helden – in der ISL engagiert sind und auf Prestige im Fußballmilieu und mittelfristig auch auf einen finanziellen Rückfluss ihrer Einsätze in der Profiliga hoffen. Es ist nicht so leicht, Abraham zu treffen. Ein Raunen und Kreischen geht durch die Halle des Hotels in Guwahati, im Nordosten des Landes, als er aus dem Aufzug tritt. Da steht er, groß gewachsen, weiße Zähne, Gewinner eines Schönheitswettbewerbs, ein Bild von einem Mann. Und seit kurzem Inhaber bzw. Franchise-Nehmer des Fußballklubs Northeast United. Routiniert erfüllt er die Fotowünsche und bittet dann in eine ruhige Ecke zur Audienz. Leider, so führt Abraham aus, gebe es in diesem riesigen Land nur zwei Arten von Göttern: „Cricket-Stars und Filmschauspieler wie mich.“ Und diese Form der Heldenverehrung sei doch nicht gut, nicht ausreichend, erklärt er mit dem einstudierten Gestus der Bescheidenheit. Als Fußballenthusiast hat er es sich daher zur Aufgabe gemacht, den Sport zu puschen, wo es nur geht. Als Medienunternehmer weiß er alles über die Sogkraft, die große Fußballer im Westen auf die Gesellschaft ausüben können.
Er ist sich sicher: Eines Tages werde der Fokus der Menschen auf „die eigentlichen Helden“ fallen – auf die Profis in der ISL. Jetzt schauen noch alle auf die ergrauten Helden, die wie eine Eliteeinheit aus dem fernen Europa eingeschwebt seien und so wie sie kamen bald auch wieder verschwunden sein werden. Doch in Zukunft werden die Fans dann vor allem – so Abraham – „auf unsere indischen Jungs“ schauen. Dann sei seine Mission als Fußball-Geburtshelfer erfüllt. Obwohl Abraham durchaus Modelqualitäten mitbringt und ohne weiteres als indische Ausgabe von George Clooney durchginge, lässt er sich marketinggerecht am liebsten im Trikot seines Teams ablichten. Hin und wieder soll er dem Vernehmen nach auch selbst gegen den Ball treten. Als der 36-jährige Joan Capdevila – spanischer Weltmeister in Diensten von Northeast United – durch die Hotellobby schlendert, ist schwer zu ermessen, wer hier wessen Boss ist. Eine Spur zu aufgekratzt wirkt der Bollywood-Held, als er betont lässig mit seinem Kapitän abklatscht.
Ob die neue Liga am Ende wirklich ein gutes Geschäft sein wird, können derzeit weder Abraham noch irgendein anderer Geldgeber absehen. Konkrete Zahlen will kein Investor nennen, aber hinter vorgehaltener Hand hört man, dass die Super League in ihrem Premierenjahr bei weitem nicht so viel abwerfen wird, wie sich einige vorgestellt haben. Selbst wenn alles optimal läuft, dürfte es mindestens drei bis fünf Spielzeiten dauern, bis die enormen Investitionen in erste Gewinne umgewandelt werden.
Mit Fahrzeugkolonne und Polizeisirene geht es zum Indira-Gandhi-Stadion von Guwahati. Schon zwei Stunden vor Anpfiff bricht das Rund aus allen Nähten. Ein Bollywood-Beat ballert aus den Boxen, 35 000 frenetische Fans feiern die Mannschaft von Northeast United und singen die neue Hymne des indischen Fußballs mit ihrer etwas eigenwilligen Grammatik: „Come on India, let’s football!“
Wer erwartet hatte, dass die Super League nur eine weitere Variante dieser außereuropäischen Geld-Ligen ist, bei denen ein paar schwerreiche Sponsoren bräsig auf der Tribüne vor sich hindösen, wird spätestens hier eines Besseren belehrt. Diese Begeisterung ist echt.
Keine Frage, für Fußballkultur-Puristen gäbe es viel zu bemängeln am indischen Fußballhype: das ganze Franchise-System, die gestopften Klubmäzene, die sich ihr sündhaft teures Hobby leisten, die verlosten Superstars, das geschlossene Ligasystem mit der auf Spektakel getrimmten Kurzzeitsaison. Es fehlt an Vereinstradition, die Qualität auf dem Rasen lässt zu wünschen übrig, und überhaupt ist viel zu viel externes Geld im Geschäft.
Und doch bleiben unterm Strich eine Menge echter Gefühle übrig. Die Menschen, die hier umgerechnet 1,20 Euro für einen Tribünenplatz bezahlt haben, sind mit Leidenschaft bei der Sache. Das scheint sich auch Luis García zu denken, spanischer Stürmer in Diensten von Atlético de Kolkata. Mit offenem Mund steht er vor der lärmenden Fankurve, die so bunt und glitzernd wie eine geöffnete Schatztruhe aussieht. Es mag für ihn eine andere Stimmung sein als an der altehrwürdigen Anfield Road in Liverpool, aber offenbar erlebt auch in Indien so mancher alte Haudegen noch einen späten Gänsehautmoment.
Trainingsende in Goa. Brasiliens Legende Zico hat sich eine Kokosnuss aufgeschlagen. Hinter dem Ozean geht langsam die Sonne unter. „Wir sind nicht nach Indien gekommen, um ein schönes Leben zu haben“, sagt er lächelnd, doch seine Worte wollen nicht so recht ins entspannte Setting an der Konkanküste passen. „Noch mal: Wir sind gekommen, um hart zu arbeiten.“
Auch Zicos Ü40-Star Robert Pirès gelingt es nicht so recht, das Klischee vom gechillten Feierabendkicker abzuschütteln. Ob er denn überhaupt noch fit genug sei für neunzig Minuten Profi-Fußball, will eine indische Journalistin wissen. „Natürlich bin ich das“, antwortet Pirès selbstbewusst, aber er scheint sich dann fast ein wenig darüber zu wundern, dass niemand seine Aussage anzweifelt. Wie hatte es ein Anhänger des Mumbai City FC noch so schön auf den Punkt gebracht: „Die alten Spieler sind okay, aber ein Cristiano Ronaldo wird wohl eher nicht nach Indien wechseln.“ Zumindest nicht in den nächsten zehn Jahren.