Leverkusens Nadiem Amiri wird beim Auswärtsspiel in Berlin rassistisch beleidigt. Oder doch nicht? Zumindest offenbart der Fall, wie viel wir beim Umgang mit Rassismus noch lernen müssen.
In der aktuellen Ausgabe der „Zeit“ ist ein Interview mit einer Schwarzen Familie aus Berlin-Schöneberg. Drei Generationen sprechen über Rassismus, den wichtigsten Satz sagt der 18-jährige Sohn: „Das Paradoxe ist: Wir wünschen uns, irgendwann, nicht mehr über dieses Thema reden zu müssen. Gleichzeitig müssen wir immer weiter darüber reden, um überhaupt dahin zu kommen.“
Im Fußball war es in den Neunzigern genau so: Am liebsten wollte niemand über Rassismus reden. Wenn Spieler wie Souleyman Sané oder Anthony Yeboah rassistisch beschimpft und mit Bananen beworfen wurden, spielten die Vereine die Vorkommnisse runter. Viele (vermeintlich kleinere) rassistische Vorfälle, die auf dem Platz passierten, wurden nicht mal erwähnt. Neulich erzählte der ehemalige Bundesligaspieler Pablo Thiam in 11FREUNDE, wie seine Trainer reagierten, wenn er rassistisch beleidigt wurde: „Mir wurde ständig erklärt:‚Mach ein gutes Spiel, steh drüber, das ärgert diese Schreier am meisten!’ Oder:‚Die kennen halt keine Schwarzen, das ist neu für sie.’ Man konfrontierte die Rassisten nicht, man musste das Thema mit sich selbst ausmachen.“
Mittlerweile ist der Fußball sensibler geworden. Ein jüngeres Beispiel aus Deutschland: Als der Würzburger Leroy Kwadwo vor etwa einem Jahr von einem Preußen-Münster-Fan rassistisch beschimpft wurde, unterbrach der Schiedsrichter die Partie, und andere Preußen-Anhänger drängten den Rassisten aus dem Block. Ein internationales Beispiel: Ende 2019 stand das EM-Qualifikationsspiel zwischen Bulgarien und England vor dem Abbruch, weil bulgarische Fans Hitlergrüße gezeigt und Raheem Sterling rassistisch beleidigt hatten. Trent Alexander-Arnold lobte später besonders Englands Nationaltrainer Gareth Southgate, denn er fragte die Spieler, ob sie bereit seien weiterzuspielen: „Dass er unter diesem Druck solche Entscheidungen traf, mit der Situation so umzugehen, verdient großen Respekt.“ Southgate selbst sagte später: „Ich bin ein weißer Mann mittleren Alters, der über Rassismus spricht. Ganz ehrlich: Es fällt mir nicht leicht, es anzusprechen.“
Aber er tat es. Und das ist wichtig. Denn der Weltfußball wird vornehmlich von weißen Männern geleitet, die nach rassistischen Vorkommnissen oft extrem laut schweigen. Dabei ist die Auseinandersetzung wichtig, die unmittelbare Verurteilung von Rassismus, die Suche nach Lösungen, die Sanktionierung von Tätern, die Solidarisierung mit Opfern. Und eine Sache sollte dabei in den Hintergrund treten: der sportliche Vor- oder Nachteil, den man hat, wenn man Dinge anspricht.
„Der Begriff ‚Scheiß-Afghane’ ist gefallen“
Bei dem jüngsten Vorfall in Berlin fühlt man sich um viele Jahre zurückversetzt. Es scheint, als wollte der Verein die aufkommende Diskussionen am liebsten ganz schnell ersticken. Bloß nicht drüber reden. Bloß keine weiteren Fragen. Aber es nicht 1996, es ist 2021. Und die Fragen verschwinden nicht einfach, wenn man Ausrufezeichen hinter Antworten setzt.
Das war passiert: Nach dem Freitagabendspiel zwischen Union und Leverkusen sagte Jonathan Tah bei DZAN, dass sein Mitspieler Nadiem Amiri rassistisch beleidigt worden war. „Der Begriff ‚Scheiß-Afghane’ ist gefallen.“ Amiri soll in der Kabine geweint haben. Der Täter soll Florian Hübner gewesen sein. Amiris Bruder richtete sich noch am Abend des Spiels via Instagram direkt an Hübner: „Respekt Florian Hübner!!! Zu meinem Bruder in einem Bundesliga-Spiel scheiß Afghane zu sagen und damit unsere Herkunft anzugreifen ist das Allerletzte. Mir fehlen die Worte.“ Nadiem Amiri teilte den Beitrag seines Bruders auf seinem eigenen Kanal. Es war die Sicht auf den Vorfall ohne Vereinsfilter.
Union reagierte zunächst schnell und richtig. Trainer Urs Fischer versprach, dass man die Sache umgehend klären werde, und Pressesprecher Christian Arbeit sagte nach einer Unterredung mit Manager Oliver Ruhnert, dass „eine rassistische Beleidigung auf dem Platz passiert ist. Vonseiten des 1. FC Union auf jeden Fall auch ganz klar die Position: Rassismus hat auf dem Fußballplatz und auch sonst in der Gesellschaft nichts zu suchen. Es tut uns leid, wenn das so gefallen ist.“ Später soll sich Hübner bei Amiri entschuldigt haben, der wiederum über seinen Verein Bayer Leverkusen mitteilen ließ, „dass auf dem Platz aus den Emotionen heraus unschöne Worte gefallen sind, die ihm sehr leid tun. Er hat mir das glaubwürdig versichert und deswegen ist die Sache für mich nun erledigt.“
Nun ist es im Grunde egal, ob die Sache für Amiri erledigt ist, denn die Beleidung ist da. Und sie trifft jeden, der unter Rassismus leidet. Oder gab es gar keine Beleidigung?