Nach zwölfjähriger Wettbewerbs-Abstinenz trifft Freiburg in der Europa League auf Slovan Liberec. Dort hofft der SC auf Automatismen und Impulse für den Liga-Alltag – denn die aktuelle Saison ist bisher ein Negativ der vergangenen.
Christian Streich schenken sie Gehör im Breisgau. Wenn er lobt, wenn er witzelt, wenn er sinniert. Und natürlich, wenn er warnt. Wie Anfang August vor dem anstehenden „Tanz auf drei Hochzeiten“ – namentlich Bundesliga, DFB-Pokal und Europa League. Dem personellen Aderlass des vergangenen Sommers wäre Christian Streich gern mit ein paar zusätzlichen Vorbereitungswochen begegnet. Damit sich die Neuen „daheim fühlen“ und Abläufe auf dem Rasen „verinnerlicht werden“.
Das Alles wirkte ziemlich fern, als der Trainer im August oberlehrerhaft den Finger hob – gerade auf dem Zenit der Entwicklung seiner Mannschaft. Schließlich hatten die gering budgetierten Breisgauer gerade die Bundesliga aufgemischt und mit lauffreudigem Offensivfußball an das Tor zur Champions League geklopft. Als Farbtupfer zwischen den Schwergewichten aus Gelsenkirchen, Hamburg und Wolfsburg bekamen die emsigen Arbeiter aus dem Schwarzwald endlich den Lohn für ihr stilles Schufften ausgezahlt. Wer wollte da schon den Spielverderber geben?
Sieg- und hilflos
Heute werden sich einige an die Worte Streichs erinnern. „Angst haben wir nicht, aber gehörigen Respekt“, sagte er vor dieser Saison.
Ihren Respekt merkt man den Freiburgern bis dato in der Tat an. Im Pokal quälten sie sich über 120 Minuten zu einem 2:0 in Neustrelitz. Nach fünf Liga-Spielen wäre der sieglose SC mit ganzen zwei Zählern vermutlich Tabellenschlusslicht, wenn da nicht noch die Braunschweiger mitdümpeln würden. Dem 1:1‑Achtungserfolg gegen die Bayern folgte zuletzt eine Niederlage gegen Augsburg. Die Neuzugänge werfen mitunter hilflose Blicke in Richtung Trainerbank. Leistungsträger wie Kapitän Julian Schuster zeigen nicht die Präsenz, die man von ihnen verlangt. Das hatten sie sich anders vorgestellt in Freiburg.
Nagt der Erfolg der vergangenen Saison an der aktuellen? Und ist das heutige Europa-League-Spiel gegen Slovan Liberec statt als Segen, nicht eher als Fluch aufzufassen? Als Fluch der guten Tat?
„Favorit in der Gruppe“
Weit gefehlt – zumindest aus Freiburger Perspektive. „Auf einen Push“, hofft Torwart Oliver Baumann. „Die Mannschaft ist fest fixiert auf ein Erfolgserlebnis“, verspricht Schuster. Der neue Offensivfixpunkt Mike Hanke beschreibt das Spiel als „gute Möglichkeit, weiter zusammenzuwachsen“.
In Gruppe H, wo zudem der frühere UEFA-Pokal-Gewinner FC Sevilla und GD Estoril Praia (Portugal) warten, sei Freiburg „Mitfavorit“, sagte Hanke. Baumann ließ den Präfix „mit“ gar weg, erhob seine Mannschaft zum Herausforderer und war ganz allgemein der Ansicht, dass „man sich um den SC keine Sorgen machen muss“.
„Gegen Liberec sollten wir jetzt ein Spiel zeigen, das uns für die Bundesliga Selbstvertrauen gibt“, bekannte Streich. Es klang sehr nach einer Forderung. Dabei kann man das Spiel als eine Art Bescherung mit zwölfjährigem Anlauf verstehen. Freiburg im Europapokal – das gab es zuletzt im Dezember 2001, beim 2:2 gegen Feyernord Rotterdam. Nun soll die Rückkehr genossen werden. Gegen die „unterkühlten, kompakten und cleveren“ (Zitat Streich) Tschechen steht auf der internationaler Agenda der Freiburger, was ihnen national bislang noch abgeht: ein Sieg.
Sechs Gruppenspiele. Jedes ein Geschenk?
Das erste von sechs Gruppenspielen also. Jedes davon ein Geschenk. Solange die Leistungen im Alltagsgeschäft Bundesliga, Freiburgs „Lebensversicherung“ wie es Hanke hochtrabend formulierte, nicht darunter leiden. Dabei seien Spiele das beste Training, sagt man landläufig. Das mag stimmen, wenn man eine ansatzweise eingespielte Mannschaft hat. Seinen neuen Trumpf – die tschechische Flügelzange aus Vaclav Pilar und Vladimir Darida – beispielsweise konnte der SC bisher aber noch nicht einmal ausspielen. Und während sich Freiburg künftig unter der Woche abrackert, genießen die meisten Kontrahenten aus der Liga – wie Gegner Hertha BSC am Sonntag – eine komplette Woche Vorbereitungszeit.
Derlei Bedenken will Streich nicht gelten lassen. „Als Spieler wäre ich glücklich über diese Situation“, sagte er dieser Tage. Und fügte an, dass seine Spieler „mal nicht an die Bundesliga denken“ sollen. Hoffentlich schenken sie Christian Streich auch weiterhin Gehör im Breisgau.