Für Thomas Broich waren die letzten Wochen durchaus ereignisreich: Erst stürzte er beinahe mit dem Flugzeug ab, dann ging er mit Mannschaft surfen, schoss ein Rekordtor und wurde zu Australiens Fußballer des Jahres gewählt. Für uns hat er die Eindrücke in seinem Tagebuch zusammengefasst.
An dieser Stelle schreibt Thomas Broich über seine Erlebnisse mit Brisbane Roar, die momentan in der AFC Champions League spielen. Wir verlosen dazu jedes Mal eine signierte DVD des sehr sehenswerten Dokumentarfilms von Aljoscha Pause über Thomas Broich: „Tom meets Zizou“. Schickt eine Mail mit Name und Adresse an: quiz@11freunde.de. Stichwort: Roar!
Brisbane, 18.04.2012
Die letzten Tage und Wochen waren, gelinde gesagt, ziemlich ereignisreich. Endlich finde ich wieder die Zeit, ein paar Zeilen zu schreiben. Gerade komme ich vom „Pool Recovery“. Dem üblichen Programm nach einem Heimspiel.
Fara bringt mir meinen zweiten Cappuccino. Sie fragt wie es war, gestern Abend, obwohl sie sich nicht wirklich für Fußball interessiert. Auch nicht für die Champions League. Ich antworte kurz, bloß keine Details. Es war eher ein Abend zum Vergessen. Es ist schon viel los in Fara’s Café an diesem Mittwochmorgen. Das „Denim Co.“ ist so etwas wie mein Stammlokal, unweit des „City Beach“. Hier in der Little Stanley Street in Brisbanes zentralem Stadtteil South Bank reiht sich ein Café an das andere. Ich wohne direkt um die Ecke, in einem Apartmenthaus. Die Wohnung habe ich von einem ehemaligen Roar-Spieler übernommen. Sie ist nicht besonders groß. Ein Wohnzimmer mit integrierter Küche und ein Schlafzimmer. Aber man ist ohnehin viel draußen.
Eine flirrende, lebendige Gegend, direkt am Brisbane River. Nur einmal, im Januar 2011 bei der Flutkatastrophe, verwandelte sich das beliebte South Bank durch seine tiefe Lage in eine echte Wasserfalle. Das komplette Viertel wurde überflutet, eine Woche lang fiel der Strom aus. Aber darüber verliert der in jeder Hinsicht Wetter feste Australier längst kein Wort mehr. Man gewöhnt sich an alles, sollte man meinen. Allerdings ist es mit meiner Katastrophenfestigkeit manchmal so eine Sache, habe ich jüngst feststellen müssen. Um das zu erklären, beginne ich dort, wo mein letzter Bericht endete. In Ulsan, Südkorea.
Galgenhumor zwischen Flugzeugcrash und Massenpanik
Wir waren bereits seit einer knappen Woche unterwegs. Unmittelbar nach dem Halbfinalhinspiel um die australische Meisterschaft waren wir nach Südkorea gereist und hatten das Champions-League-Match in Ulsan absolviert. Nun folgte der Rückflug nach Sydney. Bereits das erste Teilstück von Ulsan nach Seoul entwickelte sich zum Horrortrip. Und für mich zur unfreiwilligen Selbsterfahrungs-Gelegenheit. Ich hatte eigentlich nie übermäßige Flugangst, aber was sich auf der kurzen Strecke in die Hauptstadt Südkoreas abspielte, war abenteuerlich. So etwas hatte ich noch nicht erlebt. Schon kurz nach dem Start zerrten Turbulenzen derart heftig an der Maschine, dass ich mir sicher war, sie würde jeden Moment bersten. Das Flugzeug sackte mehrmals erheblich ab. Mir schoss die Panik in die Glieder, meine Hände waren triefend nass. Unwillkürlich zwang mir dieser gefühlte Ausnahmezustand einen ziemlich albernen Galgenhumor auf die Lippen. Äußerlich einen unerschrockenen Schein wahrend, suchte ich unter meinen Mitspielern nach „Opfern“, denen der
Angstschweiß offensichtlicher auf der Stirn stand. Sie mit ihrem unübersehbaren Schrecken aufzuziehen, erschien mir instinktiv die einzige Kompensationsmöglichkeit für meine eigene Notlage. Um diesen Reflex zu durchschauen, muss man vermutlich nicht mehrere Semester Psychologie studiert haben. Es war das sprichwörtliche Pfeifen im Walde.
Phobien statt Gelassenheit im Alter
Wie es mir ohnehin erscheint, dass mich Phobien jetzt im „Alter“ eher heimsuchen, als das früher der Fall gewesen wäre. Ausgerechnet in Zeiten, da ich permanent im Flugzeug unterwegs bin, auf langen Auswärtsreisen in der A‑League und der Champions League, sowie auf Heim- und Urlaubsreisen nach Asien und Europa, greift ein deutliches Unbehagen zunehmend Raum. Ähnlich geht es mir bei Spritzen, denen ich früher keine größere Aufmerksamkeit gewidmet habe. In den vergangenen Monaten habe ich durch meine Verletzungen unzählige Behandlungen über mich ergehen lassen. Seit Januar habe ich fast nie ohne Schmerzmittel gespielt. Doch anstelle eines Gewöhnungseffektes trat eine fast körperliche Aversion ein. Mittlerweile könnte ich mich übergeben, wenn ich nur eine Nadel sehe. Gelassenheit im Alter geht anders, denke ich.
Der Flug von Seoul nach Sydney dauerte die ganze Nacht. Am Freitagmorgen landeten wir wieder auf „heimischem“ Boden. Mit dem Bus ging es weiter nach Gosford, 100 km nördlich an der Küste gelegen, wo die Central Coast Mariners zu Hause sind. Hier stand am Sonntag das Halbfinalrückspiel an. Nachdem uns der Baustellenlärm in Korea beinahe in den Wahnsinn getrieben hatte, hielt der Blick aus dem Zimmerfenster jetzt deutlich Ansehnlicheres bereit. Hotel und Stadion liegen direkt an einer Bucht. Selbst vom Spielfeld kann man aus dem an einer Stirnseite offenen Stadion durch Palmen hindurch auf die Strandpromenade und das Wasser schauen. In einer Halbzeit spielt man also, wenn man so will, aufs Meer zu. Diese maritime Exotik, die es für deutsche Augen zweifelsfrei ist, ist in Gosford allgegenwärtig.
Wir kamen also mit unseren müden Knochen im Hotel an. Wegen des langen Fluges hatte der Trainer schon kurz darauf „Auslaufen“ angesetzt. Welches sich allerdings als „Beach Recovery“ entpuppte. Genauer gesagt, „Bodysurfen“. Wenn mir das damals in Deutschland jemand erzählt hätte, ich hätte ihn vermutlich als Klischee-Fetischisten oder naiven Romantiker verspottet. Bodysurfen als Auslaufen. Sensationell. Pool Recovery sind wir aus Brisbane zwar gewöhnt, aber das war nun wirklich die Krönung.
Die Wellen an diesem Tag waren enorm. Wer jemals bei üppigem Seegang zwischen Lacanau und Biarritz am Atlantik unterwegs war, weiß, wovon ich spreche. Es war ein riesiger Spaß. Mit der kompletten Mannschaft machten wir Jagd auf die perfekte Welle. Es war ein einziges Gedrängel und Gerangel, da alle stets die gleiche Welle reiten wollten. Die großen Brecher waren ziemlich grenzwertig. Es gab zahlreiche Kollisionen, ein paar Kollegen haben sich danach nicht mehr raus getraut. Offensichtlich gab es diesbezüglich ein deutliches Gefälle innerhalb des Teams. Die Vertreter aus den mäßig Surf-affinen Nationen wie Bahrain oder Albanien waren etwas weniger enthusiastisch, um es vorsichtig zu formulieren. Während unsere
australischen Beach Boys, wie Socceroo Mitch Nichols, im Kamikaze-Style mit den Wogen zum Strand schossen.
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Durch das 2:0 im Hinspiel hatten wir für das Match gegen die Mariners gute Karten. Obwohl es um nicht weniger als den Einzug ins „Grand Final“ ging, war die Stimmung ziemlich entspannt. Und so kam es, dass das Spiel durch unser Auswärtstor nach 63 Sekunden so gut wie entschieden war. Nach dem 2:0 fühlten wir uns schon früh sehr sicher – was uns innerhalb kürzester Zeit zwei Gegentore bescherte. Am Ende konnten wir noch mal einen Gang zulegen und gewannen recht komfortabel mit 3:2.
Wenn ich ehrlich bin, war der erneute Einzug ins „Grand Final“, trotz aller Euphorie in der Mannschaft und im Umfeld, für mich persönlich erst mal nicht das riesengroße Ding. Durch den seltsamen Modus hier in Australien, der den unterlegenen Central Coast Mariners als Meister der Liga noch eine zweite Chance einräumte, als Lucky Loser das Finale zu erreichen, war ich mir eigentlich sicher, dass wir wieder auf sie treffen würden. Wir haben letztes Jahr das Halbfinale und Finale gegen sie bestritten, dieses Jahr das Halbfinale – und in der normalen Ligarunde spielt man hier ohnehin dreimal gegeneinander. Offen gestanden: Ich kann sie einfach nicht mehr sehen. Das
ist nicht despektierlich gemeint, sondern einfach ehrlich. Es wird irgendwann langweilig. Als dann letzten Samstag Perth Glory im Elfmeterschießen gegen die Mariners ins Finale einzog, habe ich richtig gejubelt.
Was den Grand Final Gewinner am kommenden Sonntag angeht, darf allerdings gerne alles beim Alten bleiben. Ich freue mich auf dieses Match. 50.000 Zuschauer im Suncorp Stadium, das ist echte Bundesliga-Atmosphäre. Mit dem Unterschied, dass das hier wirklich etwas Besonderes ist, da zu normalen Liga-Spielen 10.000 bis 15.000 Zuschauer kommen. Aber beim Grand Final drehen hier in Down Under eben alle durch. Ein unglaublicher Hype.
Am Montagmorgen nach dem Halbfinale ging es für Besart Berisha und mich zurück nach Sydney. Schließlich stand am Dienstagabend die „Award’s Night“ des Australischen Fußballverbandes auf dem Programm. Besart, der in Deutschland für den HSV und Arminia Bielefeld im Einsatz war, war ziemlich angeschlagen. Die permanenten Klimawechsel und der Reisestress hatten ihm zugesetzt. Für schlappe 50 Dollar haben wir ihn in einer Apotheke eingedeckt, damit er bis zur Gala durchhält. Die Preisverleihung begann, wie man sich so etwas vorstellt. Das Who is Who des Australischen Fußballs gab sich die Ehre. Roter Teppich, Gala-Diner – ehrlich gesagt, ist das nicht wirklich Meins, dieser ganze Glamour. Aber zusammen mit Besinho, wie wir unseren Top-Stürmer Besart Berisha liebevoll getauft haben, war es echt witzig. Während er sich gnadenlos 15 Tassen Kräutertee reinzog – um die sich anbahnende Grippe in Schach zu halten, aber auch, weil er wusste, dass er als Torschützenkönig den „Golden Boot“ entgegen nehmen würde – gönnte ich mir den guten Australischen Wein. Aufgrund meiner langen Verletzungspausen während der Saison hatte ich nicht damit gerechnet, selber noch auf die Bühne zu müssen. Es kam anders (Thomas Broich wurde zu „Australiens Fußballer des Jahres“ gewählt Anm. d. Red.). Aber ich habe es trotz des „Shiraz“ ganz gut bewerkstelligt.
Am nächsten Morgen ging es dann nach 10 Tagen Rundtrip zurück nach Hause. Durchatmen, bevor das nächste Spiel in der Champions League anstand. Abschalten fällt bei mir im South Bank wirklich nicht schwer. Direkt vor meiner Tür liegt der Stadtstrand, da kann man mal eben ins Wasser springen, bevor man in die lebhafte Musik-Szene des Viertels eintaucht. Live-Musiker, Jam-Sessions allenthalben, oftmals Open Air. Für einen Musik-Versessenen wie mich ist das schon ein kleines Paradies.
Für unser Spiel gegen Ulsan Hyundai gestern Abend hatten wir uns eine Menge vorgenommen. Allein die Umsetzung blieb auf der Strecke. Zwar hatten wir größere Spielanteile, aber nach einem unglücklichen Elfmetergegentor zum 1:2 und zahlreichen vergebenen Chancen standen wir am Ende ohne Punkte da. Bei noch zwei ausstehenden Spielen und derzeit Platz 3 in Gruppe F ist unsere Chance auf einen Einzug ins Achtelfinale der Champions League praktisch gleich Null. Wir sind nicht schlechter als unsere Gegner, müssen aber im ersten Jahr noch Lehrgeld zahlen.
In der nächsten Saison sieht das hoffentlich schon anders aus. Auch was die Kulisse betrifft. Wir hatten gestern ganze 7000 Zuschauer. In einem Champions League Match. Das war schon enttäuschend. Und doch vorhersehbar. Hier in der Stadt läuft bereits der Countdown für das Grand Final am Sonntag. Alle Uhren zählen rückwärts. Da klappt es plötzlich mit der Fußballbegeisterung. Dann geht es in der Millionen-Stadt Brisbane mit ihren großen Rugby und Australian Football Teams wirklich einen Tag lang nur um Fußball. Selbst Fara, meine Lieblingswirtin will mal reinschauen. Und das will schon etwas heißen.