Sandro Tonali ist die heißeste Nummer in der Serie A. Der 19-Jährige Spielmacher von Brescia Calcio erinnert an den großen Andrea Pirlo. Nicht nur optisch. Nun soll der FC Barcelona Interesse signalisiert haben. Höchste Zeit, sich den jungen Italiener genauer anzuschauen.
Tief in der eigenen Hälfte, zwei Meter vor der Linie, die die eigene Viererkette bildet, wartet Brescia Calcios Spielmacher Sandro Tonali. Bevor ihm ein Innenverteidiger den Ball zuspielt, dreht er den Kopf nach links und rechts, dann kommt der Pass, doch ehe der seinen Fuß erreicht, dreht er seinen Kopf nochmals um 180 Grad. Jetzt hat er sein Umfeld gescannt und damit einen Bruchteil von Sekunden Vorsprung gewonnen, um den nächsten Schritt zu planen. Er nimmt den Ball an, dreht sich um die Achse und hat das gesamte Spiel vor sich. Dass seine braune Mähne dabei wild auf seinem Kopf umherrührt, ist neben seiner Spielweise, der Position und dem beschriebenen Handlungsschema vor einer Ballberührung, nur eine weitere Facette, die den Vergleich zu Andrea Pirlo nahelegt.
Sandro Tonali bekleidet in Brescias 4 – 3‑1 – 2‑System eine der modernsten Positionen im Fußball, die im Angebersprech Deep-lying Playmaker heißt, im italienischen aber so viel schöner klingt: Regista. Gemeint ist ein Spielmacher, der sich auf eine Position begibt, in der sich Raum und Zeit ein bisschen langsamer entwickeln. Einer, der nicht in der schnellen Offensive agiert, sondern sich hinter den Ball begibt, um das komplette Spiel vor sich zu haben und den nächsten Schritt minutiös plant.
Sandro Tonali ist mit seinen 19 Jahren der Architekt im Spiel von Brescia Calcio. Er entscheidet, ob Brescia den Angriff mit Tempo führt, kurz oder lang, das Spiel auslagert oder es verlangsamt. Wie einst Andrea Pirlo, der seine Karriere ebenfalls bei Brescia begonnen hatte. Dabei unterscheidet die beiden doch Grundlegendes.
Andrea Pirlo war der Inbegriff eines Regista. In seiner Zeit beim AC Mailand standen ihm Gennaro Gattuso oder Massimo Ambrosini zur Seite, die für das Grobe abbestellt waren und eine Art Schutzwand um Pirlo bauten, sodass dieser sich im Raum entfalten konnte. Bei Juventus Turin nahmen diesen Part später Arturo Vidal oder Claudio Marchisio ein, in deren Mitte Pirlo das Metronom geben konnte.
Pirlo war einer der elegantesten Fußballer seiner Zeit. Mit seiner Präzision im Spiel, seiner Intelligenz und dem technischen Vermögen dirigierte er seine Mannschaft, gewann mit Juve und Milan zig mal den Scudetto, zwei Mal die Champions League und wurde mit Italien Weltmeister. Pirlo war wie ein Wein, der mit der Zeit nur noch weicher und besser wurde.
Es ist beinahe beängstigend, wie Sandro Tonali als ein Klon die Fußballbühne betreten zu haben scheint. Ähnlich elegant gleitet er über das Spielfeld, bezieht die gleiche Position und ignoriert offenbar den selben Friseur.
Tonali hat trotz seines jungen Alters einen extrem analytischen Blick auf das Spielgeschehen. Er ist athletischer und schneller als Pirlo, dessen Spiel eher von Statik geprägt war.