In der Europa League trifft Borussia Dortmund auf die Glasgow Rangers. Die Schotten sind nicht zu unterschätzen – auch, weil sie das beste Stadion Großbritanniens haben.
Es war ein Abend zum Vergessen. „Unsere erste Halbzeit war eines Old Firms nicht würdig“ sagte Glasgow Rangers Trainer Giovanni van Bronckhorst Anfang Februar, nachdem sein Team gerade gegen Stadtrivale Celtic eine 0:3‑Packung erhalten hatte. Im Celtic Park hatten die Rangers über weite Strecken die nötige Einstellung vermissen lassen. „Ich habe die Old-Firm-Mentalität nicht gesehen“, so van Bronckhorst. Die Pleite tat den Rangers dabei sogar doppelt weh. Denn sie verloren nicht nur das Derby, sondern zusätzlich die Tabellenführung an den ungeliebten Nachbarn.
Auch in Dortmund wird man das Auftreten der Rangers im Old Firm vor den TV-Geräten genau beobachtet haben. Denn für den BVB geht es heute Abend in der Europa League gegen die Schotten. Der ein oder andere Dortmunder dürfte angesichts der biederen Leistung der Rangers eine machbare Aufgabe erwarten. Zumindest offenbarte das Spiel die fußballerischen Schwächen des schottischen Rekordmeisters. Probleme mit Celtics schnellem Direktpassspiel paarten sich mit Unkonzentriertheiten bei Standardsituationen und Flankenbällen. So stand schon vor der Pause das Endergebnis.
Doch die Rangers betrieben sogleich Wiedergutmachung. Nur vier Tage nach der Niederlage im Old Firm schossen die Rangers Heart of Midlothian aus dem Ibrox Stadium. Die Hearts, immerhin Drittplatzierte und damit ärgste Verfolger des Glasgower Duos, durften sich mit einer 0:5‑Abreibung wieder auf den Nachhauseweg machen.
Allein das sollte Borussia Dortmund Warnung genug sein. Für den BVB bedeutet die Europa League in dieser Saison wohl die letzte reelle Möglichkeit auf einen Titel. Und die Dortmunder tun gut daran, bereits im Hinspiel an die volle Leistungsgrenze zu gehen, um sich eine gute Ausgangsposition zu verschaffen. Denn in der Europa League sind die Rangers seit vier Spielen ungeschlagen und erreichten in den letzten beiden Jahren jeweils das Achtelfinale. Dieses Jahr soll die Reise noch weitergehen. Deshalb haben die Schotten ein Ass im Ärmel.
Gegen Mittag des 31. Januars hatte Aaron Ramsey sich entschieden. Der Waliser saß zu diesem Zeitpunkt irgendwo in einem privaten Flughafenterminal im Vereinigten Königreich und ging seine Optionen durch. Trotz eines nur mäßig erfolgreichen Engagements bei Juventus Turin lagen ihm einige Angebote aus dem In- und Ausland vor. Ramsey hatte laut The Athletic mit dem Besitzer des FC Burnley gesprochen, auch ein anderer Premier-League-Klub soll Interesse an einer Verpflichtung des 31-Jährigen gehabt haben. Doch Ramsey entschied sich für den Schritt nach Schottland und unterschrieb bei den Glasgow Rangers. Das sorgte für Euphorie.
„Er ist ohne Zweifel der größte Spieler seit Gazza“, sagte Adam Owen, ehemaliger Performance Manager bei den Rangers. Paul Gascoigne, genannt Gazza, hatte den Klub 1996 und 1997 zu zwei Meisterschaften geschossen und war 1996 zusätzlich Schottlands Fußballer des Jahres geworden. Große Fußstapfen für Aaron Ramsey also.
Zweimal stand er nun schon für die Rangers auf dem Feld. Gegen die Hearts und gegen Hibernian Edinburgh wurde der Mittelfeldmann für jeweils 15 Minuten eingewechselt. In der Europa League könnte Ramsey erstmals die für ihn vorgesehene Anführerrolle einnehmen.
Doch auch ohne Aaron Ramsey sind die Glasgow Rangers eine Top-Mannschaft. Genauer gesagt: Sie sind es wieder. Nachdem der Klub 2012 aufgrund eines Insolvenzverfahrens den Neustart in der vierten schottischen Liga zu überstehen hatte, gelang bereits 2016 die Rückkehr in die Premiership. In der letzten Saison holten die Rangers nach neun Spielzeiten erstmals wieder die Meisterschaft. Zu verdanken hatten sie das vor allem einem Mann, der inzwischen nicht mehr da ist: Steven Gerrard. Der Liverpool-Legende gelang es, die Mannschaft innerhalb von dreieinhalb Jahren zur torgefährlichsten und abwehrstärksten Truppe der Liga zu formen. In der Meistersaison ließen die Rangers nur 13 Treffer in 38 Spielen zu und schossen selbst 92. Am Ende der Spielzeit hatten sie keine einzige Partie verloren.
Im letzten November verließ Gerrard die Rangers dann Richtung Premier League, zu Aston Villa. Den abrupten Abgang des Trainers wusste das Team jedoch gut wegzustecken. Wie schon unter Gerrard überzeugt die Offensive auch unter van Bronckhorst . Das liegt auch an außerordentlichen Einzelkönnern.
Kapitän James Tavernier beispielsweise ist ein absoluter Standardspezialist. Der Engländer ist nicht nur ein verlässlicher Elfmeterschütze, auch seine Freistöße sind brandgefährlich. In dieser Spielzeit hat Tavernier bereits sechs Treffer erzielt und zwölf vorbereitet. Wohlgemerkt als Außenverteidiger. Aufpassen muss der BVB zudem auf Ryan Kent. Der Ex-Freiburger kommt mit viel Tempo über die linke Außenbahn, setzt gerne zum Dribbling an und bringt die Bälle scharf in die Mitte.
Wer dort wartet? Alfredo Morelos. Der Kolumbianer ist mit elf Treffern aktuell Führender der Torschützenliste in Schottland. Morelos, der in der Vergangenheit schon das ein oder andere Mal wegen hitzköpfiger Aktionen vom Platz flog, wird den BVB vor allem mit seiner Körperlichkeit beschäftigen. Auf die BVB-Defensive kommt also eine Menge Arbeit zu. Bekommt sie jedoch insbesondere Morelos in den Griff, ist die größte Gefahr der Rangers auf dem Platz eliminiert.