Dass die turbulente Saison von Hertha BSC ohne große Verwerfungen zu Ende geht, ist vor allem Bruno Labbadia zu verdanken. Unter dem Trainer geht der Klub mit einer gehörigen Portion Realitätssinn in die Sommerpause. Doch das heißt nicht, dass es an Ehrgeiz mangelt.
Anders als der Auftritt von Vedad Ibisevic, der wieder das tat, was man eben von Vedad Ibisevic erwartet: Er war zur rechten Zeit am rechten Fleck und traf kurz vor Schluss mit seinem siebten Saisontreffer zum 1:2‑Endstand. Im August wird der Bosnier 36, aber trotz seines fortgeschrittenen Alters war er in dieser Saison (zusammen mit Dodi Lukebakio) der erfolgreichste Torschütze in Herthas Kader.
Trainer Bruno Labbadia bestätigte im Interview mit dem Fernsehsender Sky, dass es Gespräche mit Ibisevic gebe, er selbst sei in dieser Angelegenheit „sehr, sehr offen“, sagte er. „Aber es ist eine Gesamtkonstruktion, über die wir nachdenken.“ Ibisevic wird in dieser Konstruktion keine tragende Rolle mehr spielen, aber für gewisse Momente könnte er bei Hertha durchaus noch einen Mehrwert besitzen.
„Wir versuchen, unsere Möglichkeiten auszunutzen, aber es ist nicht so, dass wir fünf, sechs Topspieler holen können“
Labbadia hat schon jetzt ein Gerüst zur Verfügung, das über eine gewisse Stabilität verfügt und auch einiges an Potenzial mitbringt. Er selbst hat vorige Woche im Interview mit dem „Kicker“ davon gesprochen, dass noch „drei oder vier Mosaiksteine“ fehlten. „Wir versuchen, unsere Möglichkeiten auszunutzen, aber es ist nicht so, dass wir fünf, sechs Topspieler holen können.“ Ein Torwart mit Nummer-eins-Potenzial soll kommen, ein Rechtsverteidiger, eventuell ein Stürmer und ein zentraler Mittelfeldspieler.
„Der Klub ist auf einem sehr guten Weg mit dem neuen Trainer“, sagt Marko Grujic. In der Tat hat Labbadia mit seiner Politik der ruhigen Hand und seiner inneren Gelassenheit sowohl der verunsicherten Mannschaft als auch dem irrlichternden Verein gutgetan.
Gemessen an den eigenen Ansprüchen im vergangenen Sommer ist Herthas zehnter Platz in der Abschlusstabelle mit 41 Punkten zwar ein durchwachsenes Resultat. Gemessen an den heftigen Turbulenzen während der Saison aber ist es mehr, als man zwischenzeitlich erwarten konnte. Mit 31 Punkten hat sich Werder Bremen gerade noch auf den Relegationsplatz gerettet. Das heißt, dass Hertha schon im zweiten Spiel unter Labbadia, durch das 4:0 gegen Union, den Klassenerhalt perfekt gemacht hat.
Durch Labbadias Arbeit hat die Mannschaft schnell wieder Boden unter die Füße bekommen. Aber es kann nicht schaden, diesen Boden noch ein bisschen fest zu treten, um das Fundament zu stärken. Auch organisatorisch stellt sich Hertha neu auf: Am Sonntag gab der Verein bekannt, dass Arne Friedrich, 41, Sportdirektor wird und als Bindeglied zwischen Team und Vereinsführung fungieren soll. Im Herbst war Friedrich von Jürgen Klinsmann als sogenannter Performance Manager zur Hertha geholt worden.
Insgesamt ist die Stimmung rund um den Verein wieder deutlich positiver. Durch den Einstieg von Investor Lars Windhorst steht der Klub deutlich besser da als das Gros der Konkurrenten. Hertha hat schon im Winter mehr Geld für neue Spieler ausgegeben als jeder andere Klub auf der Welt. Und Hertha wird auch in diesem Sommer Geld ausgeben können, während viele Vereine als Folge der Coronavirus-Pandemie erst mal sparen müssen.
Bruno Labbadia steht dafür, dass die Erwartungen trotzdem nicht gleich wieder ins Unermessliche schießen; dass bei den anstehenden Transfers die sportliche Qualität wichtiger ist als ein möglichst großer Name. Herthas Trainer besitzt einen ausgeprägten Realitätssinn, doch das heißt nicht, dass es ihm an Ehrgeiz mangelt. Sowohl den VfB Stuttgart als auch den VfL Wolfsburg hat er nach erfolgreichen Abstiegskampf gleich in der folgenden Saison in den Europapokal geführt.
Es war die Europa League. Nicht die Champions League.
Dieser Text erscheint im Rahmen unserer Kooperation mit dem Tagesspiegel.