Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Es sah alles so leicht aus. Wie etwas, das man nicht lernen kann, son­dern ein­fach in sich hat. Der Ball prallte noch einmal auf der Straf­raum­linie auf, Ben­jamin Pavard holte mit dem rechten Fuß aus, sein Körper war leicht zur Seite geneigt – und dann erwischte er den Ball mit dem Außen­rist so, dass er mit viel Spin in den Winkel sauste. Talent? Können? Intui­tion? Ben­jamin Pavard, Rechts­ver­tei­diger der fran­zö­si­schen Natio­nal­mann­schaft, hat nach seinem ersten Län­der­spieltor berichtet, dass ihm die Stürmer erzählt hätten, er solle den Ball immer dorthin schießen, wo er gerade her­ge­kommen sei. Er über­lässt nichts dem Zufall“, sagt Hannes Wolf, der Pavard bis Januar beim VfB Stutt­gart trai­niert hat.

Aus dem Nichts?

Der junge Mann, 22 Jahre alt, sieht mit seinen fröh­li­chen Locken aus wie ein freund­li­cher Lite­ra­tur­stu­dent. Aber dass dieser Ein­druck täuscht, hat Pavard vor zehn Tagen im WM-Ach­tel­fi­nale gegen Argen­ti­nien bewiesen. Seine Mann­schaft lag, ein wenig über­ra­schend, 1:2 zurück, den Fran­zosen mit ihren über­ra­genden Offen­siv­kräften drohte das frühe Aus – bis der Defen­siv­mann Pavard das 2:2 erzielte. Ben­jamin hatte ein­fach den Mut und das Selbst­ver­trauen“, sagte Frank­reichs Mit­tel­feld­spieler Blaise Matuidi. Er hat uns ins Spiel zurück­ge­bracht.“

Antoine Griez­mann, Paul Pogba, Kylian Mbappé – die Équipe tri­co­lore ver­fügt über ebenso berühmte wie teure Fuß­baller. Die viel­leicht größte Ent­de­ckung bei der WM in Russ­land aber ist Ben­jamin Pavard, dieser etwas scheu wir­kende Jüng­ling aus der Vie­rer­kette. Er kommt aus dem Nichts“, hat Griez­mann über ihn gesagt. Selbst in Deutsch­land, wo Pavard seit knapp zwei Jahren beim VfB Stutt­gart spielt, setzt sich erst langsam die Erkenntnis durch, dass es sich um einen unge­wöhn­lich guten Ver­tei­diger han­delt. Die Aus­sage, er komme aus dem Nichts, wird ihm nicht gerecht“, findet der frü­here VfB-Sport­di­rektor Jan Schin­del­meiser, der Pavard im August 2016 ver­pflichtet hat. Er hat hart und kon­ti­nu­ier­lich arbeiten müssen, um dorthin zu kommen.“

Fünf Mil­lionen Euro Ablöse

Pavard wech­selte schon mit zehn aus seinem Hei­matort Jeu­mont ins hun­dert Kilo­meter ent­fernte Lille, wo er beim Erst­li­gisten OSC die Nach­wuchs­aus­bil­dung durch­lief und mit 18 in der Ligue 1 debü­tierte. Im Sommer 2016 aber fand sich der dama­lige U‑21-Natio­nal­spieler auf der Ersatz­bank wieder, weil der Trainer auf erfah­rene Ver­tei­diger setzte. Nur des­halb hatte der VfB als Absteiger aus der Bun­des­liga über­haupt eine Chance, ihn zu bekommen. Die Gespräche mit Pavards Berater waren kei­nes­wegs leicht, aber man hat ein­fach gemerkt, der Junge möchte spielen“, sagt Schin­del­meiser. Und wir haben ihm das Gefühl gegeben, dass er auf unserer Aben­teu­er­reise durch die Zweite Liga ein wich­tiger Bestand­teil sein kann.“ Rund fünf Mil­lionen Euro (inklu­sive Nach­zah­lungen) hat seine Ver­pflich­tung gekostet, viel Geld für einen Zweit­li­gisten. Aber die Inves­ti­tion hat sich schon jetzt mehr als gelohnt.

Zum einen, weil Pavard beim VfB zum Stamm­spieler und Leis­tungs­träger auf­ge­stiegen ist. In der abge­lau­fenen Saison stand er in allen 34 Bun­des­li­ga­spielen von der ersten bis zur letzten Minute auf dem Platz; ins­ge­samt kommt er nun auf 45 Liga­spiele über 90 Minuten am Stück. Das ist auch eine Qua­lität“, sagt Schin­del­meiser. Er ist nie ver­letzt, so wie Philipp Lahm.“ Zum anderen ist der Fran­zose längst ein Viel­fa­ches wert. Im Herbst hat Pavard seinen Ver­trag beim VfB bis 2021 ver­län­gert; er ent­hält eine Aus­stiegs­klausel, die ihm 2019 einen Wechsel für eine Ablöse von 35 Mil­lionen Euro ermög­licht . Angeb­lich soll sich Pavard bereits mit Bayern Mün­chen einig sein. Aller­dings gibt es längst auch Inter­es­senten, die ihn bereits in diesem Sommer ver­pflichten wollen – für einen dann frei aus­zu­han­delnden Preis, der die 35 Mil­lionen noch über­treffen würde.

Pavard bringt vieles mit, was ihn per­spek­ti­visch selbst für die ganz großen Klubs prä­de­sti­niert. Die Mischung ist inter­es­sant, weil er als Abwehr­spieler über große fuß­bal­le­ri­sche Qua­lität ver­fügt“, sagt Schin­del­meiser. Pavard ist ball­si­cher, zwei­kampf­stark, spiel­in­tel­li­gent, hat dazu in Deutsch­land an Robust­heit zuge­legt. Anfangs hat er dazu geneigt, seine fuß­bal­le­ri­schen Kom­pe­tenzen unter Beweis zu stellen“, erin­nert sich der frü­here VfB-Sport­di­rektor. Ein klein wenig Filou steckt noch in ihm, und diesen Spiel­trieb, den darf man ihm auch nicht nehmen.“

Schnell­ver­steher

Pavard kommt aus dem­selben Ort wie Jean-Pierre Papin und hat im selben Klub (US Jeu­mont) mit dem Fuß­ball­spielen begonnen wie der eins­tige Bayern-Stürmer. Sein frü­herer Jugend­trainer Sul­livan Skiba hat Pavard in der Zei­tung Le Pari­sien“ als sehr schüch­tern beschrieben, aber sobald er den Platz betreten hat, hat er sich kom­plett ver­wan­delt“. Er sei so poly­va­lent gewesen, dass er überall habe spielen können, und im Trai­ning hat er alles schneller ver­standen als die anderen“.

Das kommt Pavard auch in der Natio­nal­mann­schaft zugute, wo er anders als beim VfB nicht zen­tral, son­dern rechts spielt. Er macht das über­ra­gend, weil er auch den Mut hat, sich in den Angriff ein­zu­schalten“, sagt Schin­del­meiser. Aber sein kom­plettes Poten­zial wird er erst auf der zen­tralen Posi­tion ent­falten.“ Pavard sei bescheiden und trotzdem extrem ehr­geizig. Er selbst hält sich für einen Wett­kampftyp – wie auch sein Vater Fré­déric es war, der es, eben­falls als Ver­tei­diger, bis in die dritte fran­zö­si­sche Liga geschafft hat.

Keine Nie­der­lage

Erst im November hat Ben­jamin Pavard in der Équipe Tri­co­lore debü­tiert. Als er im März auf seine WM-Chancen ange­spro­chen wurde, hat er geant­wortet, dass er not­falls sogar als Tor­wart aus­helfen und sich selbst­ver­ständ­lich auch auf die Bank setzen würde. In Russ­land aber ist er längst Stamm­spieler. Pavard stand in allen Begeg­nungen in der Startelf und blieb jeweils bis zum Ende auf dem Platz; nur im unbe­deu­tenden dritten Grup­pen­spiel gegen Däne­mark wurde er geschont. Am Diens­tag­abend in St. Peters­burg, im Halb­fi­nale gegen Bel­gien, wird er wieder von Beginn an auf­laufen. Es ist sein elftes A‑Länderspiel, die 30. Begeg­nung ins­ge­samt im fran­zö­si­schen Natio­nal­trikot. Von den 29 Spielen bisher, in der U 19, der U 21 und der A‑Nationalmannschaft, hat Frank­reich kein ein­ziges ver­loren.