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Die Rats­stube Steidel“ in Sins­heim-Dühren hat an diesem 9. Juni 2009 einen beson­deren Gast: Prince Tagoe, ein 22-jäh­riger Fuß­baller aus Ghana, der soeben seinen ersten Pro­fi­ver­trag in Europa unter­schrieben hat. Begleitet wird der junge Mann von Jan Schin­del­meiser, Geschäfts­führer von Tagoes neuem Arbeit­geber TSG Hof­fen­heim, und Djuro Iva­nis­evic, dem Berater des Spie­lers. Als ich meinen Namen auf das Papier schrieb“, erin­nert sich Tagoe, fühlte sich das an, als ob mein Leben neu beginnen würde.“



Auf dem inter­na­tio­nalen Fuß­ball­markt ist der wuch­tige Angreifer mit den feinen Ras­ta­zöpfen im Sommer 2009 längst kein Unbe­kannter mehr. Bereits drei Jahre zuvor hat der FSV Mainz 05 um seine Dienste geworben. Erfolglos. Für viel Geld wech­selte Tagoe nach Saudi-Ara­bien. Doch der Auf­ent­halt auf der ara­bi­schen Halb­insel sollte für den flinken Offen­siv­spieler nur eine Zwi­schen­sta­tion auf dem Weg zum Traum­ziel Europa werden.

Ange­bote aus Mai­land und Valencia – Tagoe geht nach Hof­fen­heim

Im Früh­jahr 2009 geht der Traum in Erfül­lung. Vor Tagoe liegen unter­schrifts­reife Ver­träge von Inter Mai­land und dem FC Valencia. Die Tür zur großen weiten Fuß­ball­welt steht offen. Und Tagoe? Ent­scheidet sich für die TSG Hof­fen­heim. Dort spielt bereits sein Freund Isaac Vorsah, und gemeinsam mit den Bera­tern kann der seinen talen­tierten Lands­mann für den Bun­des­li­gisten in der Rhein-Neckar-Pro­vinz begeis­tern. Djuro Iva­nis­evic will seinem Schütz­ling auf der Karte einen Ort zeigen, der dort gar nicht ver­merkt ist. Aber was bedeuten schon Ein­woh­ner­zahlen und Brei­ten­grade, wenn man in der Liga spielen kann, in der gha­nai­sche Natio­nal­helden wie Sammy Kuf­four und Tony Yeboah ihre Kar­rieren star­teten? Tagoe ver­traut seinen Bera­tern und dem alten Kumpel Isaac. Am 9. Juni 2009 wird dop­pelt gefeiert: ein gutes Geschäft und der Beginn des Fuß­ball­traums, den Prince Tagoe ab sofort leben darf.

Damit sollte die Trans­fer­ge­schichte des begabten afri­ka­ni­schen Jung­fuß­bal­lers in die Bun­des­liga eigent­lich beendet sein. Statt­dessen aber geht sie an dieser Stelle erst los. Denn plötz­lich“, sagt der Berater Djuro Iva­nis­evic, begann dieser Alp­traum.“

Fuß­baller sind die Ware, die den Mehr­wert erzeugen

Pro­fes­sio­nelle Fuß­ball­ver­eine sind längst zu wirt­schaft­li­chen Unter­nehmen avan­ciert, in denen das Per­sonal auf dem Platz die Ware ist, die den Mehr­wert erzeugen muss. Fal­sche Trans­fers können die wirt­schaft­liche Situa­tion eines Klubs schnell in Schief­lage bringen. Die Deut­sche Fuß­ball Liga sieht zudem in ihren Lizenz­auf­lagen vor, dass sich Spieler einem zwei­tei­ligen medi­zi­ni­schen Check unter­ziehen müssen: einer ortho­pä­di­schen und einer kar­dio­lo­gisch-inter­nis­ti­schen Unter­su­chung. Erst wenn der behan­delnde Arzt die Sport­taug­lich­keit erteilt, erhält ein Fuß­baller in Deutsch­land seine Spiel­erlaubnis. Die Auf­lagen sind streng, die Strafen bei einem Fehl­ver­halten können dras­tisch sein.

Prince Tagoe wird am 8. Juni 2009 unter­sucht, einen Tag vor der Ver­trags­un­ter­zeich­nung. Das Zeit­fenster ist eng, denn Tagoe kämpft mit seiner Natio­nal­mann­schaft um die Teil­nahme bei der ersten WM auf afri­ka­ni­schem Boden. Die Pause zwi­schen den Län­der­spielen will der 22-Jäh­rige nutzen, um bei seinem neuen Verein alle For­ma­li­täten zu klären. In seiner Hei­del­berger Praxis erwartet Hof­fen­heims Mann­schafts­arzt Dr. Pieter Beks den Pati­enten. Begleitet wird Tagoe von Djuro Iva­nis­evic und dessen Partner Goran Mil­o­va­novic. Alles soll nach Plan ver­laufen, also haben sie ihrem Schütz­ling Turn­schuhe für die Spi­ro­er­go­me­trie besorgt, ein Stan­dard­ver­fahren bei der kar­dio­lo­gi­schen Erst­un­ter­su­chung von Pro­fi­fuß­bal­lern. Beks belässt es laut Iva­nis­evic im Rahmen dieses Checks aller­dings bei den ortho­pä­di­schen Tests: Zur Spi­ro­er­go­me­trie kam es damals nicht. Dr. Beks sagte: ›Keine Sorge, das reicht.‹“ Die Turn­schuhe bleiben ein­ge­packt.

Die Ein­gangs­un­ter­su­chungen laufen bei uns nach einem fest­ge­legten Muster ab“, gibt Hof­fen­heims Jan Schin­del­meiser heute zu, das war bei Prince aus orga­ni­sa­to­ri­schen Gründen nicht der Fall.“ Hof­fen­heims Mann­schafts­arzt stuft den neuen Mann als kern­ge­sund ein, noch am Abend des 8. Juni gehen die Unter­lagen an die DFL raus. Schon am 20. Juni spielt Ghana gegen den Sudan und Natio­nal­trainer Mil­ovan Rajevac erwartet seinen Angreifer im Trai­nings­lager. Einen Tag nach der Ver­trags­un­ter­zeich­nung sitzt Tagoe schon wieder im Flug­zeug nach Afrika.

Er weiß es noch nicht: Es wird sein vor­erst letzer Ein­satz sein

Gegen den Sudan steht der Hof­fen­heimer Neu­ling auf dem Platz, und als dem ehe­ma­ligen Dort­munder Matthew Amoah in der 52. Minute das ent­schei­dende 2:0 gelingt, ist sein Sturm­partner Prince Tagoe als Erster da, um ihm zu gra­tu­lieren. Nach 80 Minuten wird er aus­ge­wech­selt. Was Prince Tagoe zu diesem Zeit­punkt noch nicht weiß: Es wird sein letzter Ein­satz in der Qua­li­fi­ka­tion für die WM 2010 sein.

Am 14. Juli kehrt Tagoe aus dem Urlaub zurück in seine neue Heimat Hei­del­berg, wo er nun mit Lands­mann Isaac Vorsah zusam­men­wohnt. Seine Rei­se­koffer bleiben gepackt, denn im öster­rei­chi­schen Leo­gang beginnt die TSG Hof­fen­heim noch am selben Tag mit ihrem Trai­nings­lager. Tagoe reist umge­hend hin­terher. Die Rei­se­stra­pazen und das unge­wohnte Trai­nings­pensum machen dem Gha­naer sichtbar zu schaffen. In Saudi-Ara­bien hatte er wegen der Hitze nur einmal am Tag trai­nieren müssen – abends um 22 Uhr. In den ersten Ein­heiten macht er einen schwa­chen Ein­druck. In abso­luten Spit­zen­be­rei­chen war Prince nicht auf der Höhe“, erin­nert sich Trainer Ralf Rang­nick, das volle Tempo konnte er nicht mit­gehen.“

So kenne ich Prince gar nicht“

Vier Tage nach dem Trai­nings­lager in der Alpen­re­pu­blik emp­fängt die TSG den FC Getafe zum Test­spiel. Auf der Tri­büne in Sins­heim sitzt Berater Mil­o­va­novic, neben ihm Ghanas Natio­nal­trainer Rajevac. Beide sehen einen müden Prince. Am Tag darauf treffen sich Rajevac und Rang­nick auf dem Trai­nings­platz. Sie spre­chen über ihren Spieler. Keine Frage, Rang­nick hat sich mehr erwartet. Auch Rajevac sagt: So kenne ich Prince gar nicht.“ Am 29. Juli wird Tagoe für einen rou­ti­ne­mä­ßigen Check nach Hei­del­berg geschickt, den alle Lizenz­spieler der TSG einmal im Jahr absol­vieren.

Das Team der Uni-Klinik um Prof. Dr. Hugo Katus und Ober­ärztin Dr. Birgit Fried­mann hat nicht das erste Mal einen Fuß­baller aus Hof­fen­heim im War­te­zimmer. Was am 8. Juni bei Dr. Beks aus Zeit­gründen ein­ge­spart wurde, soll nun wie­der­holt werden: die Spi­ro­er­go­me­trie. Ein Ver­fahren zur Mes­sung von Atem­gasen, mit der man unter anderem die Belast­bar­keit des Her­zens testen kann. Der Patient sitzt dabei auf einem Fahr­ra­d­er­go­meter und trägt eine Maske mit rüs­sel­ar­tigem Schlauch, der die Sau­er­stoff­werte in der Atem­luft – und damit die Belas­tungs­fä­hig­keit des Her­zens – misst.

Laut Tagoe geschieht nun im Behand­lungs­zimmer Fol­gendes: Dr. Fried­mann beor­dert den Pati­enten auf das Ergo­meter und der stram­pelt los. 15 Minuten ver­gehen, ehe Fried­mann zurück in den Raum kommt. Die Ärztin stellt fest, dass ihr Patient den Test ohne die erfor­der­liche Gesichts­maske absol­viert. Sie ent­schul­digte sich dafür, befes­tigte die Maske, und ich musste diese Vier­tel­stunde auf dem Fahrrad wie­der­holen. Das war etwas erschöp­fend“, so Tagoe im Rück­blick. Dr. Fried­mann kann hierzu keine Stel­lung beziehen. Bis heute hat der Patient die Ärzte nicht von deren Schwei­ge­pflicht ent­bunden.

Er sagte mir: Ich dürfte nie wieder Fuß­ball spielen.“

Die gemes­senen Werte des Sport­lers sind auf­fällig. Nur einen Tag später muss Prince Tagoe wieder ins Kran­ken­haus. Diesmal zu Pro­fessor Katus. Der bittet den 22-jäh­rigen Ath­leten in sein Büro. Tagoe ist ver­un­si­chert, eigent­lich war er nach Deutsch­land gekommen, um gegen den Ball zu treten. Jetzt sitzt ihm ein Arzt mit ernstem Gesicht gegen­über und ver­sucht, auf Eng­lisch in Worte zu fassen, dass seine Kar­riere beendet ist. Der Pro­fessor sagte mir, dass ich nicht mehr Fuß­ball spielen dürfe, weil ich eine Herz­krank­heit habe“, erin­nert sich Tagoe. Der Fuß­ball­profi soll an einer sel­tenen Erkran­kung des Herz­mus­kels der linken Kammer leiden. Ein ange­bo­rener Herz­fehler, der das Risiko eines plötz­li­chen Infarktes deut­lich erhöht.

Der junge Sportler ver­lässt die Klinik in Hei­del­berg. Vorbei an lachenden Medi­zin­stu­denten auf dem Weg in die Mit­tags­pause schlurft ein Pro­fi­fuß­baller, der nicht wirk­lich ver­stehen kann, was man ihm gerade mit­ge­teilt hat. Was ihm der deut­sche Pro­fessor gesagt hat, kann ein­fach nicht wahr sein. Er, der mit seinem durch­trai­nierten Körper schon hun­dert­tau­sende von Petro­dol­lars ver­dient hat, soll plötz­lich tod­krank sein? Tagoe fährt nach Hause, in die Fuß­baller-WG, und legt sich auf sein Bett. Er fühlt sich leer. Da ist nichts. Keine Wut, keine Trauer. Nur Fra­ge­zei­chen.

Prince Tagoe wird fristlos gekün­digt

Zwei Stunden später klin­gelt das Handy. Am Telefon ist Chuks Madu­kanya, Hof­fen­heims Deutsch­lehrer für die afri­ka­ni­schen Neu­linge. Er bittet Tagoe, in die Praxis von Pieter Beks zu kommen. Dort warten, neben dem Mann­schafts­arzt, schon Jan Schin­del­meiser und Hof­fen­heims Spiel­leiter Dirk Ritt­müller. Sie wissen bereits von der Dia­gnose des Hei­del­berger Arztes und um die daraus resul­tie­rende Sport­un­taug­lich­keit ihres Spie­lers.
Prince Tagoe wird fristlos gekün­digt.

Zwei Stunden nach der Dia­gnose bei Pro­fessor Katus ist er nun auch seinen Job los. Ein Fuß­baller ohne Verein, ohne Exis­tenz­grund­lage. Er unter­schreibt die Emp­fangs­be­stä­ti­gung der Kün­di­gung. Ich dachte, wenn es etwas Wich­tiges wäre, säßen auch meine Berater mit im Büro.“ Doch er ist allein. Man ver­ab­schiedet ihn in die Hei­del­berger Mit­tags­sonne.

Der Geschäfts­führer muss sich dafür in den kom­menden Monaten viele Fragen gefallen lassen. Warum wurde Tagoe so schnell nach der nie­der­schmet­ternden Dia­gnose gekün­digt? Warum hat man keine zweite Mei­nung ein­ge­holt? Schin­del­meiser ver­steht die Kritik, doch am 30. Juni 2009 steckt er in der Klemme: Ich musste eine sofor­tige Ent­schei­dung treffen, um die Inter­essen der GmbH zu wahren.“ Die Kün­di­gung hat vor allem finan­zi­elle Gründe. Einen Tag später, am 31. Juni, wären laut Ver­trag Hand­gelder und Gehälter in Mil­lio­nen­höhe fällig geworden. Viel Geld für einen Fuß­baller, den ein renom­mierter Kar­dio­loge kurz zuvor für sport­un­taug­lich erklärt hat. Wir hatten eine Für­sor­ge­pflicht für den Jungen“, betonen Schin­del­meiser und sein Trainer Ralf Rang­nick später uni­sono. Wer will schon dafür ver­ant­wort­lich sein, wenn ein junger Neu­zu­gang Wochen, Monate, viel­leicht Jahre später auf dem Fuß­ball­platz stirbt, obwohl man die medi­zi­ni­schen Vor­zei­chen kannte?

Prince war ein Teil von Nichts“

Prince Tagoe fährt nach dem Treffen bei Dr. Pieter Beks wieder in seine Woh­nung. Er ver­sucht, Ruhe zu bewahren. Beten hilft ihm dabei. Er greift zum Telefon und legt es doch wieder zurück. Die schlechten Nach­richten kann er vor­erst mit nie­mandem teilen. Selbst seinem Freund und Mit­be­wohner sagt er nichts. Isaac Vorsah fährt zum Hof­fen­heimer Trai­nings­ge­lände, sein Mit­spieler erfindet eine Aus­rede und bleibt zu Hause. Isaac war ein Teil der Mann­schaft“, sagt Berater Djuro Iva­nis­evic, Prince hin­gegen war von einem Moment auf den anderen nur ein Teil von Nichts.“

Einen Tag später ruft er in den USA bei seinen Eltern an. Ein ange­bo­rener Herz­fehler“ hatte ihm der Hei­del­berger Pro­fessor gesagt. Er fragt seine Mutter, ob jemand in der Familie schon einmal Pro­bleme mit dem Herzen hatte. Nein, nie­mand!“ Jetzt muss der Sohn die Mutter beru­higen.

Inzwi­schen haben seine Berater erfahren, was am 30. Juli in der Praxis von Dr. Beks pas­siert ist. Am 4. August treffen Mil­o­va­novic und sein Partner in Hei­del­berg ein. Wenig später sitzen sie im Büro von Katus und lassen sich von dem Medi­ziner per Power­point-Prä­sen­ta­tion zeigen, wie krank das Herz ihres Kli­enten ist. Ich habe nicht ver­standen, wo das Pro­blem liegt“, erin­nert sich Iva­nis­evic. Das Berat­erduo spricht mit Jan Schin­del­meiser und ver­sucht ihn umzu­stimmen, doch der beharrt auf der Kün­di­gung. Prince Tagoe holt sich am 5. August juris­ti­schen Bei­stand. Am selben Tag ist er schon wieder beim Arzt. Seine Berater haben einen Termin bei Dr. Man­fred Neuß in Mön­chen­glad­bach ver­ein­bart. Der dia­gnos­ti­ziert eine leichte Herz­mus­kel­ent­zün­dung, einen Herz­fehler kann er aber nicht erkennen. Ich wusste ja, dass ich nicht krank war“, sagt Tagoe. Jetzt hat er auch das ent­spre­chende Gut­achten eines Arztes.

Wei­tere Ärzte bestä­tigen: Er hat keinen Herz­fehler

In den nächsten Wochen lernt der junge Gha­naer das hie­sige Gesund­heits­system besser kennen, als ihm lieb ist. Wäh­rend seine Kol­legen vor einem Mil­lio­nen­pu­blikum um Punkte kämpfen, wird Tagoe von vier wei­teren Ärzten unter­sucht, die alle­samt bestä­tigen, was er ohnehin weiß: Er hat keinen Herz­fehler. Einen Teil­erfolg kann der Gha­naer am 20. August feiern: Hof­fen­heim hebt die frist­lose Kün­di­gung auf und zahlt die feh­lenden Gelder aus. Fuß­ball spielen darf er aller­dings noch immer nicht.

Der­weil tobt hinter den Kulissen ein Rechts­streit. Wel­cher Arzt ist gut genug, ein end­gül­tiges Urteil zu fällen? Hof­fen­heim schlägt als Gut­achter ver­schie­dene Spe­zia­listen vor, die Tagoes Anwalt immer wieder ablehnt. Der Jurist will wissen, wel­cher Arzt die vor­ge­schla­genen Medi­ziner emp­fohlen habe und bekommt keine Ant­wort aus Hof­fen­heim. Erst am 15. Sep­tember scheint sich eine Lösung im Fall Tagoe anzu­bahnen. Die DFL will Klar­heit und kon­tak­tiert erst­mals den Kar­dio­logen Prof. Dr. Michael Böhm vom Uni-Kli­nikum Saar­land.

Bist du nicht wütend auf die deut­schen Ärzte?“

Dar­über, wie es Prince Tagoe in der ganzen Zeit geht, will er bis heute nicht spre­chen. Nur selten ver­lässt er in diesen Spät­som­mer­wo­chen die Woh­nung, manchmal geht er laufen und hört dabei sein Herz schlagen. Gegen den Ball hat er seit der Dia­gnose nicht mehr getreten. Häufig tele­fo­niert er mit seiner Familie, und auch die fragen ihn: Bist du nicht wütend? Bist du nicht sauer auf die deut­schen Ärzte? Manchmal hatte ich solche Gefühle“, sagt der junge Mann leise und streicht über seine gol­dene Hals­kette. Aber Wut ist nicht die Ant­wort. Jeder kann Fehler machen.“

Seine Berater machen sich jedoch Sorgen um ihren Schütz­ling. Der stille Offen­siv­spieler scheint sich zu ver­krie­chen, wirkt noch schweig­samer als sonst. Ich dachte, er knickt uns psy­chisch weg“, erin­nert sich Iva­nis­evic. Der Hoch­leis­tungs­sportler ist seit Wochen kör­per­lich unter­for­dert. Iva­nis­evic lässt den Sportler a.D. in seine Düs­sel­dorfer Woh­nung ein­ziehen und orga­ni­siert ein Trai­nings­pro­gramm bei Torsten Voss, Zehn­kampf-Sil­ber­me­dail­len­ge­winner von 1988. Auf einer Lauf­bahn in Sicht­weite der Heim­stätte von For­tuna Düs­sel­dorf beginnt Voss mit dem Trai­ning für einen Fuß­baller, von dem die Öffent­lich­keit immer noch nicht weiß, ob er nun tod­krank oder topfit ist. Zunächst nur einmal am Tag taucht Tagoe schon nach einer Woche zweimal täg­lich auf. Voss lässt ihn sprinten, springen, schwitzen. Als er nach knapp zwei­ein­halb Wochen Trai­ning in Rekord­zeit eine spe­zi­elle Trep­pen­kon­struk­tion im nahen Neu­kir­chen-Vluyn hin­auf­stürmt, steht Torsten Voss auf der ersten Stufe und denkt: Der Junge ist nie im Leben herz­krank.“

Er hat seine Kar­riere wieder zurück

Dann kommt der 21. Oktober 2009 und die erste Unter­su­chung durch Dr. Michael Böhm. Der Gut­achter durch­leuchtet den Pati­enten gründ­lich, schließ­lich warten viele Men­schen auf diese Dia­gnose. Der Arzt befindet eine vor­über­ge­hende Ein­schrän­kung der Herz­mus­kel­funk­tion“, aus­ge­löst durch eine Herz­mus­kel­ent­zün­dung, und fällt schließ­lich das ent­schei­dende Urteil, auf das sein Patient seit fast drei Monaten gewartet hat: Tagoe darf wieder Fuß­ball spielen. Er hat seine Kar­riere wieder zurück.

Es dauert jedoch wei­tere zwei Monate, ehe der DFL-Gut­achter schrift­lich bestä­tigt, dass Prince Tagoe gesund ist. Die lange Phase des Miss­trauens hat bei seinen Bera­tern, seinem Anwalt und der TSG Hof­fen­heim Spuren hin­ter­lassen. Eines steht fest“, sagt Jan Schin­del­meiser im Januar 2010, der Junge hatte ein Herz­pro­blem, das wir nicht igno­rieren konnten.“

Als er die Kabine betritt, bricht Jubel aus

Prince Tagoe ist das egal. Mit leichter Ver­spä­tung erteilt ihm die DFL am 11. Januar 2010 die Frei­gabe und nach fast einem halben Jahr Zwangs­pause kann er Anfang Januar wieder das Trai­nings­ge­lände in Hof­fen­heim betreten. Für den Abs­ti­nenzler ist es ein erha­benes Gefühl, als seine Team­kol­legen in lauten Jubel aus­bre­chen, als sie den Mit­spieler in der Kabine sehen. Die Lizenz­spieler der TSG 1899 Hof­fen­heim Fuß­ball-Spiel­be­triebs GmbH klat­schen Bei­fall für den Rück­kehrer. Am 19. Januar wird er im Test­spiel gegen Offen­bach erst­mals wieder ein­ge­wech­selt und feiert am 20. Spieltag nach 82 Minuten sein Debüt in der Bun­des­liga. Im Pokal gegen Werder Bremen gelingt ihm gar das erste Tor für seinen neuen Klub. Prince Tagoe ist wieder Fuß­baller.

Die Frage nach Schuld und Unschuld will er sich heute nicht mehr stellen. Jan Schin­del­meiser muss sie sich aller­dings gefallen lassen. Es bleibt die Frage, warum der Klub seinen jungen Neu­zu­gang nach der schreck­li­chen Dia­gnose fal­len­ließ wie eine heiße Kar­toffel.

Ich würde heute anders han­deln“

Dass Hof­fen­heim einen Fehler gemacht hat, gesteht Schin­del­meiser heute ein. Der Manager hat eine ganz eigene Ver­gangen- heit als Fuß­baller. 21 Jahre war er, als das Pfeif­fer­sche Drü­sen­fieber dem hoff­nungs­vollen Talent aus Flens­burg die ganz große Lauf­bahn ver­wehrte. Er kennt das Gefühl, nur Zuschauer der eigenen Mann­schaft zu sein. Der Geschäfts­führer der TSG Hof­fen­heim sitzt in seinem Büro in Zuzen­hausen. Von seinem großen Schreib­tisch hat er einen her­vor­ra­genden Blick auf das nagel­neue Trai­nings­zen­trum.

Wenn ich die Zeit noch einmal zurück­drehen könnte“, sagt der 46-Jäh­rige und denkt an den 30. Juni 2009, würde ich heute anders vor­gehen. Mein Gefühl hatte mir schon damals etwas anderes gesagt.“