Dass Jürgen Klopp die Champions League gewonnen hat, liegt auch daran, dass er von seinen Prinzipien abgewichen ist. Und an einem Mann, der das Spiel seines Lebens machte. Hier kommen 4 Gründe für den Triumph des FC Liverpool.
Aller guten Dinge sind drei. Das weiß Jürgen Klopp nur zu gut. 2013 scheiterte er im Champions-League-Finale mit Borussia Dortmund an Bayern München. Fünf Jahre später musste er ansehen, wie Lorius Karius patzte und Gareth Bale ein Wundertor per Fallrückzieher schoss. Seine Liverpooler verloren 1:3 gegen Real Madrid.
Das Finale 2019 war zwar weitaus weniger spektakulär als die 2018er-Variante. Doch diesmal gab es den richtigen Ausgang für Klopp. Mit Liverpool feiert er seinen ersten Champions-League-Sieg. Klopp opferte den spektakulären Fußball der vergangenen Jahre für eine rationalere Spielweise – und feierte gerade deshalb seinen größten Triumph als Vereinstrainer. Vier Gründe, warum Liverpool Tottenham besiegen konnte.
1. Glückliches Liverpool
Es waren keine zwei Minuten gespielt, da ging Liverpool bereits in Führung. Ein – wie soll es in dieser Saison anders sein? – Handelfmeter brachte Klopps Team auf die Siegerstraße. Die Anfangsphase prägte jedoch nicht das Tor, sondern die Nervosität der Teams. Beide Mannschaften spielten kaum einen flachen Pass, bolzten den Ball nach vorne, köpften ihn sich gegenseitig zu, droschen ihn unter Druck weg.
Das war symptomatisch für die Anfangsviertelstunde. Die hohe Nervosität, der Respekt vorm Gegner und die dreiwöchige Pause seit dem letzten Pflichtspiel sorgten dafür, dass kein rechter Spielfluss zustande kam. Liverpool kam der frühe Treffer hierbei natürlich entgegen: Da offensiv auf beiden Seiten wenig ging, konnten sich die Reds mit der Führung im Rücken auf Konter versteifen.
2. Liverpool setzt Tottenham fest
Es dauerte rund eine Viertelstunde, ehe Tottenham begann, Fußball zu spielen. Sie droschen nun nicht mehr jeden Ball lang, sondern versuchten sich gegen das hohe Pressing Liverpools heraus zu kombinieren. Das gelang ihnen jedoch selten.
Klopp hatte seine Mannschaft in einem 4−3−3 aufgestellt. Und gerne sein Stil als „Heavy-Metal-Fußball“ bezeichnet: der Gegner soll ständig gejagt, unter Druck gesetzt werden. In dieser Champions-League-Saison suchte Liverpool allerdings nur selten aggressiv den Zugriff. Sie rückten weit auf, stellten aber nur die Passwege ins Mittelfeld zu. Überspielte der Gegner das Pressing, ließen sich alle Spieler wieder hinter den Ball fallen. In der eigenen Hälfte verteidigte Liverpool dann in einem 4−5−1.
So war auch das Spiel gegen Tottenham nicht durch Liverpooler Ballgewinne geprägt. Es erinnerte an das Achtelfinal-Duell gegen die Bayern: Tottenham ließ den Ball in der eigenen Abwehr laufen, versuchte, mit flachen Pässen ins Mittelfeld zu gelangen. Dort wurden sie jedoch gestellt, sie mussten viele Angriffe direkt wieder abbrechen. Auch wenn Tottenham ein klares Übergewicht an Ballbesitz hatte, mussten sie diesen in ungefährlichen Zonen und weit in der eigenen Hälfte ausspielen. Das war Liverpools wahre Stärke in dieser Champions-League-Saison: Sie setzten den Gegner in dessen Hälfte fest.
3. Tottenham nutzt Überzahl nicht
Klopp gab nach dem Finale offen zu, dass seine Mannschaft ein für ihre Verhältnisse schwaches Spiel gezeigt habe. Ihnen gelang es zwar, den Gegner in der eigenen Hälfte zu belassen. Ballgewinne waren jedoch rar gesät. Und selbst wenn sie den Ball eroberten, war er meist direkt wieder weg. Liverpools Passgenauigkeit von 64 Prozent ist der schwächste Wert, der je in einem Champions-League-Finale gemessen wurde.
Dass Liverpool weder Zugriff im Zentrum erlangte, noch kontern konnte, lag nicht zuletzt an Tottenhams Formation. Mauricio Pochettino entschied sich dafür, sein Team in einer Raute auf das Feld zu schicken. Mit vier zentralen Mittelfeldspielern erlangte Tottenham im Mittelfeld viel Zugriff, hatte hier ein klares Übergewicht. Zumeist konnten sie so im Zentrum den Ball behaupten. Wenn sie ihn doch verloren, konnten sie wuchtig nachsetzen und Liverpool zu langen Bällen zwingen.
4. Der überragende Mann
In der zweiten Halbzeit konnte Tottenham das optische Übergewicht (65 Prozent Ballbesitz) auch in Torchancen ummünzen. Sie trauten sich nun mehr: Vier Spieler bewegten sich permanent an Liverpools Abwehrlinie, drückten das gegnerische Team nach hinten. Mit langen Diagonalbällen auf die Flügel schickte Christian Eriksen die Außenbahnspieler hinter die Abwehr.
Der Unterschied zum vergangenen Jahr: Diesmal konnte sich Klopp auf seine letzte Linie verlassen. Joel Matip zeigte das Spiel seines Lebens, klärte 14 Bälle. Der zweitbeste Spieler in dieser Statistik war Tottenhams Toby Alderweireld mit sechs Klärungsaktionen. Tottenham hatte praktisch nie ein freies Schussfeld, ein Liverpooler stand immer im Weg.
Wenn Tottenham doch einmal zum Torversuch kam, endete dieser stets in den Armen von Alisson Becker. 75 Millionen Euro hatte Liverpool ausgegeben für den brasilianischen Torhüter. Spätestens an diesem Abend rechtfertigte er seine Ablösesumme. Mit teils spektakulären Paraden sorgte er dafür, dass Tottenham vergeblich anrannte.
Angesichts des optischen Übergewichts und des Chancenplus der Spurs mag es seltsam klingen, doch: Man hatte selten das Gefühl, Liverpool gleitet das Spiel aus der Hand. Als dann kurz vor Schluss nach einer Ecke das 2:0 fiel (87.), war klar: Liverpool gewinnt die Champions League im Jahr 2019.
Schön war’s nicht, doch das dürfte ihnen egal sein. Vor allem Jürgen Klopp. Seine Leidenszeit ist zu Ende.