Mats Hummels gehört zu den besten Verteidigern Deutschlands. Doch Joachim Löw hat ihn aus anderen Gründen ausgebootet und wird ihn trotz aller Kritik nicht zurückholen.
Das Leben als Nationalspieler a.D. ermöglicht Wochenendbesuche an selten frequentierten Zielen. „Toller Test heute in Cottbus bei einer besonderen Atmosphäre“, twitterte Mats Hummels am Freitagabend und bedankte sich nach dem 5:0 im Testpiel gegen Energie bei allen Fans im Stadion. Zu Null gespielt, die Atmosphäre im „Stadion der Freundschaft“ genossen und tatsächlich den großen Dimitar Rangelow in Schach gehalten – da ließ sich der Überschwang natürlich nachvollziehen.
Verkürzte Wahl
Dennoch legte der Tweet durch seinen Zeitpunkt einen tieferen Sinn frei: Just kurz zuvor hatten sich die deutschen Verteidiger von den Niederländern nach Strich und Faden ausspielen und damit drängende Fragen aufkommen lassen: Hätte Hummels nicht statt Dimitar Rangelow an diesem Freitagabend besser solche Leute wie den holländischen Stürmer Memphis Depay in Schach halten sollen? Es dauerte nicht lange, bis in der Netzwelt die Votings freigeschaltet wurden:
Soll Hummels zurück in die Nationalmannschaft?
Die Volksabstimmungen verliefen eindeutig. Ja, ja, ja! Unbedingt! Währenddessen gab es eine andere Abstimmung im Hamburger Volksparkstadion, an der nur eine Person teilnahm. „Zu dem Thema ist alles gesagt“, meinte der Bundestrainer Joachim Löw und drückte verbal mit beiden Fäusten auf den „Nein“-Button. Und wer den Bundestrainer und sein Wirken in den vergangenen Jahren verfolgt hat, wird mitbekommen haben: Er revidiert seine Personalentscheidungen höchst selten, wie Kevin Kuranyi oder Max Kruse bezeugen können. Und er klammert sich noch stärker an seine Entscheidung, je lauter die Öffentlichkeit dagegen Sturm läuft, wie Stefan Kießling oder Philipp Max bezeugen können.
Gegen den Ball
Es ist durchaus denkbar, dass das Spiel der deutschen Nationalelf gegen Holland mit dem erfahrenen Hummels anders verlaufen wäre: Wenn die Mannschaft tief steht wie am Freitag, kann Hummels seine Stärken ausspielen im Zweikampf, in der Antizipation, im Kopfballspiel. Eines seiner besten Spiele lieferte er in diesem Jahr mit dem FC Bayern in Liverpool ab, als die Bayern dem Gegner den Ball überließen.
Hummels’ Stärken bei der Spieleröffnung und im Passspiel sind bekannt, er gehört trotz seiner Schwächen in der Rückwärtsbewegung zu den besten Verteidigern der Liga und damit sportlich in die deutsche Nationalmannschaft.
Vielleicht weiß das auch Joachim Löw, nur: Seine Entscheidung für die Ausbootung von Mats Hummels gründete auf anderen Faktoren. Bei seiner großen WM-Analyse hatte er noch gesagt: „Wir haben jetzt noch vier oder fünf ältere Spieler, alle anderen sind noch nicht so lange dabei. Wir brauchen eine Achse, an der sich junge Spieler orientieren können.“ Diese fünf Spieler hießen damals: Mats Hummels, Jerome Boateng, Thomas Müller, Toni Kroos und Manuel Neuer.
Es folgten Niederlagen in der „Nations League“ und eine unbefriedigende Hinserie der fünf Genannten. Irgendwann in der langen Weihnachtspause hat sich Joachim Löw wohl an die WM 2010 erinnert, als seine junge Mannschaft um Spieler wie eben Neuer und später Hummels befreit aufspielte – auch weil etablierte Kräfte wie Torsten Frings und Michael Ballack nur zuschauten. Die Jungen orientierten sich damals an sich selbst, nicht an den Alten.
Hummels‘ Ende erinnert an seinen Anfang
Für Löw ist der damalige Wandel zu einer Blaupause geworden, er vertraut im Jahr 2019 der heranwachsenden Generation in der Nationalmannschaft, er will eine andere Hierarchie fördern. Die Achse der Etablierten besteht nur noch aus Neuer und Kroos. Ein Mats Hummels auf Stand-By oder als Halbtagskraft in der Nationalmannschaft hätte atmosphärisch nicht funktioniert. Das war letztlich auch einer der Gründe, warum sich die Bayern von Hummels verabschiedeten.
Schon bei der WM in Russland hatte Hummels mit seiner öffentlichen Manöverkritik für Verstimmung gesorgt, weil er seine eigene Rolle auszuklammern schien. Seine Spielanalysen sind treffend, aber er wird den Ruf nicht los, ein Innenverteidiger zu sein, der sich selbst nach außen verteidigt. So wird das Spielchen weitergehen. Bei jeder Pleite werden die Rufe nach Hummels lauter und der Bundestrainer sturer werden. Hummels’ Sätze werden – ob gewollt oder nicht – als subtile Spitzen durchgehen. Doch eine Rückkehr in die Nationalelf könnte nur unter einer Voraussetzung wahrscheinlich sein – wenn der Trainer nicht mehr Joachim Löw heißt.