Im Sommer 2013 wurde Mario Gomez von 25.000 Fans in Florenz begrüßt. Nun rät sein Trainer ihm indirekt zum Karriereende. Was ist passiert?
Tommaso Loreto kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es war ein Julitag im Jahr 2013, die Sonne strahlte auf die Tribünen des Stadio Artemio Franchi, und Mario Gomez hatte eigentlich noch nichts gemacht. Er war mit einem Privatjet nach Florenz gekommen, nun stand er einfach nur da. Das violette Trikot über der schwarzen Anzughose, die Haare wie zu einer Plastik modelliert, ein Fußballer, eine antike Statue. Als Gomez die Hände zum Gruß hob, stieg lilafarbener Rauch aus der Curva Fiesole empor, und 20.000 Tifosi jubelten, als sei der Messias persönlich hinabgestiegen. Wenn dieser Tore schießende Adonis nicht zu ihnen nach Italien passte, wer dann?
Tagelang hatten die Klub-Verantwortlichen diese Party geplant, eine Begrüßung, die es so noch nie in Florenz gegeben hatte. Im Spielertunnel soll Florenz-Präsident Andrea Della Valle unter Tränen gesagt haben: „Danke, dass du bei uns bist, Mario.“ Und Loreto, der langjährige Fanradio-Reporter, japste nach dem Tag: „Einzigartig, unbeschreiblich, so etwas haben wir noch nicht erlebt in der Stadt!“
Er hatte Recht. Vereinshelden wie Gabriel Batistuta hatten noch keinen großen Namen, als sie nach Florenz kamen. Der Brasilianer Socrates wurde 1984 ähnlich feierlich angekündigt, doch es kamen keine 25.000 Fans ins Stadion wie nun bei dem großen deutschen Stürmer. Einige nationale Medien verglichen das Gomez-Spektakel mit der Ankunft Diego Maradonas beim SSC Neapel.
„Er rennt, kämpft, aber er macht fast alles falsch“
Im Januar 2015, nicht mal eineinhalb Jahre später, schreibt die Zeitung „Corriere della Sera“: „Gomez ist für den AC Florenz zum Problemfall geworden.“ Der „Corriere dello Sport“ ergänzt: „Gomez‘ Krise hat ein absolut besorgniserregendes Niveau erreicht. Er rennt, kämpft, aber er macht fast alles falsch.“ Und sein Trainer, Vincenzo Montella, legt dem 29-Jährigen sogar mehr oder weniger direkt ein Karriereende nahe. „Als ich gemerkt habe, dass ich nicht mehr auf meinem hohen Niveau spielen konnte, habe ich aufgegeben“, sagte er am Sonntag nach dem Spiel gegen Cagliari Calcio. Mario Gomez hatte da mal wieder nicht getroffen.
Was ist nur passiert?
Als Mario Gomez im Sommer 2013 seinen Wechsel zum AC Florenz verkündete, standen die Nörgler sofort auf dem Plan. Gomez kannte das schon, jeder Fußballfan kannte das. Schoss Gomez zwei Tore, fragten die Kritiker, warum er nicht drei geschossen hatte. Spielte er mal einen Fehlpass, unkten sie, dass er nicht mehr in den modernen Fußball passe. Fuhr er sich mal mit der Hand durch das Haar, glaubten sie, er fühle sich zu schön für eine Grätsche.
Diesmal fragten sie also: Was will der denn jetzt in Florenz? Bei einem Europa-League-Klub, in einer finanziell geplagten Liga, vor mittelmäßig gefüllten Rängen. Die Serie A, wo in den neunziger Jahren Milch und Honig flossen, wirkte anno 2013 wie ein grauer Plattenbau.
„Ich möchte mit Florenz Titel gewinnen“
Gomez antwortete damals recht selbstbewusst. „Ich träume davon, mit dem AC Florenz Titel zu gewinnen.“ Wieder jubelten die Tifosi, und Della Valle verdrückte vermutlich eine weitere Träne.
In Deutschland neue Fragen: Titel? In Florenz? Dabei schien das kein komplett verrücktes Vorhaben, denn Andrea Della Valle rüstete sein Spielzeug vor der Saison 2013/14 ordentlich auf, neben Gomez kamen der spanische Nationalspieler Joaquin aus Málaga, der Kolumbianer Juan Cuadrado von Udinese Calcio Massimo Ambrosini vom AC Mailand. Schon im Winter war Guiseppe Rossi vom FC Villarreal nach Florenz gewechselt.
Außerdem, das ließ Gomez in jenen Wochen häufiger durchklingen, gehe es im Fußball ja auch um mehr als Tore und Titel. Sonst hätte er nach Neapel gehen können. Oder zu Real Madrid. Denn beide Klubs sollen zumindest vorgefühlt haben.
Doch Fußball, gerade im Gomez-Kosmos, ist auch die Suche nach ein bisschen Liebe. Im Sommer 2013 muss diese Sehnsucht sehr groß gewesen sein, denn Gomez hatte vier Jahre beim FC Bayern getroffen wie sonst nur Gerd Müller vor ihm. Trotzdem musste er jetzt erkennen, dass beim FC Bayern die beste Quote nicht ausreicht, denn irgendwann braucht der deutsche Superklub immer einen neuen Superstürmer. Pep Guardiola zog ihm Mario Mandzukic vor, und für die kommende Saison stand schon Robert Lewandowski bereit.
In Florenz zählten erst einmal nur diese beeindruckenden Zahlen: 115 Tore in 174 Spielen. In Florenz würde niemand über seine Haare oder seinen Spielstil sprechen. Niemand würde von „Tausendprozentigen“ sprechen, wenn sie eine „Hundertprozentige“ oder auch nur „Achtzigprozentige“ meinten, von der EM 2008, vom Spiel gegen Österreich, als Gomez einen Meter vor der Linie einen Ball über das Tor gesetzt hatte. Es ging nur darum, dass die Tormaschine funktionierte. Dass der Stürmer Tore schießt – nichts anderes. Das jedenfalls glaubte Gomez.