Zum 1. September wurde Sky von Gastwirten massengekündigt. Lizenz weg, Fußball weg? Nicht unbedingt. Ein schwäbisches Restaurant mitten in Kreuzberg leistet Widerstand. Mit Stream, Charme und Obschtler.
Ich erscheine viel zu spät zum vielleicht ersten Erfolg des VfB Stuttgart in dieser Saison, aber ich muss mich an keiner Leinwand vorbeischämen. Fünf Männer, Anfang 40 bis Ende 60, teils in Jogginganzügen, diskutieren lautstark, das Radio brüllt, niemand guckt auf die Leinwand. Kann man auch gar nicht, der Beamer ist aus und die Leinwand ist da, wo sie nicht hingehört – aufgerollt. Revolution? Bürgerbewegung? Schnaps für alle!
Dann eben Obstler
Der 1. September 2013 könnte der erste Tag einer neuen Zeitrechnung im Kreuzberger Kneipenfußball sein. Oder einfach ein Grund, um an einem Sonntagnachmittag ein paar Obstler zu trinken. Carmen, die Besitzerin der Cantina Orange, hat geladen zu einem schwäbischen Fußball Coup d’Etat mit Elfmeterschießen am Tischkicker und Bundesliga Quiz, kreiert von Peter Kaspar, dem Chefredakteur der „Kiez und Kneipe“.
„Brauchst noch a Schnaps?“ Ich sitze gefühlte zwei Minuten, Stuttgart führt 6:1 und der aus Äpfeln und Birnen hergestellte Berghof Obschtler verspricht einen köstlichen Genuss. Eine Freundin aus Backnang hatte mir mal erklärt, dass man im Schwäbischen nicht jedes S zum Sch macht. Nach drei Obstlern und drei Vierteln eines VfB-Spiels in der Cantina ist alles irgendwie sch. Vor allem scheiße.
Man kommt sich vor wie in einem Hipster-Szene-Kaffeeladen oder einer Neunziger-LAN-Party, alle konzentrieren sich auf ihre eigenen Laptop-Bildschirme und niemand brüllt über das gleiche Foul, weil jeder einen anderen, zeitversetzten Stream verfolgt. Am Anfang kamen noch ein paar Leute rein, fragten, ob das Spiel gezeigt wird. Kopfschütteln und noch ein Schnaps. Normalerweise würde man jetzt keinen Sitzplatz mehr bekommen.
Die Männer sind traurig. Sie versuchen, vor mir nicht zu fluchen und konzentrieren sich darauf, den besten Stream zu finden. Carmen gießt fleißig ein und setzt sich zu mir. „Von 240€ auf 460€? Und jetzt? 1000 Bier mehr verkaufen jeden Monat? Was soll ich da noch rechnen? An Freimonat haben sie mir angeboten. Wie großzügig hab ich gsaid und aufglegt.“
Vor einem Monat fand im Gasthaus Valentin ein Treffen statt, von „fast allen“ Kreuzberger Sky-Wirten. Über die Hälfte hat nach eigenen Angaben gekündigt, nicht 16%, wie Sky behauptet. Angeblich werden die Preise für Privatnutzer halbiert. Daraufhin erklärt mir einer der Männer, Skat kann man auch alleine zu Hause spielen, aber wer bitte macht das schon? In den Neunzigern haben auch alle geheult, die Stadien würden leer sein, wenn wir zu Hause Fußball gucken könnten. Nichts davon ist passiert. Die Leute werden immer Fußball gucken, Hauptsache zusammen. Das Menschenbild des einsamen Sky-Privatnutzers ist hier ein bemitleidenswertes.
Der Klaus würde auch Schmiere stehen!
Das Spiel ist fast vorbei, aber alle sind es Leid auf diese verdammten Bildschirme zu gucken. Irgendjemand fragt Carmen, ob wir nicht doch, vielleicht, auf der Leinwand…? Der Klaus würde sich auch rausstellen und gucken, dass niemand kommt. Ich komme mir vor wie zur Prohibition, auf jeden Fall fließt der Schnaps und irgendetwas ist verboten. „Auf die Leinwand darf man des ned übertrage! Des geht mich nichts an, ob ihr Pornos schaut oder Fußball, aber ned auf die Leinwand!“ Die Männer in der Cantina Orange gucken seit Jahren ihre VfB-Spiele in diesem Laden, prinzipiell dürfen sie das jetzt nicht mehr.
Sei es verzweifeltes Marketing oder Geldgeilheit, irgendjemand bei Sky hatte die Idee und ziemlich viele haben dieser Person Recht gegeben. Wenn ein hochverschuldeter Verein den teuersten Transfer aller Zeiten tätigen darf, dann kann man Sky nicht verübeln, dass sie auch noch mehr Geld verdienen wollen. Außer vielleicht, wenn man sich auf einmal eine neue Fußballkneipe suchen muss, von heute auf morgen. Das ist wirklich traurig. Darauf einen letzten Schnaps.