31 von 32 Mannschaften fahren ohne Titel aus Brasilien nach Hause. (Oder bleiben da.) Wir vergeben Trostpreise: Die beste Elf der WM. Ganz ohne Deutsche.
Tor:
Keylor Navas zeigte zwischen den Pfosten von Costa Rica eindrucksvoll, warum er zum besten Torwart der abgelaufenen Saison in Spanien gewählt worden war. „Wir haben unsere Angst zuhause gelassen“, tönte er vor den Spielen gegen die drei Ex-Weltmeister aus Uruguay, England und Italien. Das Kopfschütteln der Experten ließ nach, als die Truppe aus Mittelamerika völlig überraschend die „Todesgruppe“ gewann und dabei nur ein einziges Tor kassierte. Im Achtelfinale hielt Navas gegen die Griechen den Sieg im Elfmeterschießen fest. Erst im Viertelfinale war gegen die Niederländer Schluss. Navas vergoldete seine Leistung nach dem Turnier mit dem Wechsel von Levante zu Real Madrid.
Abwehr:
Für Raphael Varane und seine Franzosen war die WM erst im Viertelfinale gegen den späteren Weltmeister aus Deutschland beendet. Vorher bewies der Madrilene, weshalb ihn Zinedine Zidane für eines der größten Talente auf der Innenverteidiger-Position hält: Nur drei Gegentore zugelassen, 87 Prozent Passquote, kein einziges Foul gespielt. Im Achtelfinale gegen Nigeria verausgabte sich Varane völlig und musste nach dem Spiel wegen Dehydration im Krankenhaus beobachtet werden.
Giancarlo Gonzalez von Columbus Crew aus der allenfalls mittelklassigen Major League Soccer hatte vor dem Turnier wohl niemand für die Top-Elf auf dem Zettel. Doch er organisierte die Abwehr von Costa Rica so geschickt, dass die Mannschaft in fünf Spielen nur zwei Gegentore kassierte – eines davon durch einen zweifelhaften Elfmeter. Gonzalez zeigte bei der WM zudem überragende Nervenstärke: Gegen Griechenland und die Niederlande verwandelte er im Elfmeterschießen, sogar Tim Kruls Einschüchterungsversuche prallten an dem 26-Jährigen ab.
Ja, das 1:7 gegen Deutschland haben wir auch gesehen, aber David Luiz zeigte eine so starke Leistung in den vorangegangen Turnierspielen, dass er in die WM-Elf gehört; trotz der bitteren Tränen und der ersten Halbfinal-Halbzeit, die die brasilianische Prachtlocke wohl am liebsten gegen lebenslanges Fegefeuer eintauschen würde. Zwei Tore machte Luiz auch noch. Wir sind gespannt, was sich sein Neu-Mitspieler Zlatan Ibrahimovic in Paris wohl einfallen lässt, um Luiz Tag für Tag an die WM zu erinnern.
Ron Vlaar galt vor dem Turnier als Unsicherheitsfaktor der Niederländer. Doch der Abwehrmann von Aston Villa strafte alle Kritiker lügen und zeigte zudem im Halbfinale ein fast perfektes Spiel. „Bester Mann auf dem Platz“, nannte ihn sein Trainer van Gaal, Rio Ferdinand sah in ihm sogar den „besten Innenverteidiger der WM“. Nichtsdestotrotz versemmelte Vlaar im Elfmeterschießen unglücklich seinen Versuch vom Punkt. Obwohl kurz darauf Verschwörungstheoretiker mit Wackelvideos beweisen wollten, dass der Ball eine gefühlte Ewigkeit nach dem Schuss noch reinkugelte, blieb es bei Hollands Ausscheiden.
Mittelfeld:
Ganz im Sinne der Mannschaft hatte Javier Mascherano die Kapitänsbinde vor dem Turnier an Messi abgegeben. Das „Chefchen“ blieb der Mann aus Barcelona aber dennoch. Er dirigierte das Spiel der Argentinier, rannte sich die Lunge aus dem Leib (nur Müller und Kross liefen mehr) und steckte bei seiner Monstergrätsche gegen Robben sogar einen Anus-Riss weg. Im Finale reichte es für Mascherano jedoch nicht zum ganz großen Triumph. „Wir haben mit Würde verloren“, kommentierte er später ehrenhaft.
Im ersten Gruppenspiel hätte bereits alles vorbei sein können. Gegen Honduras trat Paul Pogba am Boden liegend nach seinem Gegenspieler, Schiedsrichter Sandro Ricci zeigte zu Pogbas Glück nur gelb. Nach dieser Szene schien sich der Franzose endlich auf den Sport zu konzentrieren. Spiel um Spiel trieb er die Angriffe der „Équipe Tricolore“ unermüdlich an und vernichtete viele gegnerische Angriffe bereits früh. Dazu traf er einmal selbst und bereitete einen Treffer vor. Im Endeffekt sahnte „Die Krake“, wie er wegen seiner langen Beine bei Juventus Turin genannt wird, sogar den Titel als bester Jungprofi ab.
Als James Rodriguez‘ Stern am WM-Himmel aufging, titelte die Zeitung Times of India ehrfurchtsvoll „His name is Bond, James Rodriguez“. Diese halbgelungene Würdigung wird dem Kolumbianer zwar nicht gerecht, mittlerweile dürfte er aber ähnliche Bekanntschaft erlangt haben wie Namensvetter 007. Sein Tor gegen Uruguay, als er den Ball mit der Brust annahm und unter die Latte hämmerte, wird wohl in jedem WM-Rückblick laufen. Angeblich soll nun Real Madrid an dem Stürmer des AS Monaco interessiert sein – Kostenpunkt: 80 Millionen Euro.
Belgien galt als Überraschungsmannschaft, Belgien spielte aber nicht wie eine solche – jedenfalls nicht konstant. Trotzdem drückte Kevin de Bruyne den Auftritten der „Roten Teufel“ seinen Stempel auf. Als einziger Akteur zeigte er durchgehend starke Partien, kurbelte das Spiel der Wilmots-Truppe immer wieder an. Eine Weltklasse-Leistung zeigte der Wolfsburger im Achtelfinale gegen die USA, als er vor allem in der Verlängerung glänzte. De Bruyne erzielte das 1:0 selber und bereitete den nächsten Treffer von Romelu Lukaku nach einem perfekten Konter mustergültig vor.
Sturm:
Will man ganz penibel sein, könnte Arjen Robben an dieser Stelle fehlen und stattdessen die Liste der größten WM-Schauspieler anführen. Betrachtet man Robbens Auftritte in Brasilien aber ganz nüchtern, war er einer der besten Stürmer. In Brasilien präsentierte er sich in der Form seines Lebens. Einen Sahnetag erwischte Robben beim 5:1‑Sieg über Spanien, als er seine starke Leistung mit zwei Treffern garnierte. Insgesamt traf Robben dreimal selber, bereitete einen Treffer vor und wurde zweimal so im Strafraum gefoult, dass es Elfmeter gab. Ob berechtigt oder nicht, darüber darf wiederum gestritten werden.
Vor der WM waren wir uns nicht sicher, ob Neymar wirklich das Zeug zum absoluten Superstar hat. Eine ganze Fußball-Nation setzte Hoffnungen in den kleinen Dribbler vom FC Barcelona – eine ganze Fußball-Nation wurde nicht enttäuscht. Auch wenn Neymar polarisiert und zeitweise eher wie ein brasilianischer Justin-Bieber-Verschnitt daherkommt, seine Auftritte überzeugten. Er zeigte in allen Spielen grandiose Leistungen, erzielte vier Tore und legte einen weiteren Treffer auf. Das herbe WM-Aus gegen Kolumbien kam für die Brasilianer einer Staatskrise gleich. Trainer Scolari: „Wir müssen alle ein bisschen Neymar sein.“
Tim Howard allein reichte, um den US-amerikanischen Fans den Glauben an ihre Mannschaft zu schenken. Der Torwart von Everton, neben dem amerikanischen auch mit einem ungarischen Pass ausgestattet, spielte eine fabelhafte WM. Im Achtelfinale gegen Belgien stellte er mit 16 Paraden sogar einen Rekord auf: Keinem, sprich: nicht mal Maier, Zoff oder Taffarel, waren vorher so viele Paraden in einem Spiel gelungen. Nach vier Spielen war Schluss, doch für einen Platz auf der Top-Elf-Ersatzbank reicht es für Howard allemal.
An der Schulter von Ezequiel Garay endete das Finale für Christoph Kramer. Doch Garay nun ausschließlich auf seine Knock-Out-Qualitäten zu reduzieren, wäre falsch: Alle 720 argentinischen Turnierminuten ackerte der Neu-Sankt-Petersburger in der Abwehr, brachte 94 Prozent seiner Pässe zum Mann und gewann 70 Prozent aller Zweikämpfe. Zudem machte Garay sein Versprechen wahr: Vor dem Turnier hatte er eine Wiederholung des 0 – 4‑Desasters gegen Deutschland bei der WM in Südafrika ausgeschlossen. Es wurde bekanntlich ein knappes 0:1.
Wie viel Pech kann ein Fußballspieler eigentlich haben? Da präsentiert sich Angel di María in drei Spielen konstant in Top-Form, bereitet im Gruppenspiel gegen Nigeria ein Tor vor, schießt Argentinien gegen die Schweiz höchstpersönlich ins Viertelfinale und scheidet dann genau dort gegen Belgien verletzt aus – und zwar nachdem er den entscheidenden Treffer aufgelegt hat. Im schwachen Halbfinale gegen die Niederlande machte sich sein Fehlen deutlich bemerkbar. Hätte es gegen Deutschland mit di María für die „Albiceleste“ vielleicht zum Titel gereicht?
Die Wahl Lionel Messis zum Spieler des Turniers hätten wir vermutlich nicht so getroffen. Allerdings darf nicht unterschlagen werden, dass Argentinien ohne Messi wohlmöglich gar nicht bis ins Finale gekommen wäre. In der Gruppenphase schoss er die „Albiceleste“ mit seinen vier Toren fast im Alleingang zum Sieg. Beim 1:0‑Achtelfinalsieg hatte er mit seiner Torvorlage entscheidenden Anteil am Weiterkommen. Und mit ein bisschen Glück hätte er bei seiner Großchance in der 47. Minute im Finale auch dort zum Helden werden können.
Die Traumreise Costa Ricas hängt auch mit ihm zusammen. Der quirlige Angreifer Joel Campbell machte uns schon im ersten Spiel der Mittelamerikaner unglaublichen Spaß. Wie ein Verrückter beackerte er die Abwehrreihe Uruguays, schoss ein Tor und bereitete ein weiteres vor. Auch wenn er anschließend in dem einen oder anderen Spiel etwas unglücklich wirkte: Campbell pflügte unermüdlich über den Platz. Nach eigener Aussage, um Arbeitgeber Arsenal London zu überzeugen. Wir sind gespannt, ob Arsène Wenger das wahrgenommen hat.