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Wenn Carsten Bangel im Momm­sen­sta­dion zu seinem Arbeits­platz will, muss er der Tür zur Spre­cher­ka­bine unter dem Tri­bü­nen­dach erst einmal einen Tritt ver­passen. Das Schloss klemmt ein biss­chen. Bangel ist Sta­di­on­spre­cher beim frü­heren Bun­des­li­gisten Tennis Borussia, und die Ein­rich­tung seiner Spre­cher­ka­bine ist so, wie der 48-Jäh­rige seinen Job ver­richtet: sehr redu­ziert. Bangel ist keiner dieser Markt­schreier, die mit Mikro auf dem Rasen stehen und es darauf anlegen, das Publikum zur Ekstase anzu­treiben. Ich mache das relativ old school, sehr laid back“, sagt Bangel. Er weiß ja, dass die Zuschauer im Momm­sen­sta­dion eines wie die Pest hassen: Sie wollen nicht ani­miert werden.“

Gerade ist Som­mer­pause. Die Tore hängen am Zaun in der Kurve. Auf dem Rasen blühen Gän­se­blüm­chen, und ein Bagger reißt gerade die alte Tar­tan­bahn aus dem Boden. Von mir aus könnte die neue Bahn lila sein“, sagt Bangel. Lila, wie die Farbe von Tennis Borussia.

Damit hier mal gute Musik läuft.“

Das Momm­sen­sta­dion wird gerade fit gemacht als Trai­nings­stätte für die Leicht­ath­letik-EM 2018. Ban­gels Spre­cher­ka­bine aber atmet noch den Geist der Ver­gan­gen­heit. Von den Fens­ter­rahmen blät­tert die Farbe. Die Wände sind in einem ver­gilbten Weiß gehalten. Oder einem ver­bli­chenen Gelb, so genau lässt sich das nicht mehr fest­stellen. Auf der Arbeits­platte steht ein wuch­tiger Com­puter-Monitor für die Bedie­nung der Anzei­ge­tafel. Das Pro­gramm läuft noch über Win­dows 95. Nein, es läuft nur über Win­dows 95. Moder­nere Betriebs­sys­teme funk­tio­nieren nicht. So ist das mit Tennis Borussia und der Moderne.

Anfangs haben sie zu dritt hier gesessen. Ein Sta­di­on­spre­cher, einer, der die Anzei­ge­tafel bedient, und Bangel als Sta­dion-DJ. Inzwi­schen macht er alles alleine. Im Herbst 2000 hat er ange­fangen, nach dem Zusam­men­bruch der Göt­tinger Gruppe und dem Abstieg aus der Zweiten Liga. Es war eine der bei Tennis Borussia peri­odisch auf­tre­tenden Phasen der Anar­chie, die Bangel dazu genutzt hat, sich den Job unter den Nagel zu reißen: Damit hier mal gute Musik läuft.“

Dau­er­hafte Zunei­gung? Fehl­an­zeige

Zu TeBe geht er seit 40 Jahren. Anfangs ist er noch durch ein Loch im Zaun des Olym­pia­bades ins Olym­pia­sta­dion geschlüpft – der Ein­tritt ins Schwimmbad war bil­liger als eine Karte für TeBe. Ban­gels Fan-Bio­grafie hat in der Bun­des­liga ange­fangen, sein erstes Spiel im Sta­dion war das Derby gegen Hertha BSC, im April 1977, als schon absehbar war, dass Tennis Borussia nach nur einem Jahr wieder absteigen würde. Es war eines von drei legen­dären Spielen in der zweiten und bis heute letzten Erst­li­ga­saison des Klubs. 2:0 siegte TeBe gegen die große Hertha, und Bangel machte eine Erfah­rung, die sich 21 Jahre später, beim Pokal­duell beider Ver­eine, noch einmal wie­der­holt hat. Die her­thaf­reund­liche Masse schwenkte plötz­lich zu Tennis Borussia um. Eine dau­er­hafte Zunei­gung der Stadt zu TeBe ist daraus aller­dings nicht erwachsen.

Bangel ist dem Klub treu geblieben, was vor allem in den ver­gan­genen zwei Jahr­zehnten eine echte Lei­dens­ge­schichte war. Zwi­schen­zeit­lich ging es runter bis in die Berlin-Liga. Zwei Insol­venzen hat der Klub hinter sich, in diesem Früh­jahr war es wieder beson­ders kri­tisch. Der Haupt­sponsor, eine Fit­ness­stu­dio­kette, musste hel­fend ein­springen; dafür ist dessen Geschäfts­führer Jens Red­lich jetzt auch Vor­stands­vor­sit­zender des Klubs. Er will selbst bestimmen, was mit seinem Geld pas­siert. Und er will unbe­dingt nach oben, raus aus der fünft­klas­sigen Ober­liga. Ziel ist es ganz klar, um den Auf­stieg mit­zu­spielen“, sagt Red­lich.

Bei den kri­ti­schen Fans rufen solche Ankün­di­gungen zwie­späl­tige Gefühle hervor. Sie sind in dieser Hin­sicht gebrannte Kinder. Das Enga­ge­ment der Göt­tinger Gruppe endete genauso in der finan­zi­ellen Kata­strophe wie ein paar Jahre später (und ein paar Ligen tiefer) die Abhän­gig­keit von der zwie­lich­tigen Tre­asure AG, die nie preis­geben wollte, wie sie eigent­lich ihr Geld ver­diente. Als in diesem Sommer auf der Klub-Home­page ein Neu­zu­gang nach dem anderen ver­kündet wurde, wurde das Grum­meln in der Fan­szene so laut, dass sich die Ver­eins­füh­rung zu der Klar­stel­lung genö­tigt sah, alles sei für min­des­tens zwei Jahre solide finan­ziert. Gut, das mit der soliden Finan­zie­rung haben sie bei TeBe auch schon häu­figer gehört.

Vor­reiter im Kampf gegen Homo­phobie

Nach allem, was pas­siert ist, kann man TeBe ver­mut­lich gar nicht bedin­gungslos lieben. Viele Fans hätten ein ambi­va­lentes Ver­hältnis zu ihrem Verein, sagt Bangel. TeBe sei irgendwie schräger Scheiß“, manchmal auch pein­lich – aber gerade mit dem Image vom neu­rei­chen Schnö­sel­klub aus dem feinen Char­lot­ten­burg spielen sie bei TeBe inzwi­schen ganz bewusst. Bangel trägt ein T‑Shirt mit dem Auf­druck Schnösel, West-Berlin“. Als die Stadt vor ein paar Jahren vor dem Zweit­li­ga­duell zwi­schen Hertha und Union im Derby-Fieber war, mel­dete sich eine TeBe-Abord­nung von der Cham­pa­gner­theke des KaDeWe („Es gibt Dinge, die lassen wir uns nicht nehmen“). Die Beschimp­fungen als Juden­verein“, vor allem im Osten, führten dazu, sich mit der eigenen Geschichte zu beschäf­tigen und sich schließ­lich gegen Dis­kri­mi­nie­rung jeder Art zu posi­tio­nieren. TeBes Fan­szene war ein Vor­reiter im Kampf gegen Homo­phobie. Das hat eine Eigen­dy­namik ange­nommen“, sagt Carsten Bangel, hat es poli­tisch gemacht.“

Für ihn besitzt Tennis Borussia eine irgendwie nicht greif­bare Magie“, die sich auch im Momm­sen­sta­dion nie­der­schlägt. Da sind die Fans in Block E auf der Gegen­ge­rade, die aus Neu­kölln oder Fried­richs­hain kommen und für die TeBe auch ein poli­ti­sches State­ment ist. Und da ist die West-Ber­liner Rentner-Frak­tion, die auf der denk­mal­ge­schützten Tri­büne von 1930 sitzt, schon zu Bun­des­li­ga­zeiten da war und bei jedem Fehl­pass auf dem hop­pe­ligen Rasen ruft: Det jibb’s doch jar nüscht! Det kann doch nich wahr sein!“

Fünf Stunden Gay-Disco

Carsten Bangel ist nicht nur die sonore Stimme von TeBe, er lie­fert auch den pas­senden Sound­track zu diesem irgendwie selt­samen Verein: punkig, alter­nativ und im Zweifel auch leicht schräg. Fans von Union haben Bangel mal gesagt: Ihr seid echt ein Scheiß­verein, aber bei euch läuft coole Mucke.“ Früher ist er mit 120 CDs zum Spiel gekommen, heute stellt sich Bangel eine Play­list zusammen, aus der er nach Bedarf aus­wählt. Als es vor Kurzem Streit um eine Regen­bo­gen­fahne im Sta­dion gab, hatte Bangel auf seinem Rechner fünf Stunden Gay-Disco vor­rätig. Und vor der letzten Insol­venz hat er ein Stück von Mega­death gespielt: Sym­phony of Des­truc­tion“. Es war Ban­gels ganz per­sön­li­cher Kom­mentar zur zer­stö­re­ri­schen Politik der dama­ligen Ver­eins­füh­rung.