Der TSV 1860 München ist furios in die neue Drittliga-Saison gestartet. Doch trotz des sportlichen Erfolgs liegen die Fanszene und die Klub-Bosse im Clinch – mal wieder. Den bisherigen Höhepunkt erreichte die Entwicklung am Dienstag.
Diesen Moment wird er wohl so schnell nicht vergessen. Im mit 15.000 Zuschauern gefüllten Städtischen Stadion an der Grünwalder Straße traf 1860-Neuzugang Fynn Lakenmacher am Dienstagabend gegen Meppen zum ersten Mal für seinen neuen Verein – und wie. In der 63. Minute nahm er einen Flachpass von Mitspieler Quirin Moll so mit, dass er sich selbst, mit dem Rücken zum Tor stehend, überlupfte. Anschließend beschleunigte der 1,88-Meter-Stürmer, setzte sich robust gegen zwei Gegenspieler durch, legte sich den Ball mit der Brust vor und zimmerte das Leder in den Winkel. Direkt vor der eigenen Kurve.
Lakenmacher steht symptomatisch für die gute Frühform des TSV 1860 München. Nach zwei vierten Plätzen in den vergangenen beiden Saisons starteten die Giesinger furios in die neue Spielzeit. Drei Spiele, drei Siege, Platz eins in der 3. Liga. Die Löwen sind nach den ersten drei Spielen bereits auf Beutezug. In dieser Saison könnte dem TSV mit seinem starken Kader endlich der große Wurf gelingen. Und das, obwohl gerade ein erbitterter Streit zwischen Fanszene und den Bossen von 1860 die sportliche Leistung überschattet.
Genauer gesagt zwischen Anhängerschaft und der „TSV 1860 Merchandising GmbH“. Geführt wird sie vom Amerikaner Anthony Power. Er ist bei der „H.I. Squared International“ angestellt, einer Vermarktungsfirma, die zu 90 Prozent 1860-Investor Hasan Ismaik gehört. Auslöser des Streits waren Designs aus der Fanszene, die Fans etwa auf Shirts oder Aufklebern gedruckt hatten. Als die Merchandising GmbH ähnliche Motive in den Fanshop brachte, warfen die Anhänger der GmbH vor, die Designs unabgesprochen kopiert und verkauft zu haben. Anschließend stellte der Verein in einem Statement klar, dass die alleinigen Markenrechte bei der ausgegliederten TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA liegen – was reichlich Zündstoff für weitere Eskalationen bot.
Und es dauerte nicht lange, bis die nächste Stufe erreicht war. Als Reaktion auf die Erklärung des Vereins zeigten einige Fans beim Spiel gegen Oldenburg (1:0) Fahnen mit dem durchgestrichenen Konterfei Ismaiks. Und nicht nur das: Auf verschiedenen Doppelhaltern hielten die aktiven Fans mehrere der umstrittenen Motive in die Höhe, darunter die Botschaft: „Verklag uns doch du Luftpumpe“. Wieder wollte der Klub anschließend ein Machtwort sprechen, indem er an die Fans appellierte, auf derlei Botschaften zukünftig zu verzichten. „Die Löwen stehen für Meinungsfreiheit, Toleranz und Gemeinsamkeit“, hieß es dort unter anderem. Meinungsfreiheit nahmen die Löwen-Fans wörtlich – und zeigten die Fahnen gegen Meppen erneut. Zudem äußerte sich der Ultra-Dachverband „Münchner Löwen“ schriftlich zu dem Streit mit einer unmissverständlichen Botschaft. „Wir fordern die sofortige Abberufung von Anthony Power als Geschäftsführer der Merchandising GmbH und die Entbindung von all seinen Befugnissen und Rechten im Löwenkosmos!“
Im Heimspiel gegen Meppen waren neben den Ismaik-kritischen Fahnen auch Stoffbeutel mit Motiven gegen den Investor im Fokus des Vereins. Löwen-Unterstützer, die solche Beutel mit sich führten, mussten sie am Eingang abgeben. Oder nach Hause gehen, was manche Löwenfans auch taten. Es ist das neueste Kapitel im Dauerkonflikt zwischen den 1860-Fans und Investor Ismaik, in dem es um die Frage geht, wem der Fußballklub wirklich gehört – Anhängern oder Geldgebern? Über diesen Streit kann auch der jüngste sportliche Erfolg nicht hinweg täuschen. Und der hätte sich auch ohne den Konflikt vor ein paar Wochen nicht zwingend angedeutet.
Denn der Torschützenkönig der vergangenen Drittliga-Saison, Marcel Bär, fällt wegen einer Fußverletzung aus dem Pokalspiel gegen Borussia Dortmund (0:3) noch lange aus. Schon die Vorbereitung im Sommer verhieß nichts Gutes für ihn. Direkt nach dem Urlaub musste er wegen einer Corona-Infektion aussetzen, gerade zu Beginn des Trainingsauftaktes ein kritischer Zeitpunkt. Denn so festigte sich ein Trainingsrückstand, den der Stürmer bis zum ersten Ligaspiel bei Dynamo Dresden (4:3) am 23. Juli nicht aufholen konnte. Er musste zunächst auf der Bank Platz nehmen, nur für eine halbe Stunde reichte die Kraft. Trotzdem traf der Stürmer doppelt, zum zwischenzeitlichen 3:0 und 4:1 seiner Mannschaft. Damit unterstrich er seinen großen Wert für die Mannschaft einmal mehr. Eine Woche später verletzte sich Bär so schwer im Spiel gegen Dortmund, dass er operiert werden musste.
Die genaue Diagnose wollen weder 1860 noch Bär Preis geben. „Es ist eine Fußverletzung. Ich kann natürlich verstehen, dass Fans und Medien wissen wollen, was ich genau habe. Das wird aber nicht nach außen kommuniziert, weil es auch ein Stück weit Selbstschutz für mich ist“, sagte Bär vor dem Spiel des 2. Spieltags seiner Löwen beim VfB Oldenburg am Mikrofon von Magenta Sport. Beim 1:0‑Sieg vertraten ihn Meris Skenderovic und später Lakenmacher.
Lakenmacher machte durch seinen Auftritt im Spiel gegen den SV Meppen am Dienstagabend zum ersten Mal so richtig auf sich aufmerksam, seit er in München ist. Im Sommer war er als Back-Up vom TSV Havelse gekommen, dem abgeschlagenen Drittligaabsteiger des vergangenen Jahres. Beim 4:0‑Sieg traf er noch ein zweites Mal, nachdem Albion Vrenezi eine Freistoßflanke auf den langen Pfosten zwirbelte, wo Lakenmacher seine Gräten mit viel Instinkt reinhielt. Seine Statur, Koordination und Frisur erinnern leicht an Erling Haaland, das wurde insbesondere bei seinem ersten Treffer deutlich. „Ich glaube, das war eins der schönsten Tore meiner Karriere. Da habe ich meine ganze Wucht reingelegt. Ich muss es mir selber nochmal anschauen“, sagte Lakenmacher. „Hier gleich zwei Tore vor der Fankurve zu schießen, ist ein Weltklasse-Gefühl. Ich habe Gänsehaut gehabt, mit den zwei Toren im Rucksack dort zu stehen.” Die Löwen zeigten sich vor Kurzem offen, eventuell noch nach einem externen Ersatz für den verletzten Bär zu suchen. Das könnte sich nach den starken Leistungen nun erledigt haben.
Mit Verl und Halle trifft der TSV 1860 in den kommenden beiden Spielen auf Sorgenkinder, die einen konträren Start zu dem der Sechziger erlebten. Neben dem langzeitverletzten Bär und Innenverteidiger Semi Belkahia (Oberschenkelverletzung) müssen die Löwen dabei auch auf Phillipp Steinhart verzichten. Er zog sich im Spiel gegen Meppen eine Knieverletzung zu und fällt nun ebenfalls wochenlang aus. Ob Trainer Michael Köllner auch für diese Position einen so adäquaten Ersatz wie Fynn Lakenmacher auf der Stürmer-Position herbeigezaubert bekommt, scheint zumindest fraglich. Klar ist dagegen, dass die Fehde zwischen aktiver Fanszene und Anthony Power den Verein noch weiter begleiten wird. Ganz unabhängig vom sportlichen Erfolg.
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