Lukas Podolski mag seinen sportlichen Zenit überschritten haben, die Erwartungen beim Anhang von Galatasaray sind dennoch hoch. Zurecht?
„De Prinz kütt“, twitterte ein türkischer Journalist am Donnerstagnachmittag seinen tausenden Followern zu. Die in Deutschland lebenden Fans von Galatasaray wussten natürlich sofort Bescheid. Lukas Podolski wird endlich ein Löwe. Die Eilmeldung dazu kam von der „Bild“-Zeitung, die es vom Berater des Flügelstürmers bestätigt bekam. Und das Boulevardblatt wusste die Fans des türkischen Rekordmeisters zu rühren. In sozialen Medien wurde die Meldung erst auf Deutsch und dann in bestem Türkisch verbreitet. Kommentare wie „I love you Bild“ oder „Danke Bild“ waren die Folge.
Endlich Podolski!
Mit dem Transfer endet eine nicht enden wollende Liaison zwischen dem Club vom Bosporus und dem Prinzen vom Rhein. Denn Galatasaray SK schien schon zweimal kurz davor zu stehen, Podolski zu verpflichten. So oft hatte man schon die Meldung verbreitet, wonach man in Verhandlungen miteinander stehe. Im Regelfall ein sicheres Zeichen dafür, dass ein Transfer durch ist. Beide Male mussten die Türken aber in die Röhre schauen. Der Offensivmann fühlte sich offenbar noch nicht reif genug für die Süperlig, die in Mitteleuropa als Altenliga verschrien ist.
Dabei trügt der Schein. Lukas Podolski ist zwar schon 30 und amtierender Weltmeister. Da hat man als moderner Profi aber eigentlich noch mindestens zwei, drei gute Jahre vor sich, bevor man den Weg allen Irdischen geht und im Wüstensand oder am Jangtsekiang einen Rentnervertrag unterschreibt. So lauten zumindest die üblichen Vorurteile. Beim Linksfuß ist die Sachlage aber etwas anders. In seiner Karriere konnte der Offensivmann eigentlich immer nur bei seinem Heimatclub 1. FC Köln überzeugen – und im Nationaltrikot.
Mal wieder 30 Einsätze pro Saison
Bei den Bayern saß er oft auf der Bank. Nach einem erneuten Intermezzo beim FC ging es dann 2012 an die Themse zu Arsenal. Doch Podolski konnte auch in der Premier League nie überzeugen. Auf der Insel brachte er es in 60 Partien auf 19 Tore. In der Hinrunde der vergangenen Saison war Podolski für Arsene Wenger dann kein Thema mehr. Oft stand er nicht einmal im Kader, manchmal kam er von der Bank. Die Rückrunde verbrachte Lukas Podolski auf Leihbasis bei Inter Mailand. Doch auch in der Serie A wusste er nicht zu überzeugen. Achtmal stand er in der Startelf, neunmal durfte er als Einwechselspieler ran. Auffällig war da schon: Podolski war nicht fit. Dies dürfte auch Joachim Löw nicht entgangen sein. Und vielleicht ist das auch der Grund, warum der DFB-Coach seinen Lieblingsschüler per Zeitungsinterview dazu aufforderte, endlich mal in einer Saison auf 30 oder 40 Einsätze zu kommen.
Podolski scheint das aber vorher schon verstanden zu haben. Die Tage vor dem Wechsel verbrachte der Linksaußen mit Kind und Freundin in einem Hotel an der türkischen Südküste. Eigentümer der Herberge ist niemand anderes als Dursun Özbek, im Nebenjob Präsident von Galatasaray. Da dämmerte vielen Fans, dass Podolski mit dem Club ernsthaft verhandelte und diesmal die Chancen für eine Verpflichtung gut stünden. Auffällig war, dass Podolski in den vergangenen Wochen schon häufig seine Zuneigung zur Türkei bekundete. Seinen 30. Geburtstag feierte er mit seinem Kumpel Gökhan Töre in Istanbul, das Beweisfoto twitterte er selbst in die Welt. Auch der Besiktas-Angreifer stammt aus Köln.
Vorbild Wesley Sneijder
Entscheidend wird nun sein, was Podolski daraus macht. Galatasaray hat schon oft bewiesen, dass man aus Profis, die woanders aussortiert wurden, noch das Beste herausholen kann. Wesley Sneijder saß aufgrund eines Streits mit der Vereinsführung ein halbes Jahr lang bei Inter auf der Tribüne. Galatasaray bot ihm auf Nettobasis das gleiche Gehalt und konnte nach Didier Drogba einen neuen Transfercoup landen. Und der hat sich gelohnt. Sneijder kurbelte die Trikotverkäufe an, schoss den entscheidenden Treffer in der legendären Schneeschlacht gegen Juventus, womit die Italiener 2013/14 schon in der Gruppenphase aus der Champions League flogen, und ist auch sonst einer, der das Niveau im Team hebt und für den Unterschied sorgen kann.
Ob das aber für Lukas Podolski gilt, darf bezweifelt werden. Am Sonnabend wird sich der Rheinländer wie ein Messias gefühlt. Morgens warteten einige hundert Fans bereits am Flughafen auf ihn. Die größte Fangruppe „UltrAslan“ hatte dazu aufgerufen, den Neuzugang feierlich zu empfangen. Als dann am Nachmittag die Verträge unterzeichnet wurden, nippte Podolski an einem türkischen Tee und prostete in der Landessprache „Hooop Cay!“. So gewinnt man Sympathiepunkte. Viel mehr türkische Sätze wollte der Linksfuß dann aber nicht von sich geben. Unter Kölner Türken hat er vor allem Schimpfwörter gelernt, wie er zugab.
Türkische Rauhbeine
Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Im türkischen Fußball hassen die Fans ihre Stars so schnell, wie sie sie hochleben haben lassen. Vor allem wenn die Leistung nicht stimmt. Und ob die Liga ein Selbstläufer für ihn wird – wie es der deutsche Sportboulevard selbstsicher vermutet – darf bezweifelt werden. Die Süperlig ist für ihre Härte bekannt. Zudem wird viel Wert auf Taktik gelegt. Galatasaray trifft fast immer auf tief stehende Mannschaften, die zunächst einmal ihre Ordnung halten wollen. Eigentlich sind das keine guten Aussichten für einen Mann, der bei seinen Vorstößen viel Platz braucht und immer dann überzeugte, wenn er mit schnellen Schritten den Raum nutzen konnte. In der Süperlig liegt man dann schnell am Boden, bevor es zur ersten Ballberührung kommt. Diesem Kampf muss er sich stellen.
Außerdem muss er fit werden. Das war er bei Inter nicht. Dazu gibt es Konkurrenz: In der Rückrunde der Vorsaison spielte sich Yasin Öztekin in den Vordergrund. Der ist jünger (28), spielt auf der gleichen Position, spricht natürlich türkisch und ist technisch deutlich besser als Podolski. Zudem ist er Rechtsfuß, was auf Linksaußen mehr Variabilität ins Spiel bringen kann, wenn der Gegner die Räume eng macht. Dennoch wird Podolski sicher einen gewissen Vertrauensvorschuss bekommen. Denn er bringt auch seine Qualitäten mit.
Mehr als 15 Millionen Fans
Zum einen braucht Galatasaray mehr internationale Erfahrung. Als amtierender Meister wird der Club in der Gruppenphase der Champions League starten. Podolskis Vorteil: Galatasaray spielt in der Königsklasse oft kompakter, und auf Konter lauernd – so wie die Gegner in der Liga. Und das liegt ihm. Zum zweiten aber ist der deutsche Nationalspieler ein Wirtschaftsfaktor. Galatasaray dürfte mehr als 15 Millionen Fans allein in der Türkei haben. Bei denen erfreuen sich traditionell Fußballer und Autos aus Deutschland hoher Beliebt.
Hinzu kommt aber die wesentlich zahlungskräftigere Anhängerschaft in Mittel- und Westeuropa sowie Ostasien, die ebenfalls im siebenstelligen Bereich liegen dürfte. Podolski wird er das Merchandising kräftig ankurbeln. Die Rechnung ist ganz einfach: laut Börsenmeldung des Clubs wird er in den nächsten drei Jahren neun Millionen Euro an Gehalt einstreichen. 2,5 Millionen muss Galatasaray als Ablöse an Arsenal zahlen, wobei sich dieser Betrag um 500.000 Euro erhöht, wenn der türkische Meister in den nächsten drei Jahren auch nur einmal die Gruppenphase der Champions League erreicht. Das macht zusammen 12 Millionen Euro plus Prämien. Ein Trikot kostet in der Türkei umgerechnet etwa 60 Euro. Allein mit 100.000 verkauften Hemden würde Galatasaray also die Hälfte der Kosten wieder reinholen. Dazu kommt der restliche Kokolores mit Schals, Trainingsanzügen, Caps oder Kapuzenpullis. Und jüngst vermeldete die türkische Presse, dass sich gleich drei Teehersteller beim Klub meldeten, als die Bilder des Cay-trinkenden Podolski um die Welt gingen. Wirtschaftlich macht der Transfer jetzt schon Sinn.
Die drei Finger gegen Sahin
Abseits es Platzes dürfte es ebenfalls keine Probleme geben. Podolski kommt mit seiner rheinländisch-fröhlichen Art bei den Galatasaray-Fans gut an. Er genießt unter ihnen einen hervorragenden Ruf, auch wenn vielen seine sportlichen Defizite bewusst sind. Bei Galatasaray könnte er zur Legende werden. Doch Podolski hat ein Problem: Bei vielen anderen türkischen Fangruppen ist der gebürtige Pole immer noch verhasst. Und das hat seinen Grund. Anfang Oktober 2011 siegte Deutschland in der EM-Qualifikation mit 3:0 gegen die Türkei. Wenige Tage später traf Podolski aber mit dem 1. FC Köln auf den BVB. In dessen Reihen stand wie beim Länderspiel Nuri Sahin. Nach einem Zweikampf gerieten beide aneinander und sahen Gelb. Podolski aber provozierte weiter und zeigte Sahin mehrfach drei Finger als Anspielung auf den Länderspiel-Sieg. Der Türke revanchierte sich in der Schlussphase auf sportliche Art und Weise und erzielte den Siegtreffer.
Zwar vertrugen sich beide direkt nach dem Schlusspfiff, aber die türkische Fan-Seele hat das nicht vergessen. Und so findet sich derzeit bei Twitter, Facebook und Co. unter jedem Poldi-Post oft auch ein Bild aus diesem hitzigen Bundesliga-Duell. Podolski kann man nur raten, sich medienwirksam mit Sahin am Bosporus auf einen Tee zu treffen und möglichst alle Presseleute zwischen Van und Edirne um den Tisch zu postieren. Dann dürfte Schluss sein mit Beschimpfungen wie „Rassist“ oder „Türkenfeind“.