In der aktuellen 11FREUNDE #132 berichten wir von der legendären Ludenmannschaft FC Johnny, die in den siebziger und achtziger Jahren in Köln kickte. Die Zuhälter nahmen ihr Hobby so ernst, dass sie sogar einen deutschen Nationalspieler anheuerten.
Dieter Becker, der Wirt der Milieukneipe „Klein Köln“, hatte einen großen Traum: Er wollte einmal Deutscher Ludenmeister werden. Also scharte er Zuhälter, Einbrecher und Hehler um sich und gründete den FC Johnny, den ersten Ludenfußballklub Kölns. Der Mann, der wie einer von den Wildecker Herzbuben aussah, gut 130 Kilo wog und ärmellose Muskelshirts bevorzugte, wurde liebevoll „Beckers Schmal“ gerufen. Zu seiner Mannschaft gehörten Kicker mit so klangvollen Namen wie „Der dicke Johnny“, Schmidte Udo und Hermanns Tünn, Kampfname „Die Axt“. Bevor Becker Szenewirt und Trainer in Personalunion wurde, hatte er es als Boxer zu lokaler Berühmtheit gebracht. Zusammen mit seinen Kollegen flog er immer noch einmal im Jahr nach Las Vegas. Natürlich wohnte die Kölner Mischpoke immer im Caesars Palace, dem teuersten Hotel der Stadt. Das wissen wir von den Erkundungen des Filmemachers Peter F. Müller in der Szene, zu sehen auf der DVD „Wir waren das Miljö“ und nachzulesen im Buch zum Film: „Chicago am Rhein“.
Fußball spielt dort nur eine Nebenrolle, aber dem 1989 verstorbenen Becker war er ziemlich wichtig. Die Freunde von damals sagen: Er war ein Vereinsmeier, wie er im Buche steht. Er kaufte sich eine Trillerpfeife und verordnete seinen Freizeitkickern regelmäßiges Training: dienstags und donnerstags. Donnerstagsabends ging’s anschließend um 23 Uhr zur Mannschaftssitzung im Hinterzimmer des „Klein Köln“. Die wichtigste Spielregel lautete: keine Frauen, keine Polizei. Der Fußballtalk lief bis tief in die Puppen, das „Klein Köln“ war die erste Spelunke der Stadt mit einer Nachtlizenz. Die Krummheimer, wie man in der Szene sagte, besprachen so brisante Themen wie: Wer ist der nächste Gegner? Wer hat seinen Beitrag noch nicht bezahlt? Und wohin geht unsere Saisonabschlussfahrt? Karin Cölln, Beckers Lebensgefährtin und wichtigste Thekenkraft, trug zu später Stunde riesige Koteletts und Schnitzel hinter die Schiebetüre. Dazu gab es tablettweise Kölschstangen – nur Beckers Schmal trank Pils. Denn wie sagte er immer: „Zwischen Leber und Milz, passt immer noch ein Pils.“
Immer im Trikot des aktuellen Weltmeisters
Egal, was sie im Mannschaftskreis besprachen, das letzte Wort hatte Becker. Er war nicht nur der autoritäre Pate der lokalen Ludenbewegung, sondern hatte Dauerkarten aller relevanten Ortsvereine: FC, Fortuna und Viktoria. Der Multi-Tribünengast, der die Trillerpfeife inzwischen als Markenzeichen um den Hals trug, ließ sich auch nicht bei der Mannschaftsaufstellung reinreden. „Er stellte auch schon mal einen klassischen Verteidiger im Sturm auf, aber keiner wagte es, ihm Widerworte zu geben“, erinnert sich der Schmidte Udo. Becker entschied auch, dass sein FC Johnny immer das Trikot des aktuellen Weltmeisters tragen sollte. Also zogen sie Ende der siebziger Jahre auf den Poller Wiesen das der argentinischen Nationalmannschaft über. Das Beste war gerade gut genug für die Kölner Halbwelt.
Es war eine Zeit, als Kriminelle noch wie Kriminelle aussahen. Trainingsanzüge trugen die Halbseidenen sowieso den ganzen Tag, dazu Minipli, Dauerwelle oder lange Mähne, Schnäuzer waren obligatorisch. Das galt auch für Goldketten um Hals und Handgelenk sowie Cowboystiefel an den Füßen. Natürlich kamen alle Mann immer frisch von der Sonnenbank. Wenn die Freiberufler auf der Wiese am Müngersdorfer Stadion trainierten, parkte dort ein Fuhrpark aus Mercedes SLs, amerikanischen Schlitten oder auch mal einem Rolls-Royce. Beckers Stiefsohn verwahrte derweil die teuren Uhren; er trug sie an beiden Armen, hoch bis zur Schulter.
Weil sich rasend schnell herumsprach, dass Beckers Schmal eine schlagkräftige und trinkfreudige Mannschaft zusammengestellt hatte, trudelten Einladungen aus ganz Deutschland ein. Mit einem gecharterten Mannschaftsbus ging es zu den Freundschaftsspielen, später bis nach Österreich und in die Schweiz. Während der Fahrt wurde ordentlich gesoffen und Ludenlieder mit nicht ganz jugendfreien Texten gegrölt. Die Hymne des FC Johnny ging so: „Ein Lude wird kommen / und mir die Kuppe nehmen / die ich so schwer verdient hab / in einer langen Nacht“. Gesungen wurde sie zur Melodie von „Ein Schiff wird kommen“.
Bei den Auswärtsspielen wurde immer nur in den besten Schuppen der Stadt gewohnt, in Hamburg im Luxushotel Hanseatic. Die Kollegen aus St. Pauli ließen sich auch nicht lumpen, sie hatten das Millerntorstadion klargemacht. Die beiden Thekenmannschaften zogen sich in der Kabine der Profimannschaft um und duschten anschließend dort, wo sonst Bundesligaspieler Walter Frosch die Kippen ausdrückte.
Im Winter veranstalteten die Kölner ihre berühmten Hallenturniere. Auf dem Wimpel, den sie vor den Spielen übergaben, prangte das Kölner Stadtwappen, und die Siegerpokale gerieten so groß, dass sie dem Fernsehturm Konkurrenz machten. Juwelier Schmitze Pitter legte sich für seine besten Kunden besonders in Zeug. In der Kabine steckten sie zerschnittene Micky-Maus-Hefte hinter ihre Stutzen. Eine sinnvolle Maßnahme, weil ihre Gegenspieler auch mal „Knochenbrecher“ oder „Zementkopp“ gerufen wurden. Bei einem dieser Hallenturniere gab der Schmidte Udo, selbst kein Kind von Traurigkeit, den Schiedsrichter. Heute sagt er rückblickend: „Das habe ich einmal und nie wieder gemacht; das war mir zu kriminell. Die haben mich fast umgebracht.“ Nach der Siegerehrung stieg regelmäßig die traditionelle Ludenweihnachtsfeier im „Klein Köln“. Zu Gast: die großen Kölner Karnevalstars um King Size Dick und Zeltinger.
Bei den Fußballspielen gab es ein kleines Problem, denn wer ein richtiger Lude war, wollte sich keine Blöße geben. So kam es, dass sie vor Turnieren ihre Mannschaft verstärkten, wie das heutzutage nur Oligarchen und Scheichs praktizieren. Einmal hatten zwei Spieler von Fortuna Köln im „Klein Köln“ die Nacht durchgefeiert: Noel Campbell, Nationalspieler aus Irland, und Gintaras Oleknavicius. Sternhagelvoll, wie sie waren, gelang es Beckers Schmal, die beiden zu überreden, von jetzt auf gleich mit in die Eifel zu fahren. Er konnte, nun ja, sehr überzeugend sein. Die beiden Profis hatten Samstagnachmittag noch in der Bundesliga gespielt, plötzlich saßen sie neben dem Dicken Johnny, Schmidte Udo und Hermanns Tünn im Mannschaftsbus und sangen „Ein Lude wird kommen“. Der FC Johnny verlor trotz professioneller Hilfe das erste Spiel, denn sie mussten erst einmal die Getränke der langen Nacht ausschwitzen. Später, als das Captagon, das alle Spieler immer vorher einwarfen, endlich wirkte, wurden sie Turniersieger. „Du konntest laufen, laufen, laufen“, beschreibt Außenverteidiger Dicker Johnny die Wirkung des Aufputschmittels.
Zwei Fixpunkte gab es während der siebziger und frühen achtziger Jahre für den FC Johnny in jeder Saison: die Saisonabschlussfahrt nach Spanien und das bundesweite Ludenturnier in Essen, organisiert von Calypso und seinen Jungs. Zur Meisterschaft in Essen, die der FC Johnny zweimal gewann, kamen kriminelle Großmeister aus ganz Deutschland in den Pott. Doch wer dort irgendwelchen Glamour erwartete, wurde enttäuscht. Es war ein ganz und gar gewöhnliches Fußballturnier. Lediglich die Frisuren der Spieler waren etwas verwegener, und die einzigen Zuschauer waren die Frauen, die für sie anschaffen gingen. Gespielt wurde völlig unprätentiös auf Asche, es war wie überall im Freizeitfußball. Nur die Plastiktüte mit den Wertsachen war etwas schwerer: 22 Rolex-Uhren, ein Haufen Ringe und Ketten – und Bargeld. Nach dem Kicken wurde nämlich immer zum Zocken gebeten. Schätzwert der Tüte: eine halbe Million Mark.
Bei einem der Turniere war die temporäre Schatztruhe aber plötzlich verschwunden. Bevor Fuchse Toni, der auf sie aufpassen sollte, zum Schafott geführt wurde, schaffte zum Glück ein kleiner Junge das Corpus Delicti herbei. Die Herren hatten sie, stark angetrunken, einfach am Zaun hängenlassen: eine halbe Million Mark.
Zu den gelegentlichen Stützen der Kölner Luden gehörte Heinz Flohe, damals Mittelfeldspieler beim 1. FC Köln. Ihn hatte sein Interesse für den Boxsport in die Szene verschlagen, und er war darüber ein guter Freund von Dieter Becker geworden. Gegenüber vom „Klein Köln“ fanden in den Sartory-Sälen die großen Boxkämpfe jener Tage statt. Das Wiegen vor dem Kampf und das Zocken hinterher wurden in der Szenekneipe veranstaltet. Damals existierte rund um die Friesenstraße auch noch ein klassischer Straßenstrich. Prominente wie Heiner Lauterbach, Diether Krebs oder Richard Rogler zog es trotzdem ins „Klein Köln“. Der Leichtgewichtsboxer René Weller verkaufte Goldschmuck aus dem Koffer. Und auch Profifußballer konnten dem anrüchigen Image nicht widerstehen. Beckers Schmal sorgte eigenhändig dafür, dass keiner der anderen Gäste eine Kamera zückte. Was im „Klein Köln“ passierte, sollte dort auch bleiben.
Eine Corvette von Bernd Schuster
Die Übergänge zwischen 1. FC Köln und Halbwelt waren auch deshalb fließend. Junge Spieler wie Gerry Ehrmann oder Bernd Schuster wurden angeblich von Torjäger Dieter Müller in die Milieukneipe geschickt, so erzählen es jedenfalls die Luden von damals. Abels Män, so ist überliefert, kaufte Bernd Schuster später seine Corvette ab und machte sie zu seinem „Zuhälter-Auto“. Der Lange Tünn, bis heute eine Größe in der Kölner Türsteherszene, will Schuster sogar seine spätere Frau Gaby vorgestellt haben. Er sagt: „eingebrockt“. Der Schmidte Udo teilte sich auf Touren mit dem FC Johnny das Hotelzimmer mit Heinz Flohe. Im „Klein Köln“ hängten sie den „Kicker“-Starschnitt des Bundesligastars an die Wand. Wenn bekannte Gastspieler in der Ludenmannschaft mitspielten, galt das eherne Gesetz: nicht mit dem Nachnamen ansprechen und zur Tarnung eine Goldkette umhängen. Flohe selbst jedoch schämte sich nicht für seine Freunde. Er posierte bereitwillig auf Mannschaftsfotos – und nicht nur das. Er prahlte öffentlich mit seinen Kontakten zu den schweren Jungs und sagte nach dem Pokalviertelfinale bei Eintracht Frankfurt 1973/74 zu den Journalisten: „Wenn der Frankfurter Kliemann nach Köln kommt, schicke ich ihm die Zuhälter auf den Hals. Dem geht es genauso wie Krauthausen, dem in Köln der Kiefer brach.“ Der DFB-Kontrollausschuss sah sich gezwungen, gegen ihn zu ermitteln, ohne Sanktionen.
Die Welt der Luden war so verführerisch für den kölschen Jung’ Heinz Flohe, dass er sogar Länderspiele mit ihnen bestritt. Auf Gran Canaria gegen Österreich und im Stadion des FC Malaga gegen eine Ludenauswahl aus den Niederlanden. Nach dem 2:2 erkundeten sie in Marbella gemeinsam die Luxusyacht von Waffenhändler Adnan Kashoggi. Die Jungs vom FC Johnny trafen in Marbella auch zwei der legendären Posträuber aus England. Sie hatten 1963 bei einem Zugraub eine Millionensumme erbeutet, inzwischen ihre Haftstrafe abgesessen und bastelten an der Fortsetzung ihrer kriminellen Karrieren. Flohe, der zu dieser Zeit schon für Deutschland spielte, stellte sich kurzentschlossen vor ihren weißen Lamborghini – und posierte für ein Erinnerungsfoto mit den beiden.