Gegen Union Berlin kam der FC Bayern nicht über ein Unentschieden hinaus. Woran lag das? Fünf Gründe, warum sich die Bayern in Berlin so schwertaten.
Corona hat die Fans von Union Berlin um ein echtes Highlight gebracht. Man stelle sich nur vor, was am Samstagabend in einer voll besetzten Alten Försterei losgewesen wäre: Union Berlin geht in Führung gegen den großen FC Bayern München! Verpasst Chance um Chance! Kassiert den Ausgleich! Und am Ende freuen sich tausende Menschen über einen Punktgewinn der kleinen Berliner gegen den großen Rekordmeister!
Diese Freude blieb den Unionern verwehrt. Was bleibt, ist ein weiterer Punktgewinn gegen einen ganz Großen der Branche – und ein Bayern München, das lieber heute als morgen den Spielbetrieb pausieren würde. Fünf Gründe für das Ergebnis.
Erst das Champions-League-Finale, wenige Wochen später der Saisonauftakt: Seit dem Lockdown im Frühjahr spielen die Bayern ohne Pause durch. Englische Wochen sind der Normalfall in dieser seltsamen Corona-Saison.
Die Bayern müssen der Belastung Tribut zollen: Schlüsselspieler wie Joshua Kimmich fallen aus, die übrigen Spieler wirken ausgelaugt und überspielt. Die fehlende Spritzigkeit merkt man den Bayern vor allem in den Anfangs- und den Schlussphasen der Spiele an. Sie brauchen lange, um in Gang zu kommen. Nicht zufällig sind die Bayern in den vergangenen fünf Bundesliga-Partien in Rückstand geraten.
Nach spätestens siebzig Minuten müssen sie das Tempo drosseln. Das verträgt sich nicht mit der Maxime von Trainer Hansi Flick, den Gegner mit einem aggressiven, hohen Pressing zu dominieren. Die Pressingmonster aus München sind aktuell allenfalls Monsterchen.
Vollgasfußball gab es am Samstagabend eher auf der anderen Seite zu bestaunen. Union-Trainer Urs Fischer hatte seiner Mannschaft eine klare Spielidee mitgegeben. Seine Männer reihten sich kurz hinter der Mittellinie in einem 4−1−4−1 auf. Überquerten die Bayern die Mittellinie, griffen die Unioner mit einem aggressiven Pressing zu.
Vorbildlich war vor allem das Verhalten nach Ballgewinnen. Fischer setzte im Mittelfeld ganz auf Geschwindigkeit. Hier setzte er seine schnellsten Spieler ein. So agierte etwa Marcus Ingvartsen, eigentlich eher in vorderster Linie zu finden, als Achter. Der Plan ging auf: Union nutzte den Geschwindigkeitsvorteil, um nach Ballgewinnen schnell hinter die weit aufgerückte Bayern-Abwehr zu gelangen.
Dass Union derart viele Ballgewinne im Zentrum verbuchen konnte, lag auch am Gegner. Diese Spielzone ist momentan die große Schwachstelle der Bayern. Seit der Verletzung von Kimmich fehlt ein Spieler, der im Zentrum die Fäden in die Hand nimmt.
Gegen Union zeigte sich dieses Dilemma: Leon Goretzka fühlt sich wohler, wenn er weit vorstoßen kann. Hier kommen sein Offensivdrang und seine Wucht zur Geltung. Der junge Jamal Musiala ist ebenfalls eine Linie weiter vorne besser aufgehoben. Er konnte angesichts des Berliner Drucks nicht an die starke Leistung gegen Leipzig anknüpfen.
Bayern fehlt seit dem Abgang von Thiago ein Sechser, der das Mittelfeld dominiert. Das ist schlecht für eine Mannschaft, die Woche für Woche Ballbesitzwerte um die 60 Prozent verbucht. Die Bayern haben das Zentrum zu wenig in Griff.
Ein spielstarker Sechser würde auch dem Aufbauspiel guttun. Momentan tragen die Innenverteidiger die Verantwortung, den Ball aus der ersten in die letzte Linie zu bringen. Hier mangelt es jedoch an Geduld. Jerome Boateng wählte häufig den unvorbereiteten, langen Schlag – und dieser kam zu selten an. Eine Passgenauigkeit von rund 75 Prozent ist zu wenig für einen Bayern-Innenverteidiger.
Die mangelhafte Anbindung zwischen Spielaufbau und Angriff sorgt dafür, dass die Angreifer sich weit fallen lassen müssen, um überhaupt Bälle zu erhalten. Robert Lewandowski war in der ersten Halbzeit gegen Union dem Mittelkreis näher als dem gegnerischen Strafraum. Dadurch fehlte es wiederum an Präsenz im Strafraum und Tiefe im eigenen Angriff. Unions Abwehrkette konnte herausrücken, ohne einen Pass hinter die Abwehr zu riskieren.
Flicks Problem: Es mangelt an Alternativen. Der Kader ist klein, der Terminkalender eng, die Verletzungssorgen groß. Selbst Spieler, die aktuell nicht in Form sind, müssen Woche für Woche zum Einsatz kommen. So stand Serge Gnabry in der Startelf, sah gegen Unions Verteidiger aber keinen Stich.
In der Coronakrise wirken selbst die Bayern-Spieler plötzlich menschlich – und die Bayern plötzlich formschwach. Flick hat noch keine Antwort gefunden, wie er seine Spielidee angesichts der hohen Belastung seiner Spieler umbauen möchte. Die Bayern versuchen weiter, hoch zu pressen, scheitern damit aber in vielen Fällen. Das macht sie anfällig gegen gut vorbereitete Teams wie Union, diese können die weit aufgerückte Viererkette der Bayern recht einfach überspielen.
Eigentlich würde den Bayern derzeit nur eins helfen: eine Pause. Doch die ist ihnen nicht gegönnt. Am Mittwochabend müssen sie schon wieder ran gegen die bisher ungeschlagenen Wolfsburger. The show must go on.