Nationalmannschafts-Direktor Oliver Bierhoff ist zu Gast in Katar und lobt die Voraussetzungen in der Wüste. Das Ergebnis: Ein Video, das erahnen lässt, in welches Schlamassel der DFB noch geraten könnte.
„I’ hoab noch nicht einen einz’gen Sklaven in Katar gesehen“, sagte Franz Beckenbauer, „also, die laufen da alle frei herum.“ Die Aussage, die der „Kaiser“ 2013 tätigte, sorgte für allgemeines Kopfschütteln und lautstarken Protest durch Amnesty International. Und so konnte sich Oliver Bierhoff glücklich schätzen, dass er während seines Besuchs dieser Tage in Katar nicht mit der gleichen Frage konfrontiert wurde.
Im Trainingsparadies
Bierhoff war zu Gast in Katar. Um sich, so heißt es, vier Jahre vor der Weltmeisterschaft ein erstes Bild vom Gastgeberland zu machen. Um Kontakte zu knüpfen und, bei vergangenen Turnieren ein Prestigeobjekt des ehemaligen Torjägers, mögliche Unterkünfte für die Nationalmannschaft während der WM zu suchen. Im Mittelpunkt der Reise stand dabei auch ein Besuch der Aspire Academy. Jenem 2,5 Quadratkilometer großem Trainingszentrum für Spitzensportler, das über 15 Fußballfelder, ein 50.000-Zuschauerstadion und einer der größten Trainingshallen der Welt verfügt. Nur zur sinnlosen Veranschaulichung: Das ist eine Fläche von insgesamt 350 Fußballfeldern, oder 0,01 Prozent des Saarlands.
Die DFB-Delegation, zu der auch der „Koordinator Physische Leistung“ Nicklas Dietrich und Nationalmannschaftsmanager Thomas Beheshti gehörten, traf sich mit den Kataris im ersten fertiggestellten WM-Stadion, ließ sich Trainingseinrichtungen zeigen, schüttelte Hände, vereinbarte eine weitere tolle Zusammenarbeit. Und sah sich zum guten Schluss ein Testspiel des FC Bayern an.
Vor der Kamera des Gastgebers
Zwischendrin, in alldem Kennenlernprozess, der Smalltalk- und Deeptalksprecherei, wurde Oliver Bierhoff vor eine Kamera der Aspire Academy gestellt und nach seinem Eindruck vor Ort befragt.
Und über die Aspire Academy gäbe es einiges zu sagen.
Zum Beispiel, dass das Unternehmen im 2017 veröffentlichten Garcia-Report als Scharnier zur Beeinflussung von Fifa-Exko-Mitgliedern benannt wurde. Weshalb die Aspire Academy ihr Engagement erheblich erweiterte in Nigeria und Thailand, der Heimatländer zweier Stimmberechtigten während der WM-Vergabe. Oder dass die Förderung von afrikanischen Fußballtalenten, die in Katar und Belgien spielen, vermutlich nicht allein aus Goodwill geschieht, sondern aus finanziellen und sportpolitischen Interessen. Oder dass der Internationale Gewerkschaftsbund bis zu 4.000 tote Wanderarbeiter beim Bau der WM-Stadien befürchte.
„Großartige Vision“
Oliver Bierhoff aber stand vor der Kamera des Gastgebers und verzichtete auf derart kritische Worte. Stattdessen zeigte er sich beeindruckt von den Einrichtungen, den internationalen Experten vor Ort, der Technologie und sowieso: „Es ist eine großartige Vision und Arbeit, die Aspire hier in verschiedenen Bereichen vorantreibt. So viel Platz, so viel Qualität.“ Eine Minute und 50 Sekunden voller Euphemismen und Problemignoranz, die spontane Zahnschmerzen verursachten.
Nun könnte man Bierhoff zugute halten, dass eine Generalkritik am Gastgeber auf dessen eigenen Grund und Boden tatsächlich Courage erfordert hätte. Und dass der FC Bayern, der größte deutsche Klub, sich derzeit wiederholt vom katarischen Sponsor ins Wintertrainingslager locken lässt, während der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge die Probleme des Wüstenstaats als „Aufgabe der Politik“ bezeichnete.
Welche Haltung entwickelt der DFB?
Fest steht aber auch, dass der DFB eben keine Aktiengesellschaft, sondern noch immer ein gemeinnütziger Verein ist. Dessen Mannschaft spätestens in vier Jahren erneut katarischen Boden betreten wird. Und bis dahin eine Haltung wird entwickeln müssen, wenn sie sich nicht dauerhaft im Bierhoffschen Dilemma befinden will.
»> Hier geht es zum Video: twitter.com/aspirezone