Frau Kon­stan­di­nidis, gibt es so etwas wie weib­li­chen Hoo­li­ga­nismus?

Das kommt natür­lich darauf an, wie man Hoo­li­ga­nismus defi­niert. Ich habe mich bei meinen For­schungen mit Gruppen inner­halb der Fan­szenen beschäf­tigt, die sich explizit als Hoo­li­gans bezeichnen und so auch von anderen Fans wahr­ge­nommen werden. In dieser Szene herrschte eher die Mei­nung vor, dass Frauen keine Hoo­li­gans sein können. Diese Gruppen kreisen sehr stark um Männ­lich­keits­vor­stel­lungen und Män­ner­freund­schaften. Aber man muss natür­lich über­legen, ob man die Defi­ni­tion der Leute aus diesen Gruppen über­nimmt, denn wenn man genauer hin­schaut, gibt es durchaus Frauen, die mit dieses Hoo­li­g­angrup­pie­rungen unter­wegs sind.



Han­delt es sich dabei dann um Ein­zel­fälle oder um ein Rand­phä­nomen inner­halb der Hoo­li­g­angrup­pie­rungen?


Nicht unbe­dingt. Es geht eher darum, dass sich die Frauen selbst anders defi­nieren und auch von den Män­nern anders defi­niert werden. Auch der Zugang zu diesen Gruppen ist ja zu beachten: Ich habe bei­spiels­weise mit vier Frauen Inter­views geführt und davon haben drei gesagt: »Ja, mein Freund ist Hoo­ligan und ich bin seine Freundin.«

Der Zugang zu sol­chen Grup­pie­rungen erfolgt dann also im Regel­fall über eine Part­ner­schaft?

Ja, in den meisten Fällen ist das so. Die Frauen sind in der Regel selbst Fuß­ball­fans und in einer Fan­szene, wo sie dann auch ihren Freund kennen lernen. Aber in der Regel ist es so, dass die Hoo­li­g­angruppe erst einmal gegen die Freundin abge­grenzt wird. Zunächst wird die Freundin nicht dar­über infor­miert, dass man dazu gehört, die bekommen das dann erst irgend­wann später mit. Und dann gibt es unter­schied­liche Betei­li­gungs­formen: Es gibt Frauen, die sich zwar in der Rich­tung äußern: »Eigent­lich finde ich das ja nicht gut,…«, sich dann aber schon an gewissen Akti­vi­täten betei­ligen. Sie gehen mit der Gruppe zu Spielen und sind auch an Aktionen betei­ligt: Pyro­technik ins Sta­dion schmug­geln, bei den feind­li­chen Fans Gerüchte streuen, die Gegner aus­spähen.

Es geht also über eine dul­dende Per­spek­tive hinaus?

Ich habe auch eine Frau ken­nen­ge­lernt, die von sich selbst gesagt hat: »Ja, ich bin ein Hoo­ligan.« Wenn man dann genauer hin­ge­schaut hat, hat man gemerkt, dass sie eher eine Art Son­der­status hatte. Sie hatte ganz bewusst keinen Freund in der Hoo­li­g­angruppe und wurde als Kumpel wahr­ge­nommen. Sie hatte in der Gruppe dann die Funk­tion, Videos und Fotos zu machen. Sie hat erfolg­reich ver­mit­telt, dass sie auch in der Lage sei, sich hand­greif­lich zu ver­tei­digen, u.a. hat sie Kick­boxen trai­niert. Und ihre Rolle war es dann, wäh­rend der Schlä­ge­reien, die Fotos zu machen. Das ist eine ganz wich­tige Funk­tion inner­halb der Gruppe, denn es geht auch viel darum, hin­terher in Erin­ne­rungen schwelgen zu können.

Wenden diese Frauen denn dann auch aktiv Gewalt an?

Die meisten Frauen haben im Kon­text Fuß­ball Erfah­rungen damit gemacht, dass sie phy­si­sche Gewalt erleben. Teil­weise wären sie bereit gewesen, sie auch selbst anzu­wenden und mit­zu­mi­schen, das wurde ihnen dann nur relativ explizit von den Män­nern ver­boten. Die Männer behalten die gewalt­tä­tige Szene für sich. Eine Frau hat mir von einer Situa­tion berichtet, in der sie einem gegeneri­schen Fan eine rein­ge­knallt hat. Dieser Frau wurde dann aber auch von den Män­nern mit­ge­teilt, dass es nicht erwünscht ist, dass Frauen sich so ver­halten. Eine andere Frau hat es ganz klar so for­mu­liert: Wenn bei der anderen Gruppe auch eine Frau dabei wäre, dann wäre das ihre Geg­nerin.

Es gibt also Frauen, die bei Bedarf oder bei Mög­lich­keit dann ein­greifen wollen?

Wobei die Hal­tung in der Szene eigent­lich die ist, dass Frauen sich nicht prü­geln sollen. Eine Frau, die phy­sisch gewalt­tätig wird, ist eigent­lich gar keine Frau. Die Männer sehen sich selbst auch in der Beschüt­zer­rolle: eine Frau schlägt man nicht. Es herrscht zwar ein sehr kon­ser­va­tiver Ehren­kodex, aber weil man dem bösen Gegner nicht immer traut, muss man die Frauen in der eigenen Gruppe beschützen. Das läuft dann darauf hinaus: Wenn eine Frau sich schlägt, dann höchs­tens mit einer anderen Frau.

Sind Ihnen denn sepa­rate Frau­en­grup­pie­rungen bekannt, die sich nicht unbe­dingt als Hoo­li­gans bezeichnen, die aber in der Fuß­ball­szene unter­wegs sind und bereit sind, Gewalt anzu­wenden?

Aus meinen Erfah­rungen heraus gibt es das nicht und ich weiß auch nicht, ob das über­haupt mög­lich wäre. Hoo­ligan-Gruppen sind Män­ner­bünde. Es sind Män­ner­freund­schaften, in denen sehr viel Loya­lität ver­langt wird. Die Freundin ist so etwas wie der Gegenpol, sie soll ein Gegen­ge­wicht sein, ver­kör­pert die bür­ger­li­cheren Werte, die gesell­schaft­lich akzep­tierten Werte. Die Freundin kann mit­gehen, über­nimmt dann zum Teil auch die Rolle, Gewalt zu bremsen. Bei ihr kann man sich auch mal aus­heulen. Dem­ge­gen­über steht in dieser Män­ner­szene auch die Idee, dass Frauen sexuell ver­fügbar sind. Die Frau muss einen Balan­ceakt voll­führen, dass die Männer nicht denken »die schmeißt sich jetzt an uns ran«, weil sie dazu gehören will. Auch wenn der Zugang zur Gruppe für die meisten Frauen über eine Bezie­hung her­ge­stellt wurde, müssen sie immer auf­passen, nicht in den Ver­dacht zu geraten, der ganzen Gruppe zur Ver­fü­gung zu stehen und so als Schlampe abge­stem­pelt zu werden.

Das ist dann ja eigent­lich auch Gesell­schafts­kon­sens, dass man sagt, Frauen sind gar nicht fähig, Gewalt aus­zu­üben?

Genau, es sind näm­lich gar keine abwei­chenden Vor­stel­lungen, son­dern ein­fach sehr kon­ser­va­tive Vor­stel­lungen. Vor­stel­lungen, die dann auch von den Frauen selbst über­nommen werden. Die Frau, von der ich gerade schon sprach, die bei Schlä­ge­reien foto­gra­fiert hat, hat sich dann von diesen sexuell kon­no­tierten Ste­reo­typen dadurch distan­zieren können, dass ihr Freund eben nicht aus der glei­chen Szene kam. Damit ist es ihr gelungen sich weder als Schlampe noch als Freundin von irgendwem zu posi­tio­nieren. Den­noch hat sie wei­terhin die männ­lich Defi­ni­ti­ons­macht akzep­tiert. Wenn sie jetzt von einem männ­li­chen Hoo­ligan ange­griffen wurde, dann hat sie sich nicht selber ver­tei­digt, dann hat sie einen Mann geholt.

Wenn Frauen in Hoo­ligan-Gruppen zu finden sind, füllen Sie also wirk­lich nur eine unter­stüt­zende Funk­tion aus?

Wie schon erwähnt, Frauen betei­ligen sich durchaus an Aktionen, finden das span­nend, holen sich einen Kick, wie es die Männer tun. Sie streuen Gerüchte bei den Geg­nern, sie nutzen ihr Frau­sein aus, indem sie Pyro­technik im BH ins Sta­dion schmug­geln. Einer Frau wurde von einem Kumpel auch bei­gebracht, wie man richtig zuschlägt, aber eigent­lich nur mit dem Hin­ter­ge­danken, wenn sie mal jemand beläs­tigen sollte. Von ihrem Freund wurde es ihr dann aber explizit ver­boten, denn so etwas tut eine Frau nicht. Diese Frau hatte dann ein ganz ambi­va­lentes Ver­hältnis zu ihrer Fähig­keit, Gewalt aus­zu­üben. Die meisten Frauen sagen: »Wenn ich mal zuge­schlagen habe, dann war es aus Zorn oder weil mich jemand beläs­tigt hat.« Auch die Frau, die sich selbst als Hoo­ligan bezeichnet hat, sagt: »Ich würde nur zuschlagen, wenn ich total wütend bin, weil meine Mann­schaft ver­loren hat.« Wobei die Männer ja eher sagen, das ist unser Sport und das Ganze ist viel weniger mit Emo­tionen ver­bunden. Frauen wird eigent­lich die Kom­pe­tenz, sich zu wehren abge­spro­chen, indem der Kon­sens herrscht, die können das gar nicht, die sind gar nicht fähig dazu und wenn es eine doch tut, dann ist sie keine rich­tige Frau. Das gilt aber in der ganzen Gesell­schaft.

Die Auf­merk­sam­keit von Hoo­li­gans richtet sich ja eigent­lich auf die geg­ne­ri­schen Fans, nicht unbe­dingt auf die Spieler. Wie ist es dann zu erklären, dass es immer wieder dazu kommt, dass auch das Spiel­feld gestürmt wird?


Hoo­li­gans oder all­ge­mein gewalt­be­reite Fuß­ball­fans spielen immer ein Spiel mit unge­schrie­benen Regeln. Es wird ver­mit­telt, dass auch die Gewalt Spiel­re­geln gehorcht: Man geht nicht mit Waffen auf­ein­ander los, man geht nicht zu zweit auf einen los, man geht über­haupt nicht auf Fans los, die nicht auch als gewalt­be­reit ein­ge­stuft werden. So ent­steht eine Recht­fer­ti­gung und das Bild des edlen Kämp­fers. Aber so etwas wird in jedem Moment neu defi­niert und neu aus­ge­han­delt und sobald irgendein Anlass da ist, um das in Frage zu stellen, wird es dann auch in Frage gestellt und über­treten.

In dem Fall, der jetzt durch die Medien gegangen ist, hat eine ein­zelne Frau das Spiel­feld gestürmt und direkt eine Spie­lerin ange­griffen. Ist das auch eine Form von Hoo­li­ga­nismus oder han­delt es sich hierbei um eine Ein­zel­tä­ter­schaft, die ganz anderen, viel­leicht per­sön­li­chen Motiven ent­springt?

Das ist schwierig zu beur­teilen. Auch wenn jetzt eine ein­zelner männ­li­cher Fan auf das Spiel­feld rennen würde, würde man sich fragen: Ist das jetzt Hoo­li­ga­nismus, ist der Mann voll­trunken oder nicht ganz richtig im Kopf? Was zur Vor­stel­lungs­welt dieser Szene passt, ist natür­lich, dass Frauen nur auf andere Frauen los­gehen. Dieses Muster wurde ein­ge­halten.


Mehr Infos zu F_​in Netz­werk für Frauen im Fuß­ball hier.