Trainer weg, Präsident zurückgetreten und nun hauen auch noch die Spielerinnen ab. Turbine Potsdam, einst Aushängeschild des Frauenfußballs, steht plötzlich vor einem Neuanfang.
Sofian Chahed war gespannt. Gespannt, „was sich das Präsidium einfallen lässt.“ Das sagte der damalige Cheftrainer von Turbine Potsdam im Anschluss an die deutliche 0:4‑Niederlage im Pokalfinale vor rund einem Monat. Die Mannschaft des ehemaligen Profis von Hertha BSC hatte sich soeben dem VfL Wolfsburg geschlagen geben müssen. Auch das Präsidium schien Handlungsbedarf zu erkennen — und beendete wenige Tage später die Zusammenarbeit mit Chahed.
Dabei war die Saison eigentlich sehr gut verlaufen. Mit dem Erreichen des Pokalfinals sowie dem vierten Platz in der Frauen-Bundesliga hatte die Mannschaft die Erwartungen übertroffen. Zwar verspielten die Potsdamerinnen an den letzten zwei Spieltagen noch die Champions-League-Qualifikation, einen Grund für eine Trainerentlassung wäre das im Normalfall aber nicht gewesen. Das sah auch Vereinspräsident Rolf Kutzmutz so und verkündete daraufhin seinen Rücktritt. Turbine Potsdam steht dadurch quasi aus dem Nichts vor einem der größten Umbrüche der Vereinsgeschichte.
Chahed hatte mit seiner Aussage nach dem Pokalfinale eigentlich auf diese Entwicklung hinweisen wollen. Die finanzielle Ungleichheit zwischen reinen Frauenfußballvereinen wie Turbine Potsdam und Klubs wie dem VfL Wolfsburg, die auch über eine starke Männerabteilung verfügen, wächst stetig an. Um nicht zu einem Ausbildungsverein zu werden, müsse in die Infrastruktur des Vereins investiert werden, so Chahed. Nur dann habe Turbine eine Chance, Leistungsträgerinnen auch auf Dauer zu halten. „Aber das wird ohne neuen Hauptsponsor, Finanzgeber oder einen Lars Windhorst des Frauenfußballs schwer“, sagte Chahed noch Ende Mai in einem Interview mit dem RBB.
Denn schon vor dem Saisonfinale war abzusehen, dass sich im Kader des ehemaligen Champions-League-Siegers vieles verändern würde. Gleich mehrere Säulen der Potsdamerinnen kündigten während der Saison ihren Wechsel an. Die Stürmerin Melissa Kössler (22) einigte sich mit der TSG Hoffenheim und der VfL Wolfsburg warb Kapitänin Sara Agrež (21) ab. Die ehemalige Kapitänin Isabel Kerschwoski (34) gab ihr Karriereende bekannt.
Wenige Tage später war klar: Seine Sorgen um die Zukunft des Vereins hätte sich Sofian Chahed auch sparen können. Fortan wird sich ein anderer um Training und Kaderplanung in Potsdam kümmern müssen. Offiziell trennten sich beide Parteien einvernehmlich. Der engagierte Eindruck des Trainers lässt aber vermuten, dass er wohl nicht von alleine auf die Idee gekommen wäre.
Klare Gründe für die Entscheidung waren nicht ersichtlich. Deutlich ersichtlich wurde dafür eine knappe Woche später der knallharte Machtkampf innerhalb des Vereins: Der langjährige Vereinspräsident Rolf Kutzmutz kündigte seinen Rücktritt an. „Ich habe die Entscheidung, Sofian Chaheds Vertrag nicht wirksam zu belassen, auch auf mich bezogen“, sagte Kutzmutz dem RBB. Der Vorstand des Vereins habe die Entscheidung gegen seine Empfehlung durchgesetzt, so der Präsident.
Als Vereinspräsident hat er bei Entscheidungen des Präsidiums genau wie alle anderen Präsidiumsmitglieder eine von sieben Stimmen. Der Verein hatte den Vertrag mit Chahed erst im Winter bis 2025 verlängert. Außer Kutzmutz sprach sich Berichten zufolge nun aber kein weiteres Mitglied für den Verbleib des Cheftrainers aus.
Kutzmutz hatte sich erst 2021 bei der Präsidentschaftswahl knapp gegen die langjährige Turbine- und Nationalspielerin Tabea Kemme durchgesetzt. Kemme wollte die Strukturen im Verein modernisieren, um wieder konkurrenzfähig zu werden, und hatte damals einen Neuanfang versprochen. Ein Jahr später steht dieser Neuanfang bevor — allerdings unter ganz anderen Vorzeichen.
Das Chaos im Verein erschwert auch die Kaderplanung. Die Nationalspielerin und Turbine-Topscorerin, Selina Cerci, verlässt den Verein nun ebenfalls. Über einen Wechsel der Stürmerin wurde zwar schon länger spekuliert, fest stand bis zum Saisonende allerdings noch nichts. Hinzu kommt, dass Cerci mit dem Wechsel zum 1. FC Köln einen sportlichen Abstieg in Kauf nimmt. Der Bundesliga-Aufsteiger steht finanziell wohl nicht schlechter da als die Turbine, schloss die Saison allerdings auf Platz acht ab. Wie schnell die Frauenabteilung der Geißböcke oben mitspielen kann, ist ungewiss.
Insgesamt verzeichnet Turbine nun bereits zehn Abgänge in diesem Transferfenster. Die Suche nach qualitativ gleichwertigem Ersatz verläuft schleppend. Mit der japanischen Nationalspielerin Mai Kyokawa wurde zumindest im Sturm schonmal eine Kaderlücke gefüllt. Einen neuen Trainer gibt es mittlerweile auch. Sebastian Middeke kommt vom SV Meppen, wo er bereits als Co-Trainer der Frauenmannschaft sowie im Juniorinnenbereich tätig war. Zuletzt trainierte er auch kurz die Frauenmannschaft der SpVg Berghofen in der 2. Frauen-Bundesliga.
Die anstehende Präsidenten-Wahl wird richtungsweisend sein. Wer den Verein aus der Krise führen soll, ist aber noch vollkommen unklar. Tabea Kemme wird es zumindest nicht sein: Die Ex-Spielerin steht nach eigener Aussage dieses Mal nicht zur Verfügung. Der Traditionsverein wird aufpassen müssen, nicht vollkommen abzurutschen. Er muss sich etwas einfallen lassen.